Studie des Instituts für Handelsforschung

Apotheken in NRW: „Wenn das Netz bricht, werden wir es nicht flicken können“

Berlin - 04.07.2023, 16:15 Uhr

Um das flächendeckende Apothekennetz zu erhalten, mahnte Kammerpräsidentin Overwiening zum raschen Handeln. (Foto: AKWL/AKNR)

Um das flächendeckende Apothekennetz zu erhalten, mahnte Kammerpräsidentin Overwiening zum raschen Handeln. (Foto: AKWL/AKNR)


Wie ist es um die flächendeckende Arzneimittelversorgung durch Apotheken in Nordrhein-Westfalen bestellt? Noch scheint das Netz intakt, so das Ergebnis einer heute vorgestellten Studie des IfH Köln. Doch die Offizinen kämpfen mit vielfältigen Problemen – AKWL-Präsidentin Overwiening mahnte bei der Präsentation der Ergebnisse zum raschen Handeln, um die Versorgung auch in Zukunft zu sichern.

Für das Apothekennetz in Nordrhein-Westfalen ist es kurz vor zwölf, sagte die Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, Gabriele Regina Overwiening, bei der Präsentation einer Apothekenstudie des Instituts für Handelsforschung Köln (IfH). Wie sich die Flächendeckung seit dem Jahr 2012 entwickelt hat, welche Probleme die Betriebe belasten und welche Ansätze zur Lösung beitragen könnten, beleuchtete sie heute gemeinsam mit dem Präsidenten der Apothekerkammer Nordrhein, Armin Hoffmann, NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) und Studienautor Markus Preißner bei einer Pressekonferenz in Düsseldorf.

Zunächst stellte Preißner die Ergebnisse der Erhebung vor – Branchenkenner dürfte es wenig überraschen, dass auch in Nordrhein-Westfalen die Zahl der Apotheken zwischen 2012 und 2022 deutlich gesunken ist. Konkret gab es vor gut zehn Jahren noch 4.543 Offizinen im Bundesland, im Jahr 2022 waren es laut Preißner nur noch 3.804. Den Studienergebnissen zufolge schlossen überdurchschnittlich häufig Apotheken in Großstädten (52 Prozent). In 38 Prozent der Fälle waren Betriebe in Mittelstädten betroffen, nur jede zehnte Apothekenschließung beobachteten die Autoren in Kleinstädten.

Die Methodik

Für die Studie befragte das IfH Köln insgesamt 2.101 Pharmazeutinnen und Pharmazeuten, 70 Pharmaziepraktikantinnen und -praktikanten sowie 254 Pharmaziestudierende online, ebenso wie 2.384 Apothekenkundinnen und -kunden im Alter zwischen 18 und 75 Jahren aus NRW. Zudem analysierte es anhand der Kammerstatistiken die Personalentwicklung in den nordrhein-westfälischen Apotheken seit dem Jahr 2000 und betrachtete die Gründe für Apothekenschließungen zwischen 2012 und 2022 im Detail.

Den stärksten absoluten Rückgang der Apothekendichte verzeichnete demnach die Stadt Essen: 37 Apotheken mussten dort im betrachteten Zehn-Jahres-Zeitraum für immer zusperren. Es folgen Köln (34 Apotheken) und Recklinghausen (29 Apotheken). Tendenziell steige die Gefahr schließen zu müssen mit wachsendem Wettbewerb, erläuterte Preißner. Im ländlichen Raum seien Schließungen jedoch vor allem auf Probleme bei der Nachfolgesuche sowie mangelnde Kaufkraft und Nachfrage in der Region zurückzuführen.

Apothekennetz trotzt Ausdünnung

Was hat das für Folgen für die Menschen vor Ort? Bisher schafft es das Apothekennetz in NRW offenbar noch, trotz Ausdünnung die Versorgung zu gewährleisten. Die deutliche Mehrheit der befragten Einwohner:innen (93 Prozent) bewertete die Erreichbarkeit von Apotheken am eigenen Wohnort als sehr gut bis eher gut. Dieser Wert entspricht der Einschätzung der Teilnehmer:innen, was die Erreichbarkeit von Lebensmittelhändlern betrifft.

Wie wichtig ihnen dies ist, zeigt die hohe Zustimmung zu den Aussagen „Die Nacht- und Notdienste der Apotheken sind für eine zuverlässige Arzneimittelversorgung unerlässlich“ (92 Prozent) und „Ein dichtes Apothekennetz ist aus meiner Sicht die Grundlage für die zuverlässige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln“ (91 Prozent). Der Arzneimittel-Versandhandel spielt für die Befragten hingegen nur eine untergeordnete Rolle: Zumindest in deren Kerngeschäft schätzten sie die Apotheken als deutlich wichtiger für die Versorgung ein – lediglich beim Kauf von rezeptfreien Medikamenten zur Bevorratung und beim Kauf von sonstigen Produkten hatten die Versender die Nase vorn.

Quelle: IfH Köln

Naheliegend ist daher, dass sich die Menschen auch weiterhin vor Ort beraten und betreuen lassen möchten. Der Aussage „Ich wünsche mir die Apotheke weiterhin als schnell und leicht zu erreichenden Ansprechpartner und Wegweiser im Gesundheitswesen“ stimmten 91 Prozent der Befragten zu. 76 Prozent von ihnen wünschen sich zudem eine engere Zusammenarbeit von Apotheken mit Ärztinnen und Ärzten, um Unsicherheiten, Problemen und Gefahren der Arzneimitteltherapie vorzubeugen.

Keine Kommune in NRW ohne Apotheke

Noch ist die wohnortnahe Arzneimittelversorgung in NRW weitgehend gewährleistet. Auch im Jahr 2022 gab es dort keine einzige Kommune ohne Apotheke. Doch dieser Zustand gerät zunehmend ins Wanken: Während im Jahr 2012 noch 27 Kommunen über nur eine Apotheke verfügten, waren es 2022 bereits 41 – für die AKWL-Präsidentin ein klares Indiz dafür, dass Lücken im Apothekennetz drohen. „Es ist kurz vor zwölf“, warnte sie. Denn auf den 41 angesprochenen Apotheken laste ein besonderer Versorgungsdruck. Zudem könnten die verbleibenden Betriebe den Ausfall anderer Apotheken im Umfeld zusehends schlechter abfangen als noch vor einigen Jahren. Faktoren wie Räumlichkeiten und Fachkräftebedarf setzten dem Wachstum inzwischen oftmals klare Grenzen. Overwiening mahnte zum raschen Handeln, bevor es möglicherweise zu spät sein könnte. „Denn wenn das Netz bricht, werden wir es nicht flicken können.“

NRW-Gesundheitsminister Laumann betonte mit Blick auf die Studienergebnisse, er habe stets an der Seite der inhabergeführten Versorgungsapotheken gestanden – auch in Zeiten, in denen der Versandhandel erstarkte. Auf Basis der Erhebung wolle er nun gemeinsam mit der Standesvertretung im Bundesland besprechen, was es braucht, um das Apothekennetz zu erhalten. Ob es auf mehr Studienplätze für Pharmazie hinauslaufen werde, ließ er dabei offen: Es gelte zunächst zu schauen, ob die Absolventinnen und Absolventen letztlich auch in den Apotheken ankämen.

Laumann: Lieferengpass-Management ist nicht einfach ein Service

Unterstützung sicherte er dem Berufsstand allerdings bei seinen zentralen Bemühungen in Berlin zu. Bezüglich der jüngsten gesetzgeberischen Entwicklungen sei er nicht auf einer Linie mit den Abgeordneten in der Hauptstadt – insbesondere was das Honorar in Höhe von 50 Cent für das Lieferengpass-Management betrifft, das der Bundestag kürzlich mit dem ALBVVG beschlossen hat. „Wir dürfen das Lieferengpass-Management nicht einfach als Serviceleistung der Apotheken betrachten“, mahnte Laumann und unterstrich den damit verbundenen Aufwand für die Teams. Aus dem Berufsstand sei gar zu vernehmen, dass die 50 Cent als beleidigend empfunden würden.

Zudem sprach er sich für mehr Entscheidungskompetenzen für die Apothekerinnen und Apotheker aus. Wenn es schon Pflicht sei, dass während der Öffnungszeiten stets eine Approbierte oder ein Approbierter anwesend ist, müssten diese auch mit ausreichend Handlungsspielraum bei der Rezeptbelieferung ausgestattet werden. „Da müssen wir den studierten Leuten auch ein gewisses Maß an Vertrauen entgegenbringen“, forderte der Minister. Der Abbau bürokratischer Vorgaben könne zudem zur Zufriedenheit der Mitarbeitenden beitragen, hofft er. Hier müsse man mit den Krankenkassen akzeptable Regelungen finden.

Foto: AKWL/AKNR
AKWL-Präsidentin Overwiening, NRW-Gesundheitsminister Laumann und AKNR-Präsident Hoffmann ordneten bei einer Pressekonferenz die Ergebnisse der aktuellen Apothekenstudie des IfH Köln ein.

Dass Bürokratieabbau ein Hebel sein könnte, um den Arbeitsplatz Apotheke attraktiver zu gestalten als bisher, ist nicht aus der Luft gegriffen. Das IfH Köln befragte auch angestellte Apothekerinnen und Apotheker, welches Image die verschiedenen Berufsfelder für Approbierte aus ihrer Sicht haben. Auffällig: Die Arbeit in öffentlichen Apotheken wird demnach im Vergleich zu Wissenschaft, Industrie und Krankenhaus als besonders stressig (88 Prozent) und bürokratisch (77 Prozent) empfunden. Nur die Verwaltung gilt als noch bürokratischer (79 Prozent), dafür aber deutlich weniger stressig (11 Prozent). Gleichzeitig gilt die Arbeit in der öffentlichen Apotheke als verantwortungsvoll (90 Prozent), kollegial (86 Prozent) und vielseitig (77 Prozent). Auch bei der Familienfreundlichkeit liegt die Präsenzapotheke nach Einschätzung der Befragten deutlich vorn (67 Prozent).

Hoffmann: Studium ist hochattraktiv, aber ...

Das Fazit von Kammerpräsident Hoffmann fällt ernüchternd aus: Die öffentliche Apotheke sei im Wettbewerb um Arbeitnehmer gegenüber Industrie, Krankenhaus und anderen ins Hintertreffen geraten, sagte er. Das Studium sei zwar nach wie vor hochattraktiv – noch immer gebe es daher für die Pharmazie einen hohen Numerus clausus. Das Problem sei, dass es viele der Absolventinnen und Absolventen heute nicht mehr in die Offizinen ziehe – ein Grund dafür sei auch der Gehaltsunterschied im Vergleich zu anderen Tätigkeitsfeldern für Pharmazeutinnen und Pharmazeuten.


Christina Grünberg, Apothekerin, Redakteurin DAZ (gbg)
cgruenberg@daz.online


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3 Kommentare

Verantwortung und Kompetenz

von SKarich am 05.07.2023 um 9:48 Uhr

Warum ist öffentliche Apotheke u.a. so stessig? Ein
Grund könnte sein, dass wir seitens der Politik und der politischen Vertreter der Ärzteschaft als geistig minderbemittelt gelten, trotz 4 bis 5 Jahren universitäerer Ausbildung. Warum? Weil uns nicht gestattet wird, Lieferengpässe selbsständig zu bewältigen. Immer muss die Arztrücksprache dokumentiert werden, wenn es z. B. erforderlich wird, statt der verordenteten Wirkstärke das Lieferbare mit angepasster Dosierung zu geben, um die Versorgung des Kunden zu ermöglichen. Und die Zustimmung, die man sich per Telefon oder direkt in der Praxis holt, erteilt die Arzthelferin...

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AW: Verantwortung und Kompetenz

von Sabine Teuber am 06.07.2023 um 10:25 Uhr

Diesem Kommentar kann ich nur zustimmen.
Unsere pharmazeutischen Kompetenzen werden komplett ignoriert.
Dies und die schlechte Bezahlung sind die Hauptgründe für den Nachwuchsmangel.

Bruch schon jetzt unvermeidlich

von ratatosk am 05.07.2023 um 8:44 Uhr

Bei diesen Zahlen ist ein Brechen schon jetzt unvermeidlich, da sich die 10 % sicher nicht in dichten Innenstädten befinden. Durch die Alterspyramide und durch unvermeidliche Krankheitsereignisse ( Herzinfarkt etc. ) oder Unfälle sind die Lücken dann nicht mehr zu schließen. Die Politik und die Krankenkassen haben hier zu lange gezielt auf die Vernichtung hingearbeitet. Auch jetzt gibt es ja kein Gegensteuern, im Gegenteil, Karl hat die Vergütung gerade gekürzt, aber will sich mit seinen Kiosken spielen.
Bürokratieabbau mit den Kassen gibt es nicht, die Politik kann es verordnen, oder bleiben lassen. Man sollte sich auch hier an die Trauerspiele bei Verhandlungen mit der sogenannten Selbstverwaltung denken ! Die Kassen diktieren mit Rückendeckung der Politik was sie wollen, nichts anderes. Eigentlich können wir nur auf Landes und Lokalpolitik hoffen, da diese die Lage einschätzen können , Karl , Piechotta und Konsortien können oder wollen es nachweislich nicht, da ihre Interessenlage offensichtlich andere Günstlinge hat, aber nicht die breite Bevölkerung.
Leider ist die Lernkurve der Politik meist nicht nur flach, sondern negativ. der Wehrbeauftragte hatte ja auch Jahrzehnte auf die Zustände hingewiesen, Ergebnis wohl bekannt.

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