Arzneilieferungsvertrag Primärkassen (NRW)

Kein Retax wegen fehlender Dosierungsangaben

Berlin - 08.05.2023, 15:20 Uhr

Das Präparat passt, aber die Dosierungsangabe fehlt - was nun? (Foto: cineberg /AdobeStock)

Das Präparat passt, aber die Dosierungsangabe fehlt - was nun? (Foto: cineberg /AdobeStock)


Seit Anfang Mai dürfen die Primärkassen in Nordrhein-Westfalen keine Verordnungen mehr beanstanden, nur weil die Dosierungsanweisung fehlt. Darauf haben sich die Apothekerverbände im Rahmen ihrer Verhandlungen über den Arzneiliefervertrag mit den Primärkassen vorab einigen können. Zudem wird der neue Vertrag wesentliche Ausnahmeregelungen der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung fest verankern.

Aktuell wird in Nordrhein-Westfalen der Arzneilieferungsvertrag Primärkrankenkassen (ALV NW) verhandelt. Über zwei wichtige Punkte, auf die sich Apothekerverbände und Kassen schon vorzeitig geeinigt haben, informierte Ende April der Apothekerverband Nordrhein (AVNR) in einem Sonderrundschreiben. So dürfen bereits seit dem 1. Mai fehlende Angaben von Dosierungsanweisungen auf der Verordnung grundsätzlich nicht zu Beanstandungen durch die Primärkrankenkassen führen. Gerade der Apothekerverband Westfalen-Lippe hatte sich immer wieder für ein solches Retax-Verbot ausgesprochen. Zudem verständigte man sich über dauerhaft vereinfachte Abgaberegelungen im Fall von Lieferengpässen. 

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Konkret wird im Arzneilieferungsvertrag NRW künftig grundlegend zwischen zwingend vorhandenen Angaben und nicht zwingend vorhandenen Angaben auf dem Rezept unterschieden. Dosierungsanweisungen bei Fertigarzneimitteln stellen demnach keine zwingende Angabe auf Verordnungen dar (Dies gilt nicht für Rezepturen und BtM-Rezepte!). Wie der AVNR mitteilt, konnte man sich auch einigen, dass die Primärkasssen bereits ausgesprochene Retaxationen wegen fehlender Dosierungsanweisungen zurücknehmen.

Neu ist zudem, dass die Betriebsstättennummer (BSNR) bei bestimmten Verordnungen vorhanden sein muss (nicht bei: Entlassverordnungen, Rehaverordnungen, Verordnungen aus Krankenhäusern, UV-Abrechnungen, handschriftlichen Verordnungen sowie Verordnungen im ärztlichen Notdienst). Eine fehlende BSNR kann jedoch durch den Apotheker geheilt werden.

Angaben, die auf der Verordnung enthalten sein müssen (= zwingende Angaben):

  • Bezeichnung der Krankenkasse oder Kostenträgerkennung
  • Name mit Geburtsdatum (und Anschrift bei BtM-Verordnung) des Versicherten oder die Versichertennummer
  • Ausstellungs- bzw. Ausfertigungsdatum
  • Unterschrift der verschreibenden Person oder elektronische Signatur
  • Name, Berufsbezeichnung und Anschrift der Praxis oder der Klinik der verschreibenden Person oder die lebenslange Arztnummer
  • Betriebsstättennummer

Angaben, die auf der Verordnung enthalten sein sollen (= nicht zwingend):

  • Status des Versicherten
  • Kennzeichnung der Statusgruppen 6, 8, und 9 sowie des Feldes Begründungspflicht, soweit zutreffend
  • Kennzeichnung für Unfall, soweit zutreffend
  • Kennzeichnung für Arbeitsunfall, soweit zutreffend
  • Kennzeichnung der Gebührenpflicht oder der Gebührenbefreiung, soweit zutreffend
  • Dosierung oder Hinweis auf eine Dosierungsanweisung (z. B. „Dj“)
  • Kennzeichnung nach BtMVV, soweit zutreffend

Zudem kam man überein, eine Regelung zur Versorgung bei Lieferengpässen in den Vertrag aufzunehmen. Mit ihr werden die wesentlichen Ausnahmeregelungen der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung gegenüber den Primärkrankenkassen fest im ALV NW verankert. Bundesweit hängen die Apotheken in diesem Punkt nach wie vor in der Luft. Denn noch immer wurde das UPD-Gesetz, das eine Übergangsregelung bringen soll, nicht im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Allerdings haben die Krankenkassen zugesagt, den Willen des Gesetzgebers, keine Regelungslücke entstehen zu lassen, zu respektieren.

Das Vorliegen eines Lieferengpasses wird im NRW-Vertrag an die Voraussetzung geknüpft, dass ein Arzneimittel in einem angemessenen Zeitraum durch die Apotheke beim pharmazeutischen Großhandel oder dem pharmazeutischen Unternehmer nicht beschafft werden kann. Nachzuweisen ist dies durch zwei unterschiedliche Verfügbarkeitsanfragen beim Großhandel oder eine vergleichbare Erklärung des pharmazeutischen Unternehmens. Wobei laut AVNR mit den Primärkrankenkassen vereinbart wurde, dass eine Verfügbarkeitsanfrage beim Großhandel, die mehrere Arzneimittel als nicht verfügbar ausweist, dann auch bereits als mehrere Verfügbarkeitsanfragen je abgebildeter Position gelten. Dies bedeutet, dass keine zweite Verfügbarkeitsanfrage zu diesem Präparat am Abgabetag gestellt werden muss.

Für den Fall eines Lieferengpasses gilt nach dem AV NW folgende Abgabereihenfolge:

(1)          Abgabe nach Rahmenvertrag gemäß § 129 Abs. 2 SGB V

(2)          Abgabe bis zur verordneten Gesamtwirkstoffmenge

  • Ausweichen auf andere Packungsgröße
  • Änderung der Packungsanzahl
  • Variation über die Wirkstärke

Nach Arztrücksprache sind auch folgende Möglichkeiten eröffnet:

  • Auflösen des Aut-idem Kreuzes
  • Austausch zu einem pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Arzneimittel

Ergänzend sind sich die Vertragspartner einig, dass ebenfalls Arzneimittel der Substitutionsausschlussliste nach Rücksprache mit dem Arzt ausgetauscht werden dürfen.

(3)          Abgabe nach folgenden Möglichkeiten:

  • Verzicht auf Abgabe von Rabattarzneimitteln bzw. Zulassen der Ausweitung des Auswahlbereiches der Apotheke, ggf. unter Berücksichtigung des gültigen Festbetrages innerhalb der Festbetragsgruppe
  • Belieferung von Arzneimitteln oberhalb des Festbetrages, wenn kein Arzneimittel auf oder unter Festbetrag kurzfristig durch die Apotheke beschafft werden kann. Die Mehrkosten trägt die Krankenkasse.
  • Versorgung mit gestatteter Ware nach § 79 Absatz 5 des Arzneimittelgesetzes
  • Rezepturherstellung bei Vorlage von Fertigarzneimittel-Verordnungen nach Arztrücksprache.

Ist die Abgabe nach all diesen Kriterien nicht möglich, besteht noch die Option des Einzelimportes nach § 73 AMG. Wenn der Einkaufspreis dieses Importarzneimittels 60,00 Euro nicht überschreitet, bedarf es hierfür keine Genehmigung. Die Preisberechnung erfolgt nach der Arzneimittelpreisverordnung.

Was nach dem neuen Vertrag nicht mehr geht: Im Fall von Lieferengpässen dürfen keine Teilmengen aus Fertigarzneimittel-Packungen abgegeben werden. Nur komplette Packungen dürfen abgegeben werden – damit ist eine neue Verordnung über die nächstgrößere Packung durch den Arzt erforderlich.


Kirsten Sucker-Sket
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Dass es überhaupt soweit kommen konnte...

von Rainer W. am 10.05.2023 um 10:24 Uhr

... ist ein Skandal.

Ich verstehe nicht, dass der DAV diese Verträge unterschreibt. Dass diese von den Apotheken eingebrachte Forderung zum Retax-Risiko wird war von vorneherein klar. Liest denn da keiner der von uns bezahlten Vertreter die Verträge, bevor er seinen Servus drunter setzt?

So etwas darf nicht unterschrieben werden. Mimimi, mit den Kassen kann man nicht verhandeln, mimimi.

Dann gibts halt keinen neuen Vertrag. Am besten sollte man auch den alten kündigen und die Verhandlungen nochmal von vorne beginnen.

Nicht nur, dass die Apotheker völlig unter Wert und unangemessen Bezahlungen begnügen müssen, dann sollen sie sich auch noch mit so pedantischem Mist wie e-Mail-Adressen der Ärzte oder Pseudo-Dosierungsangaben wie >>DJ<< rumschlagen.

Kein Wunder, dass 98% der Pharmaziestudenten das Weite suchen und nicht in die Offizin gehen. In der Industrie verdient man halt easy das doppelte.

Aber hauptsache die zukünftigen Apotheker dürfen bald spritzen, wie die Sprechstundenhilfen mit Spritzenschein. Das ist wirklich die wahre Adelung unseres Berufsstandes. Na dann...

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