Pflanzliche Arzneimittel für Kinder (Teil 3)

Schlafstörungen bei Kindern – gibt es da auch was Pflanzliches?

Stuttgart - 28.04.2023, 12:14 Uhr

Was tun, wenn das Kind in der Schule einschläft, weil es nachts nicht schlafen kann? (Foto: JackF / AdobeStock)

Was tun, wenn das Kind in der Schule einschläft, weil es nachts nicht schlafen kann? (Foto: JackF / AdobeStock)


Klassische Schlafmittel haben schon für Erwachsene keinen guten Ruf – wie sieht es dann erst bei Kindern aus? Ist eine medikamentöse Therapie bei Schlafstörungen von Kindern überhaupt eine Option?

Laut der S1-Leitlinie „Nichtorganische Schlafstörungen“ für Säuglinge, Kleinkinder, Kinder und Jugendliche, die noch bis Juni dieses Jahres gültig ist, sollte eine medikamentöse Therapie der Insomnie „nur nach Ausschöpfung verhaltenstherapeutischer Interventionen und nur zur vorübergehenden Entlastung über wenige Wochen eingesetzt werden“. Das dürfte den meisten Apotheker:innen bekannt sein – gilt das doch auch für Schlafstörungen bei Erwachsenen. Bei Kindern besonders ist jedoch laut Leitlinie, dass Arzneimittel, die im Fall der Fälle infrage kommen würden, häufig nicht zugelassen sind. Als Ausnahme wird Melatonin genannt – allerdings nur für die Behandlung von Autismus-Spektrum-Störung und Smith-Magenis-Syndrom (ASS und SMS).

Arzneimittel können bei Kindern zur Behandlung von Schlafstörungen demnach meist „nur im Rahmen von individuellen Heilversuchen nach entsprechender Aufklärung und Zustimmung des Patienten bzw. seines gesetzlichen Vertreters eingesetzt werden“. Welche Wirkstoffe kommen dann überhaupt infrage? 

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Laut Leitlinie ist Doxylamin für die Kurzzeitbehandlung von Schlafstörungen für Kinder ab einem Alter von 6 Monaten zugelassen, es ist für Kinder jedoch aufgrund ernstzunehmender Nebenwirkungen verschreibungspflichtig. Abhängig von den Begleitumständen können auch Benzodiazepine, Nicht-Benzodiazepin-Hypnotika, Chloralhydrat, Antidepressiva, niederpotente Neuroleptika sowie Melatonin erwogen werden – was dann aber in die Kategorie des individuellen Heilversuchs fällt. Die Frage liegt also nahe: Gibt es da vielleicht was Pflanzliches als Alternative?

Tatsächlich steht in der Leitlinie zu Phytopharmaka: 

„Phytopharmaka (z.B. Baldrian) eignen sich zur Unterstützung verhaltenstherapeutischer Maßnahmen (Warnke et al. 2009). Es liegen wenige Studien vor, welche die Effektivität einer hoch dosierten Behandlung mit Baldrian durch Wirkung auf das GABA-Rezeptorsystem belegen (Riemann et al. 2003). Es sollte darauf geachtet werden, dass nicht Präparate mit zu niedriger Dosierung oder ungünstige Kombinationspräparate (z.B. Baldrian mit Johanneskraut) zum Einsatz kommen. Es finden sich zugelassene Medikamente mit Baldrian ab dem Alter von 6 Jahren.“ 

Wer in der Apotheke „Baldrian“ hört, denkt vermutlich zunächst an die Marke „Baldriparan“. Die Tabletten „Baldriparan Stark für die Nacht“ sind aber erst ab zwölf Jahren zugelassen. „Euvegal 320 mg/160 mg Filmtabletten“ sind hingegen schon ab sechs Jahren indiziert. Sie enthalten allerdings neben Baldrianwurzel auch Melissenblätter. Das trifft auch auf „Sandrin“ Filmtabletten zu, die ebenfalls ab sechs Jahren angewendet werden dürfen. Beide Präparate werden von der Firma Schwabe hergestellt. „Sandrin“ ist allerdings nur bei Unruhezuständen indiziert, „Euvegal“ bei „Unruhezuständen und nervös bedingten Einschlafstörungen“. „Baldriparan Stark für die Nacht“ ist bei nervös bedingten Einschlafstörungen zugelassen. Für die zusätzliche Indikation Unruhezustände gibt es ein weiteres Präparat, das außerdem Hopfenzapfen und Melissenblätter enthält.

Wie unterscheiden sich Baldrian-Präparate für Kinder und Jugendliche im Detail?

„Sandrin“ enthält Baldrianwurzel-Trockenextrakt (3-6:1) mit dem Auszugsmittel Ethanol 70 Prozent (V/V) in einer Dosis von 160 mg pro Tablette und Melissenblätter-Trockenextrakt (4-6:1) mit dem Auszugsmittel Ethanol 30 Prozent (m/m) in einer Dosis von 80 mg. Kinder von sechs bis zwölf Jahren sollen zweimal täglich zwei Tabletten einnehmen, Jugendliche ab zwölf Jahren bis zu dreimal täglich zwei Tabletten. In „Euvegal“ sind die gleichen Trockenextrakte enthalten, allerdings in doppelter Dosis. Kinder ab sechs sollen nur eine Tablette „Euvegal“ pro Tag erhalten, ab zwölf Jahren dürfen zwei Tabletten gegeben werden. „Baldriparan Stark für die Nacht“ enthält hingegen Baldrianwurzel-Trockenextrakt (6-7,4:1) mit dem Auszugsmittel Ethanol 70 Prozent (V/V) und enthält 441,35 mg Wirkstoff pro Tablette. Kinder ab zwölf Jahren dürfen auch hier bis zu zwei Tabletten einnehmen.

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Das HMPC (Committee on Herbal Medicinal Products) bietet eine kürzlich aktualisierte tabellarische Übersicht über die HMPC-Monographien und zu der Fragestellung, welche pflanzlichen Arzneidrogen bei Kindern in welchen Indikationen geeignet sind. Dort wird unter „Schlafstörungen und vorübergehende Schlaflosigkeit“ neben Baldrian (Valerianae radix) auch Melisse (Melissae folium) genannt. Der Balrianwurzel-Trockenextrakt mit dem Droge-Extrakt-Verhältnis 3-7,4:1 und dem Auszugsmittel Ethanol (40 – 70 Prozent V/V) fällt dort unter den „well-established use“, alle anderen unter den „traditional use“. Empfohlen wird er aber erst ab dem Jugendalter (12 Jahre) in einer Einzeldosis von 400 bis 600 mg Trockenextrakt, bis zu zweimal vor dem Schlafen. Vier Einzelgaben gelten als Maximaldosis. Für jüngere Kinder gibt es laut HMPC keine Daten.

Außer Baldrian – was ist für Kinder bei Schlafstörungen geeignet?

Auch für Melissenblätter gibt es laut HMPC Zubereitungsformen wie Tees oder Extrakte, die für Kinder ab zwölf Jahren geeignet sind. Für jüngere Kinder würden auch hier die Daten fehlen, außerdem solle in diesem Alter ein Arzt aufgesucht werden. Laut HMPC ist Baldrianwurzel außerdem in Kombination mit Hopfenzapfen ab zwölf Jahren geeignet. Zudem gilt Passionsblumenkraut für Jugendliche als geeignet. Die Passionsblume im Namen tragen beispielsweise die anthroposophischen „Passiflora Kinderzäpfchen“, die laut Lauer-Taxe (Stand: 26.04.2023) bereits bei Säuglingen bei Schlafstörungen angewendet werden können. Neben der Passionsblume sind dort auch Baldrian, Hopfen und Hafer als Urtinkturen enthalten. Auch Hafer gilt laut dem HMPC ab zwölf Jahren in bestimmten Darreichungsformen als geeignet.

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Außerdem listet das HMPC Lavendel-Öl oder -Blüten, Weißdornblätter mit Blüten, Zitronenverbenenblätter, sowie generell Beruhigungstees (Kombinationen aus Baldrian, Melisse, Hopfen, Lavendel und/oder Passionsblume) ab zwölf Jahren als geeignet. „Sidroga Bio Kinder-Gute-Nacht-Tee“ ist beispielsweise laut Hersteller schon ab vier Monaten geeignet und enthält unter anderem Melisse, Passionsblume sowie Lavendel. 

Damit gibt es – in Abstimmung mit Arzt oder Ärztin – auch einige rezeptfreie und pflanzliche Präparate aus der Apotheke, die bei Kindern mit Schlafstörungen zum Einsatz kommen können. 


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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