ALBVVG tritt heute in Kraft

In diesen Fällen sind Nullretaxationen jetzt verboten

Berlin - 27.07.2023, 07:00 Uhr

Retaxationen sind ein großes Ärgernis in den Apotheken. (Foto: DAZ/Schelbert)

Retaxationen sind ein großes Ärgernis in den Apotheken. (Foto: DAZ/Schelbert)


Gestern ist das sogenannte Lieferengpass-Gesetz im Bundesgesetzblatt erschienen, heute tritt es in Kraft – und mit ihm ein Verbot von Nullretaxationen für Apotheken. Dieses ist allerdings auf einige konkrete Fallkonstellationen beschränkt. Welche das sind und weshalb Kritiker an der Wirksamkeit dieser Intervention zweifeln, fasst die DAZ zusammen.

Der Gesetzgeber unternimmt einen neuen Anlauf, um Nullretaxationen für Apotheken wirksam zu beschränken: Mit dem heute in Kraft tretenden Lieferengpass-Gesetz (ALBVVG) wird § 129 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) um einen neuen Absatz 4d ergänzt, mit dem die Möglichkeiten zur Vollabsetzung durch die Krankenkassen in bestimmten Fällen unterbunden werden soll. Konkret nennt das Gesetz folgende Fallkonstellationen, in denen gar keine Retaxation, auch keine teilweise, erfolgen darf:


„(4d) Unabhängig von den nach Absatz 4 Satz 2 erster Halbsatz in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 getroffenen Regelungen ist eine Retaxation ausgeschlossen, wenn

1. die Dosierangabe auf der Verordnung fehlt,

2. das Ausstellungsdatum der Verordnung fehlt oder nicht lesbar ist,

3. die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 festgelegte Belieferungsfrist von Verordnungen um bis zu drei Tage überschritten wird, es sei denn, es handelt sich um Verordnungen nach § 39 Absatz 1a, Verordnungen von Betäubungsmitteln oder Verordnungen von Wirkstoffen, für die kürzere Belieferungsfristen festgelegt sind,
 4. die Abgabe des Arzneimittels vor der Vorlage der ärztlichen Verordnung erfolgt oder
 
5. die Genehmigung der zuständigen Krankenkasse bei Abgabe des Arzneimittels fehlt und diese nachträglich erteilt wird.“

Neuer Absatz 4d in §129 SGB V


Daneben sieht der neue Absatz 4d noch weitere Fälle vor, in denen Retaxationen zumindest begrenzt werden: Wer gegen die Pflicht zur Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels nach §129 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V (aut idem) oder eines Rabattvertrags-Arzneimittels nach § 129 Absatz 1 Satz 3 SGB V verstößt, darf nicht mehr auf Null retaxiert werden. Das abgegebene Arzneimittel ist von der Kasse zu bezahlen. Allerdings verliert die Apotheke ihren Vergütungsanspruch nach § 3 Absatz 1 Satz 1 Arzneimittelpreisverordnung. In solchen Fällen darf die Krankenkasse also den zu zahlenden Betrag um das Apothekenhonorar (8,35 Euro plus den Festzuschlag in Höhe von 3 Prozent) kürzen. Gleiches gilt, wenn die Apotheke die im neuen §129 Absatz 2a Satz 2 vorgesehenen Verfügbarkeitsanfragen beim Großhandel ganz oder teilweise nicht vorgenommen hat.

Kein grundsätzliches Nullretax-Verbot

Der Gesetzgeber untersagt Nullretaxationen also nicht grundsätzlich. Er stellt aber einen Katalog mit fünf Fällen auf, in denen Retaxationen gänzlich verboten sein sollen. Zu ihnen heißt es in der Begründung zum Gesetz, hier werde „die Retaxierung grundsätzlich ausgeschlossen, weil diese im Rahmen der Abwägung der Interessen der Kostenträger und der Apotheken als unverhältnismäßig bewertet wird.“

Mit der Möglichkeit zur Kürzung um die Apothekenvergütung bei Nichtbeachtung der allgemeinen Regeln zur Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels, der Nichtabgabe eines Rabattarzneimittels oder versäumter Verfügbarkeitsabfrage sollen laut Begründung „Fehlanreize, insbesondere im Bereich der rabattierten Arzneimittel, vermieden werden, so dass auch zukünftig sichergestellt ist, dass die mit Rabattverträgen zu erzielenden Einsparungen erreicht werden können“.

AVWL-Vorstand: Regelung geht nicht weit genug

Ob die genannten Regelungen ausreichen werden, um ein gewisses Schutzniveau für Apotheken zu garantieren, ist fraglich. In einem offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) begrüßte der Vorstand des Apothekerverbands Westfalen-Lippe (AVWL) Ende Juni zwar grundsätzlich, dass Nullretaxationen mit dem ALBVVG eingeschränkt werden sollen. „Allerdings lehrt uns die langjährige Erfahrung, dass durch eine bloße Einschränkung andere, ggf. sogar neue Baustellen entstehen und letztlich eine Verhinderung von Nullretaxationen nicht nachhaltig gelingen wird.“

Ob die Regelungen des ALBVVG die Kehrtwende bringen werden, bezweifelt der AVWL-Vorstand: Die Hoffnung, mit dem ALBVVG sei das Problem generell gelöst, sei „schlicht illusorisch“, meint er. Eine am Wohl des Patienten ausgerichtete, verlässliche Arzneimittelversorgung bedürfe weiterer gesetzgeberischer Schritte. „Diese müssen zudem wirksame und effiziente Kontrollmechanismen beinhalten, um das Vorgehen der Krankenkassen wieder in die Leitplanken zurückzudrängen, die zum einen für eine sachorientierte Selbstverwaltung auf Augenhöhe unbedingt nötig sind und zum anderen dem Gesundheitssystem wieder die Anerkennung von Patienten wie Leistungserbringern, hier den Apotheken, zuteilwerden lassen kann, die es verdient.“

Dennoch ein Lichtblick

Trotz aller Kritik: Für einige wichtige Fälle sind die neuen Vorgaben jetzt klar vom Gesetzgeber festgelegt, sodass Grund zur Hoffnung besteht, dass die Kassen sie akzeptieren. Gerade die Vollabsetzungen bei der Abgabe von Nicht-Rabattvertragsarzneimitteln und zuletzt auch die bei fehlenden Dosierangaben waren für die Apotheken ein besonderes Ärgernis.


Christina Grünberg (gbg), Apothekerin, Betriebswirtin (IWW), DAZ-Redakteurin
cgruenberg@daz.online


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