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Recherchen zu Krebsmedikamenten
Apotheken im „Pharmagold“-Rausch
Gigantische Gewinne, Bestechung und Krankenkassen ohne Schimmer: NDR, WDR, Süddeutsche Zeitung und das ARD-Magazin Monitor veröffentlichten am Donnerstag Recherchen zu dem Geschäft mit Krebsmedikamenten – mittendrin sind die Apotheken.
Die Geschichte scheint wie geschaffen für das Sommerloch: gierige Apotheker im „Pharmagold“-Rausch. Laut Süddeutscher Zeitung (SZ) geht es „um den ewigen Konflikt zwischen Ökonomie und Medizin“. Mittendrin ein Apotheker aus Sachsen als „Whistleblower“, wie es bei tagesschau.de heißt. Verschiedene Medien berichten am Donnerstagmorgen über „Milliarden-Verschwendung bei Krebsmedikamenten“, so der Titel des Beitrags bei tagesschau.de. Die SZ spricht sogar von einem „Krebskartell“. Im Zentrum der Recherchen: Apotheker. Genauer gesagt nur jene, die Zytostatika herstellen – aber das geht fast etwas unter. Laut den Berichten stellen von den knapp 18.000 Apotheken in Deutschland etwa 300 diese speziellen Medikamente her, und es werden weniger, aber dazu später mehr.
Worum geht es konkret? NDR, WDR, SZ und das ARD-Magazin Monitor haben Preislisten von mehreren Großhändlern vorliegen, die zeigen sollen, wie viel die Krankenkassen für die Krebsmedikamente erstatten, wie hoch die Preise der Großhändler sind – und dann den „Zusatzverdienst, den Apotheker dadurch auf Kosten der Beitragszahler machen können“. Die Gewinne seien „teilweise gigantisch“, heißt es bei tagesschau.de.
„Wie auf einem Basar“
Die Liste mit den Krebsmedikamenten sei 20 Seiten lang. Als Beispiel wird der Wirkstoff Bevacizumab genannt, ein monoklonaler Antikörper und derzeit „Blockbuster“. Die Kassen hätten im vergangenen Jahr für eine Packung 1.109 Euro an die Apotheker gezahlt, die diese beim Großhandel für 360 Euro eingekauft hätten. Laut den an den Recherchen beteiligten Journalisten ist das Problem: „Die Krankenkassen kennen die echten Einkaufspreise oft nicht und zahlen den Apothekern einen vorher festgelegten Preis.“ Ausgehandelt wird der zwischen dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und dem Deutschen Apotheker Verband (DAV). NDR, WDR und SZ zitieren Teilnehmer, die sagen, es ginge dort zu „wie auf einem Basar“.
Die Süddeutsche rechnet vor: Mehr als 5 Milliarden Euro hätten die Krankenkassen im vergangenen Jahr für Infusionsbeutel mit Krebsmedikamenten ausgegeben, rund 10 Prozent ihrer gesamten Ausgaben für Arzneimittel. Sie hätten 2021 mindestens 540 Millionen Euro sparen können, 2022 mindestens 445 Millionen Euro. „Diese mutmaßliche Verschwendung läuft in dieser Form seit 2009 – und auch 2023 weiter.“ Mit Blick darauf, dass laut den Kassen bis zu 7 Milliarden Euro fehlen, gibt es hier laut SZ ein „bedeutendes Einsparpotenzial“.
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Profit, Pleiten und Patientenwohl
Den Stein ins Rollen gebracht hat laut den Berichten der Apotheker Robert Herold, der im sächsischen Falkenstein die Central-Apotheke führt und laut eigenen Angaben die AOK Plus bereits vor Jahren „über die enormen Gewinnmöglichkeiten bei der Zubereitung von Krebstherapien“ informiert habe, aber es sei nichts passiert. Auch der Verband der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA) oder seine Kollegen hätten nicht reagiert. Also suchte er die Öffentlichkeit und zeigte WDR, NDR und SZ die Preislisten – auf denen die gegenwärtigen Recherchen offenbar beruhen.
Tagesschau.de widmet Herold einen gesonderten Beitrag, die ARD riss die Geschichte bereits am Mittwochabend in den Tagesthemen an. In diesem zweiten Online-Bericht bekommt die Angelegenheit allerdings zwei weitere Dimensionen: Zum einen berichtet Herold über Bestechungsversuche von Ärzt:innen, die an den Gewinnmargen der Apotheker:innen beteiligt werden wollten – oder eben die Medikamente für ihre Patient:innen von anderer Stelle bezogen haben. Für Herold ergab sich daraus, wenn er die Beträge nicht zahle, „dann habe ich keine Chance auf dem Markt“. Womit dann auch die weitere Dimension angesprochen ist, die in den Recherchen zumindest etwas durchscheint: Die hohen Gewinne führen zu einem „Konzentrationsprozess“.
Internationale Finanzinvestoren und MVZs
Immer weniger Apotheken stellen Zytostatika her, das bestätigt auch der VZA. Laut Herold seien es in Sachsen früher noch 50 gewesen, heute liege die Zahl bei 20. Er habe 2005 noch 60 Prozent seines Umsatzes mit den Krebsmedikamenten gemacht, gegenwärtig seien es noch 5 Prozent. Große Hersteller würden die Krebsärzte nun direkt beliefern, meist betrügen die Transportwege mehrere hundert Kilometer. „Selbst internationale Finanzinvestoren investieren in solche Herstellbetriebe – weil die Zubereitung der Krebsinfusionen so lukrativ ist“, heißt es von der Tagesschau.
An dieser Stelle bricht die Recherche bei den Öffentlich-Rechtlichen dann leider ab. Die SZ erinnert in ihrem Beitrag hingegen an das Unternehmen Zytoservice, gegen das derzeit ermittelt wird und das 2019 in die Schlagzeilen geriet. Das Magazin „Stern“ berichtet diese Woche ebenfalls über den Fall. Das Unternehmen war 2003 von drei Apothekern gegründet worden und beliefert gegenwärtig bundesweit Apotheken mit Infusionsbeuteln.
Möglich war das, weil das Unternehmen 2014 eine kleine Klinik in Hamburg kaufte und so das Recht erwarb, Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu gründen. Im Anschluss wurden deutschlandweit onkologische Arztsitze eingekauft und in MVZ umgewandelt. Über die Jahre entwickelt sich ein kaum durchschaubares Konzerngeflecht, wie der Stern schreibt, 2016 steigt ein Investor mit Sitz in London ein. „Das Konstrukt rund um Zytoservice ist geradezu eine Rezeptmaschine“, schreibt die SZ. Wegen der laufenden Ermittlungen äußern sich weder die betroffenen Ärzt:innen noch das Unternehmen zu der Angelegenheit, die Vorwürfe streiten sie allerdings ab. Die Geschäfte scheinen zumindest gut zu laufen, bei Beginn der Ermittlungen verfügte man über 15 MVZ, nun sollen laut Stern 19 dazugehören.
Lauterbach stellt Ausrede der Krankenkassen infrage
An dieser Stelle taucht auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in der Geschichte auf. Zum einen kritisiert er, dass ein Krankenhaus „quasi den Anker bildet für eine Kette von Investoren betriebenen MVZs“, das dürfe es nicht geben. „Das wollen wir per Gesetz verbieten“, zitiert ihn die SZ. Zum anderen aber bezweifelt er die Unkenntnis der Kassen, was die Preise der Krebsmedikamente angeht: „Die Ausrede der Krankenkassen, dass man sagt, wir kommen an diese Werte nicht heran, die würde ich infrage stellen“, zitiert ihn das ARD-magazin Monitor.
Die Recherchen dürften für die Apothekerschaft zu einer ungünstigen Zeit kommen. Etwas mehr als einen Monat ist es her, da waren die Medien voll von den Klagen der Apotheker. Anlässlich des Protesttags am 14. Juni konnten sie ihre Anliegen, ihre Forderungen an die Politik unterbringen: zu viel Bürokratie und vor allem zu wenig Honorar. Aber vieles in der Geschichte ist ungeklärt, insbesondere mit Blick darauf, wie viel die einzelnen betroffenen Apotheken tatsächlich verdienen und ob es am Ende nicht doch nur wenige sind, die das ganz große Geld machen. Herolds Angabe, er selbst würde nur etwa 5 Prozent seines Umsatzes mit den Krebsmedikamenten machen, ist da aufschlussreich. Es ist zu erwarten, dass hier in den kommenden Tagen etwas Aufklärung erfolgen wird.
9 Kommentare
Klarer Racheakt wegen dem Retax-Verbot
von Martin M am 21.07.2023 um 3:57 Uhr
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Rabatt
von Kerlag am 20.07.2023 um 23:16 Uhr
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Irreführung
von Reinhard Rodiger am 20.07.2023 um 22:30 Uhr
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Fragwürdige Ansichten des Kollegen
von Felix Hubner am 20.07.2023 um 19:45 Uhr
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Zyto Gold Rausch
von Sonja Fürther am 20.07.2023 um 18:53 Uhr
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Ich habe Fragen - viele
von Thomas B am 20.07.2023 um 18:29 Uhr
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von Roland Mückschel am 20.07.2023 um 15:44 Uhr
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AW: Gold-Rausch
von Torben Schreiner am 20.07.2023 um 17:23 Uhr
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