Folat-reduzierende Arzneimittel
In der Studie wurden neben Erkrankungen, die die intestinale Folat-Absorption verringern (z. B. Morbus Crohn, Zöliakie), auch
Folat-reduzierende Arzneimittel berücksichtigt. Dazu gehören unter anderem:
Bereits vor einigen Jahren wurde eine Assoziation zwischen Folsäure-Einnahme und einer verminderten Suizid-Rate festgestellt. In einer epidemiologischen Studie wurde dieser Zusammenhang nun näher untersucht: Tatsächlich war die Supplementation von Vitamin B9 mit einem reduzierten Risiko für suizidale Ereignisse verbunden. Für eine breite Anwendung bei Patienten mit depressiven Symptomen ist es aber zu früh.
Beim Stichwort Folsäure denken wohl die meisten an die Versorgung werdender Mütter: Ausreichende Folat-Spiegel während der frühen Schwangerschaft reduzieren das Risiko eines Neuralrohrdefekts oder bestimmter Herzfehler beim ungeborenen Kind. Weniger bekannt ist, dass Folat die Wirkung von Antidepressiva positiv beeinflussen kann. Über die Bestimmung des Folat-Serumspiegels konnten Wissenschaftler bereits vor ungefähr zehn Jahren voraussagen, wie gut selektive Serotonin-Wiederaufnahmeinhibitoren (SSRI) anschlagen [1, 2].
In einer Datenbank-basierten Studie konnte 2019 eine Assoziation zwischen der Supplementation von Folat und einer reduzierten Suizidalität festgestellt werden [3]. Bei dieser statistischen Analyse sollten Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel identifiziert werden, die das Risiko für Suizidversuche erhöhen oder senken können. In die Auswertung gingen Rezepte ein, die privaten, US-amerikanischen Krankenkassen zur Kostenübernahme zugesandt worden waren. Außerdem wurden Diagnosen, Klinikaufenthalte und Totenscheine berücksichtigt, die auf selbstverletzendes Verhalten oder einen Suizid(versuch) schließen lassen.
Insgesamt konnte bei 44 Substanzen ein erniedrigtes Risiko für Suizidversuche festgestellt werden, darunter Mirtazapin und Hydroxyzin, aber eben auch Folsäure. Bei zehn Wirkstoffen war das Risiko erhöht, unter anderem bei Alprazolam und Prednison. Die Vermutung, dass Frauen Folat während der Schwangerschaft einnehmen und der positive Effekt damit zusammenhängt, konnte entkräftet werden: Wurde die Analyse nur auf Männer angewandt, fand sich dasselbe Resultat [3].
Die Arbeitsgruppe um den Biostatistiker Prof. Robert D. Gibbons, die diese Untersuchung anfertigte, analysierte nun den Zusammenhang zwischen Folat-Supplementation und suizidalen Ereignissen (Suizidversuche oder absichtliches selbstverletzendes Verhalten) in einer großen epidemiologischen Untersuchung [1].
Dazu wurden die Daten von 866.586 Privatversicherten ausgewertet, die zwischen 2012 und 2017 eine Verordnung über ein Folat-Präparat bei ihrer Krankenversicherung eingereicht haben. Alle Patienten wurden für mindestens ein Jahr nachbeobachtet. Knapp die Hälfte der Patienten, die eine Folat-Verordnung erhielten, litt an einer Schmerzerkrankung, 12,0 Prozent hatten eine Depression und 14,6 Prozent eine Angststörung. 48 Prozent der Verordnungen entfielen auf ein Monopräparat mit 1 mg Folat pro Tag, 0,11 Prozent auf Monopräparate mit täglichen Dosierungen von 0,4 mg bis 5 mg Folsäure und der Rest auf Folsäure-haltige Multivitaminpräparate.
In der Zeit, die durch eine Folsäure-Verordnung abgedeckt war (5.521.597 Personen-Monate), ereigneten sich 261 suizidale Ereignisse, damit lag die Rate für diese Ereignisse unter Folsäure bei 4,73 pro 100.000 Personen-Monate. In der Zeit ohne Folsäure lag diese bei 10,61 pro 100.000 Personen-Monate. Die Supplementation von Folat konnte im Vergleich zur Nicht-Einnahme die Rate für suizidale Ereignisse um 44 Prozent reduzieren.
Dabei wurden diverse Faktoren berücksichtigt wie Geschlecht, Alter, Diagnosen, die mit suizidalem Verhalten oder Folat-Mangel in Verbindung stehen, oder Einnahme von Arzneimitteln, die den Folat-Spiegel reduzieren können.
Um einen Healthy-User-Bias zu minimieren – also mögliche Verzerrungen aufgrund anderer gesunder Verhaltensweisen von Patienten, die präventive Maßnahmen in Anspruch nehmen –, wurden dieselben Berechnungen mit 236.610 Personen angestellt, die eine Verschreibung für ein Cobalamin-haltiges Präparat erhalten haben. Die Einnahme von Vitamin B12 konnte das Risiko für suizidale
Ereignisse nicht verringern.
In der Studie wurden neben Erkrankungen, die die intestinale Folat-Absorption verringern (z. B. Morbus Crohn, Zöliakie), auch
Folat-reduzierende Arzneimittel berücksichtigt. Dazu gehören unter anderem:
Jedoch gilt es zu beachten, dass die Inzidenz der Suizide in der Studienpopulation mit Folsäure-Verordnung mit 133 pro 100.000 Personen niedriger war als in der Normalbevölkerung der USA (600 pro 100.000 Einwohner). Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass suizidale Ereignisse in Versicherungsdaten aufgrund von unvollständigen Meldungen unterrepräsentiert sind.
Zudem konnten Frauen, die aktiv eine Schwangerschaft planen und daher Folsäure einnahmen, nicht extra berücksichtigt werden. Die Supplementation von Folat ohne Rezept wurde ebenfalls nicht erfasst.
Den Studienautoren zufolge rechtfertigen die Ergebnisse die Durchführung randomisierter kontrollierter Studien zu Suizidgedanken und suizidalem Verhalten. Prof. Gibbons stellte in einer Anmerkung zur Veröffentlichung klar: „Folsäure ist sicher, kostengünstig und allgemein verfügbar, und wenn künftige randomisierte kontrollierte Studien zeigen, dass dieser Zusammenhang zweifelsfrei kausal ist, haben wir ein neues Werkzeug im Arsenal“ [2].
Literatur
[1] Gibbons RD et al. Association Between Folic Acid Prescription Fills and Suicide Attempts and Intentional Self-harm Among Privately Insured US Adults. JAMA Psychiatry, 2022;79(11):1118-1123. doi:10.1001/jamapsychiatry.2022.2990
[2] Anderson P. Folic Acid Tied to a Reduction in Suicide Attempts. Medscape, 4. Oktober 2022, www.medscape.com/viewarticle/981832#vp_1
[3] Gibbons RD et al. Medications and Suicide: High Dimensional Empirical Bayes Screening. Harvard Data Science Review, 1. November 2019, https://hdsr.mitpress.mit.edu/pub/18lm7jrp/release/16
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