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Die Zahl der Pharmaziestudierenden nimmt nicht ab, die Zahl der Absolvent*innen wird sogar immer größer. Dennoch kämpfen die öffentlichen Apotheken um Personal. Woran liegt das? Dieser Frage widmet sich Lisa Meyer, BPhD-Beauftragte für PJ und Beruf, in Kooperation mit Ilias Essaida, dem ehemaligen Beauftragten für Gesundheitspolitik.
Die Menschen werden immer älter – mit dem Alter kommen die Erkrankungen und somit auch Medikamente, die eingenommen werden. Umso wichtiger ist es daher, dass genügend kompetentes Personal in den Apotheken zur Verfügung steht, um Polymedikationen zu prüfen und nach Wechselwirkungen Ausschau zu halten. Darauf, dass sich das Studium an diese Anforderungen in den vergangenen Jahren nicht angepasst hat, hat der BPhD stets vehement hingewiesen. Damit die Studienabsolvent*innen eben diese Kompetenzen besitzen, ist eine Stärkung der klinischen Pharmazie und Pharmakologie wichtig. Auch die Kapazitäten der Studienplätze an den Universitäten müssen steigen, um die Personaldichte erhöhen zu können.
Mehr Absolvent*innen alleine reichen jedoch nicht, um dieses Ziel zu erreichen. Die jungen Pharmazeutinnen und Pharmazeuten müssen die öffentliche Apotheke auch als attraktiven Arbeitsplatz begreifen. Der Frage, warum sie dies häufig nicht tun, wollen wir uns hier widmen.
Erstens: Viele Möglichkeiten abseits der Offizin
Zwar landen rein statistisch mehr als 70 Prozent der Approbierten in der öffentlichen Apotheke, die Berufsmöglichkeiten nach einem Pharmaziestudium gehen jedoch weit über die Offizin hinaus. Die pharmazeutische Industrie bietet eine Vielzahl spannender Aufgabenfelder: Von der Qualitätssicherung über die Entwicklung bis hin zur Zulassung erstreckt sich das Aufgabenspektrum für Apotheker*innen in der Industrie. Damit stellt die pharmazeutische Industrie als Berufsfeld den größten Konkurrenten für die Offizin dar.
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Auch im Krankenhaus gewinnen Apotheker*innen immer mehr an Relevanz. Neben der klassischen Leitung und Organisation einer Krankenhausapotheke kommt auch dem Konzept der Apotheker*innen auf Station immer mehr Bedeutung zu, bei welchem die pharmazeutische Kompetenz und der Kontakt mit den Patient*innen, aber auch die Zusammenarbeit mit den medizinischen Kolleg*innen im Fokus steht. In Niedersachsen ist dieses Konzept bereits gesetzlich verankert und es ist im Sinne der Patient*innensicherheit zu hoffen, dass andere Bundesländer schnell nachziehen.
Zu erwähnen sind auch die Jobs für Apotheker*innen in der Verwaltung, sei es im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder vergleichbaren Institutionen. Auch der Gemeinsame Bundesausschuss ist ein Arbeitgeber für Apotheker*innen und diese sind hier wegen ihrer Kompetenz dringend gefragt und nicht mehr wegzudenken.
Zweitens: Realität in der Apotheke
Nach dem Studium folgt das Praktische Jahr (PJ), von dem mindestens ein halbes Jahr in der öffentlichen Apotheke absolviert werden muss. Jede*r angehende Apotheker*in lernt also die Berufsrealität des*r klassischen Apotheker*in bereits in der Ausbildung kennen. Diese unterscheidet sich massiv von dem, was an der Universität gelehrt wird. Nicht, weil die Lehre komplett realitätsfern ist, sondern weil die Arbeit in der Offizin höchstens am Rande etwas mit Pharmazie zu tun hat. Für den Satz „Verwenden Sie das Nasenspray bitte maximal sieben Tage am Stück und nicht häufiger als dreimal am Tag” muss man nicht Pharmazie studiert haben.
Des Weiteren muss möglichst nebenbei geprüft werden, ob der Arzt-Name auf dem Rezept steht, das Ausstellungsdatum passt („Tut mir leid, ihr Rezept ist nur 28 Tage gültig”) und die Kostenträgerkennung korrekt ist. Ist der Rabattpartner lieferbar? Nein, hoffentlich aber eine Firma in Stufe zwei? Mit Glück darf dem*der Patient*in noch schnell erklärt werden, warum nicht der Rabattpartner abgegeben wurde. Wenn es doof gelaufen ist, erzählt der*die Patient*in erst, wenn das Rezept bedruckt ist, dass nur eine halbe Tablette eingenommen werden darf, auf der Verordnung wurde aber nur mit einem “DJ” vermerkt, dass dem*der Patient*in die Dosierung bekannt ist und der Prozess darf von vorne durchlaufen werden.
Dieser kurze Abriss macht klar: Es gibt viel zu viel Bürokratie. Das nervt nicht nur uns als Pharmazeut*innen im Praktikum (PhiP), sondern alle, die in der Offizin arbeiten. Für die pharmazeutischen Dienstleistungen ist bisher kaum Platz. Die Umsetzung läuft schleppend an und es entsteht auch nicht der Eindruck, dass man sich in den Offizinen der Republik über diese freut. Vielmehr entsteht der Eindruck, als handele es sich nur um noch mehr Arbeit. Dabei wären ja gerade diese Dienstleistungen der im Studium erworbenen Kompetenz angemessen und eigentlich erbringen wir diese ja auch bereits, nur eben ohne eine angemessene Honorierung! Für das reine Abgeben und Verkaufen hätten wir schließlich auch eine Ausbildung zum*zur Einzelhandelskaufmann/-frau machen oder BWL studieren können.
Aber weil jede*r Pharmazeut*in zum Erlangen der Approbation in die öffentliche Apotheke muss, wird hier eine große Chance liegen gelassen. Wenn ich meinen Beruf mit Faszination und Leidenschaft ausübe und es schaffe, diese auf die PhiP zu übertragen, schaffe ich es auch, mehr von ihnen zu zeigen, dass der Job in der Offizin einer für die Zukunft ist. Ein Job, der einen in den nächsten 40 Jahren erfüllen kann.
Drittens: Wertschätzung
Im PJ wird der Nachwuchs voll eingespannt. Eine 40-Stundenwoche und Samstagsarbeit stehen an der Tagesordnung. Krankheitstage müssen nachgearbeitet werden und vom Mindestlohn ist das Ausbildungsgehalt meilenweit entfernt. Hier fordert der BPhD, dass eben der Mindestlohn gezahlt wird, da ein weiterer Nebenjob bei einer 40-Stunden-Woche nicht machbar ist. Auch dass man seinen Erholungsurlaub für eventuelle Krankheitstage nehmen muss, sieht der BPhD als kritisch an. Die PhiP werden als billige Arbeitskräfte regelrecht verheizt. Die Ausbildung kommt an vielen Stellen zu kurz und dann lässt sich das geringe Gehalt auch nicht mehr nur damit rechtfertigen, dass die Lehre ja auch eine Art der Vergütung ist.
Sicherlich gibt es auch Apotheken, in denen sich das Gegenteil abspielt. Seminare für die PhiP werden von einigen in Fillialverbünden, aber auch in einzelnen Apotheken angeboten, um den Nachwuchs mit der Tätigkeit in der Offizin vertraut zu machen. Leider ist das nicht der Standard. Das wäre nicht nur wünschenswert, sondern sollte verpflichtend sein. Von dem Leitfaden der Bundesapothekerkammer für die Ausbildung, an dem unter anderem auch der BPhD mitgearbeitet hat, haben nur die wenigsten gehört. Häufig wird einem in der Apotheke auch gar nicht die Zeit dafür gegeben, um diesen durchzuarbeiten.
Wenn man so mit seinem Nachwuchs umgeht, den man eigentlich so sehr braucht, darf man sich nicht wundern, wenn eben dieser Nachwuchs der Apotheke nach einem halben Jahr auf Nimmerwiedersehen sagt.
Bringt man jungen Menschen bereits im PJ viel Wertschätzung entgegen, kann man sie eher für die Offizin gewinnen, langfristig am Ball halten und ihnen zeigen, dass der Arbeitsplatz öffentliche Apotheke Potenzial für die eigene berufliche Zukunft hat. Das Argument, dass da alle durchmussten, ist nicht zielführend.
Viertens: Arbeitskultur
Zusätzlich darf man nicht vergessen, dass sich die Zeiten ändern. Die nachkommende Generation hat vermehrt vor Augen, dass die Zukunft von immer mehr Krisen begleitet wird. Also warum soll man sich totarbeiten, wenn man nicht weiß, ob sich das für die Zukunft noch lohnt? Viel mehr wechselt die Einstellung von „Leben, um zu arbeiten” zu „Arbeiten, um zu leben”. Und genau das funktioniert eben in großen Pharmaunternehmen besser als in der öffentlichen Apotheke. Hier sind Homeoffice und Gleitzeit längst normal. Statt einer 40-Stunden-Woche, Öffnungszeiten bis 20 Uhr und Notdienst existiert die 37,5-Stunden-Woche inklusive Feierabend und echtem Wochenende; viele wollen nur noch eine halbe Stelle. Natürlich ist dies in der öffentlichen Apotheke mit dem direkten Kundenkontakt und den Kernöffnungszeiten schwierig. Aber gerade deshalb muss man die Attraktivität des Arbeitsplatzes auf andere Weise steigern.
Alle Apotheker*innen, die PhiP in der Apotheke ausbilden, können einen großen Teil beitragen, diese für die Offizin zu gewinnen. Nur wenn ich meine Profession mit Leidenschaft und Begeisterung ausübe, kann ich auch vermitteln, dass die öffentliche Apotheke ein attraktiver Arbeitsplatz für die Zukunft ist.
Wir brauchen also mehr Studienplätze, eine gute Ausbildung im PJ und Arbeitsbedingungen in öffentlichen Apotheken, die mit denen in der Industrie und in der Klinik mithalten können, um in der Zukunft die adäquate gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten.
7 Kommentare
vergangene Zeiten
von Holger am 30.03.2023 um 15:18 Uhr
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Selbstständigkeit ist ein hohes Gut
von Dr. Klaus Wallis am 22.03.2023 um 17:27 Uhr
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AW: Selbstständigkeit ist ein hohes Gut
von Holger am 30.03.2023 um 15:25 Uhr
Wahrheit
von ratatosk am 22.03.2023 um 8:49 Uhr
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WOW...
von Eimer Langsdorf am 22.03.2023 um 8:41 Uhr
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AW: PISA
von Holger am 30.03.2023 um 15:33 Uhr
Personalnot selber Schuld ?
von T.Pforr am 21.03.2023 um 19:38 Uhr
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