Probiotika, Phytopharmaka und andere Fertigarzneimittel

Was können Apothekenteams beim Reizdarm-Syndrom empfehlen?

Stuttgart - 16.05.2023, 12:15 Uhr

Schmerzen, Krämpfe, Durchfall oder Verstopfung – beim Reizdarm-Syndrom können verschiedene Symptome auftreten. (Foto: Adobe Stock / Dragana Gordic)

Schmerzen, Krämpfe, Durchfall oder Verstopfung – beim Reizdarm-Syndrom können verschiedene Symptome auftreten. (Foto: Adobe Stock / Dragana Gordic)


Als „heterogen“ lässt sich das Reizdarm-Syndrom vielleicht am treffendsten beschreiben, dies gilt sowohl für die Genese als auch für die Symptomatik. Eine Standardtherapie gibt es daher nicht, aber verschiedene medikamentöse und nicht-medikamentöse Strategien, die je nach individueller Besserung zum Einsatz kommen können. Die neue Patienteninformation „Reizdarmsyndrom“ des „Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin“ rät unter anderem zu „ausgewählten Probiotika“, aber auch zu „Berberin, Carmint und Padma Lax“. Was bedeutet das konkret für die Beratung von Patient:innen mit diagnostiziertem Reizdarm?

Laut aktueller S3-Leitlinie, können Ärzt:innen die Diagnose Reizdarmsyndrom stellen, wenn Patient:innen über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten anhaltend oder wiederkehrend unter die Lebensqualität einschränkenden Darmbeschwerden leiden – wie Schmerzen, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung – und keine andere Erkrankung festgestellt wird, welche die Beschwerden verursacht.

Keine Standardtherapie

Mit den funktionellen Beschwerden sind verschiedene Faktoren assoziiert, wie etwa Motilitätsstörungen, Veränderungen der Schleimhautfunktion, enterale Infekte, genetische, aber auch psychische Faktoren und Stress. Viele Fragen rund um den genauen Pathomechanismus sind nach wie vor offen. Auch eine Standardtherapie, weder kausal noch symptomatisch, gibt es derzeit noch nicht. Deswegen hat laut Leitlinie jeder Therapieversuch probatorischen Charakter. Medikamentöse Ansätze sollten hierbei abgebrochen werden, wenn es nach spätestens drei Monaten nicht zu einer Verbesserung gekommen ist.

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Aber welche Medikamente kommen denn für einen Therapieversuch überhaupt infrage? Hierzu gibt nicht nur die Leitlinie Antworten, sondern in Patient:innen-gerechter Aufmachung auch ein darauf aufbauendes, neu erschienenes Informationsblatt des „Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin“ (äzq). Im Abschnitt „Empfohlene Behandlungen“ finden sich hier nebst nicht-medikamentösen Ansätzen wie Sport und Entspannungsverfahren auch verschiedene Arzneimittel und Arzneipflanzen.

Ballaststoffe

Eine der Empfehlungen gilt der Einnahme löslicher Ballaststoffe, etwa in Form von Flohsamenschalen. Die Leitlinie spricht für diese den starken Empfehlungsgrad „sollte eingesetzt werden“ aus – und zwar bei vorwiegend obstipativen Beschwerden. Bei Diarrhoedominanz heißt die Empfehlung „kann eingesetzt werden“.

Probiotika

Weiterhin findet sich im Informationsblatt auch der Hinweis auf „ausgewählte Probiotika“. Welche darunter zu verstehen sind, lässt sich in der Leitlinie nachschlagen. Hier werden verschiedene Stämme aufgeführt, für welche in (wenn auch teilweise kleinen) randomisierten, kontrollierten Studien ein Nutzen gefunden wurde. Eine apothekerliche Empfehlung Wert sind insofern:

Bifidobakterien

B. infantis 35 624, B. longum NCC3001, B. animalis DN173010 und B. bifidum MIMBb75

Lactobazillen

L. plantarum 299v (DSM 9843), L. brevis KB290, L. acidophilus NCFM, L. gasseri CP2305, L. reuteri (DSM 17938), L. casei Shirota

Weitere

Bacillus coagulans MTCC 5856, Escherichia coli (DSM 17252), Saccharomyces cerevisiae boulardii

Phytopharmaka

Auch mehrere Phytopharmaka finden sich unter den Empfehlungen des äzq, darunter das bekannte Pfefferminzöl (Empfehlungsgrad „soll erwogen werden“). Berberin, Carmint und Padma Lax (Empfehlungsgrad „sollte individuell ins Behandlungskonzept integriert werden“) werden auch erwähnt. Während es sich bei Berberin um ein Isochinolonalkaloid aus der Berberitze (Berberis vulgaris) handelt, bezeichnen die letzteren beiden Empfehlungen Kombinationspräparate. In Carmint sind Extrakte von Zitronemelisse (Melissa officinalis), Grüner Minze (Mentha spicata) und Echtem Koriander (Coriandrum sativum) kombiniert, Padma Lax beinhaltet sogar zwölf verschiedene Arzneidrogen und drei Mineralien (darunter Aloe, Cascara- und Faulbaumrinde sowie Natriumsulfat). Hinsichtlich ihrer Wirksamkeit beim Reizdarmsyndrom verweist die Leitlinie jeweils auf eine klinische Studie sowie (bezogen auf alle Empfehlungen) auf die „Erfahrung der Experten“ bei der Behandlung dieser noch nicht ausreichend verstandenen Erkrankung.

Berberin-haltige Nahrungsergänzungsmittel sind in Deutschland auf dem Markt, Carmint und Padma Lax hingegen sind in Deutschland nicht zugelassen. Ist ein Therapieversuch dennoch gewünscht, ist im Falle von Padma Lax auf die potenziellen Risiken von Anthrachinonen aufmerksam zu machen. Eine Teemischung der drei in Carmint enthaltenen Drogen herzustellen, wie es in Internetforen vorgeschlagen wird, ist möglich. Apotheker:innen sollten jedoch im Hinterkopf behalten, dass hierfür die Evidenz noch dünner als für die Kombinationsprodukte sein dürfte. Als erste Empfehlung im HV bieten sich daher, leitliniengerecht, Pfefferminzöl-Präparate an.

Krampflöser und Co.

Aber auch der Einsatz von krampflösenden Mitteln sowie Medikamenten gegen Durchfall beziehungsweise Verstopfung wird in dem Informationsblatt aufgegriffen. Entsprechend der Leitlinie sowie der Zulassung kann aus dem Selbstmedikationssortiment Butylscopolaminiumbromid gegen die abdominalen Krämpfe empfohlen werden. Bei Diarrhoe kann im Rahmen der Selbstmedikation Loperamid abgegeben werden, wobei dieses entsprechend der Zulassung ohne ärztliche Rücksprache nicht länger als zwei Tage eingesetzt wird. Bei Verstopfung empfiehlt die Leitlinie in erster Linie Laxanzien vom Macrogol-Typ („soll“-Empfehlung). Andere Laxanzien „sollten“ nach individueller Verträglichkeit ausgewählt werden, wobei von Lactulose eher abgeraten wird.

Schließlich leicht umsetzbar sind die Empfehlungen der Patient:inneninformation dazu, welche Präparate nicht zum Einsatz kommen sollen, da sie keine Linderung brächten oder sogar schaden würden: Es werden Schmerzmittel, Mesalazin und Homöopathika genannt.


Gesa Gnegel, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (gg)
redaktion@daz.online


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