(Fast) wie ein rohes Ei

Besonderheiten im Umgang mit Proteinen als Arzneimittel

10.08.2023, 07:00 Uhr

Protein-basierte Arzneimittel erfordern einen sorgfältigen Umgang.(Foto: firax/AdobeStock)

Protein-basierte Arzneimittel erfordern einen sorgfältigen Umgang.(Foto: firax/AdobeStock)


Auf Proteinen basierende Arzneimittel sind weit verbreitet und ge­hören zur Gruppe der Biopharmazeutika, die mithilfe gentechnischer Produktionsprozesse hergestellt werden. Ihre Bedeutung, medizinisch, aber auch wirtschaftlich, und damit ihre Verbreitung wachsen ständig. Gerade für die Praktiker, Apotheker und Ärzte, ist es deshalb wichtig, die Besonderheiten dieser Arzneistoffgruppe zu kennen und die sich daraus ergebenden erhöhten Sorgfaltspflichten im täglichen Umgang möglichst einzuhalten. |

Biopharmazeutika, insbesondere Impfstoffe, Insuline, Enzyme, Wachstumshormone und andere Proteine, sind aus der modernen Medizin schlicht nicht mehr wegzudenken. Unter den proteinhaltigen Arzneimitteln wiederum sind monoklo­nale Antikörper (mAb) die dominante Untergruppe, die in der Praxis häufig verwendet werden und oft unter aseptischen Bedingungen in einem Reinraum zubereitet werden müssen.

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Der biologische Herstellungsprozess führt bei Biopharmazeutika zu komplexen Proteingemischen, die erst durch die im Zulassungsverfahren hinterlegten Produkt­spezifikationen als Wirkstoff charakterisiert werden. Selbst die Zusammensetzungen verschiedener Chargen des Originalproduktes schwanken leicht.

Für die Praxis von besonderer Bedeutung im Umgang mit proteinhaltigen Arzneimitteln sind aber zwei Eigenschaften:

  • geringe Stabilität und
  • hohe Immunogenität.

Geringe Stabilität

Proteine bestehen überwiegend aus Aminosäureketten, deren räumliche Anordnung, Quartärstruktur, ihre Wirkung bestimmt. Die physikalisch-chemische Stabilität von Proteinen wird von vielen Faktoren bestimmt und bei jedem Protein, jedem monoklonalen Antikörper, abhängig von der molekularen Zusammensetzung, räumlichen Struktur und dem Milieu (Hilfsstoffe, Verunreinigungen etc.). Im Folgenden soll nur die Vielzahl der möglichen Einflussfaktoren dargestellt und ansonsten auf die Arbeit von Le Basle et al. verwiesen werden, die eine gute Übersicht über den aktuellen Stand (inklusive Sekundärliteratur) bietet. Einflussfaktoren können sein:

  • Oxidationsprozesse (ausgelöst durch Licht, Metalle, Peroxide oder auch Autoxidation)
  • Degenerationsvorgänge und chemische Modifikationen (Bildung/Abbau von Disulfidbrücken, Desaminierungen, Glykation, Fragmentierungen etc.)
  • Instabilitäten durch Veränderung der Umgebungsbedingungen (pH-Wert, Ionenstärke, Temperatur etc.)
  • Aggregation (Selbstassoziation [durch z. B. van der Waals-Kräfte] oder kovalente Aggregation durch z. B. Bildung von Disulfidbrücken)
  • aktuelle Protein- und Hilfsstoffkonzentration
  • Art und Reinheit der Hilfsstoffe
  • Zahl und Art der vorhandenen Grenzflächen (Luft, Silikon­öle, Oberflächen der Primärverpackungen, Infusionsschläuche, Filter etc.)
  • mechanischer Stress (durch Schütteln oder Scherung, aber auch durch Schockereignisse)

Alle diese Faktoren können jeder für sich oder in Kombination zu Konformationsänderungen, Denaturierungen und Aggregation führen. Letztlich zeigen Proteine eine geringe Stabilität. Deshalb wird von den pharmazeutischen Unternehmen (in Zusammenarbeit mit den Zulassungsbehörden) ein erheblicher Aufwand betrieben, um relevante Einflussfaktoren auf die Stabilität zu identifizieren und in der Formulierung des Endproduktes zu beachten. Zur Stabili­sierung von proteinhaltigen Arzneistoffen in den Fertigarzneimitteln bzw. Konzentraten werden z. B. die Vials mit Stickstoff oder Ähnlichem begast und Hilfsstoffe wie z. B. Polysorbate eingesetzt. Deklarierungspflichtige Hilfsstoffe sind der jeweiligen Fachinformation zu entnehmen. Aber gerade im Regelbetrieb während der Zubereitung und danach bis zur Applikation am Patienten, also in verdünnten, applikationsfertigen Lösungen, kann je nach Handhabung vieles passieren. Einen guten Einblick dazu vermittelt die von der Stiftung für Arzneimittelsicherheit finanzierte Sondierungsstudie, die zwar bei den untersuchten monoklonalen Antikörpern unter den gewählten Bedingungen und Analysemethoden keine relevanten Gehaltsänderungen, aber ein dynamisches Geschehen hinsichtlich der Partikelzahlen zeigte.

Wie Patienten proteinhaltige Arzneimittel (Antikörper) richtig lagern sollten

  • Lagertemperatur: 2 bis 8 °C, am besten auf der Glasplatte über dem Gemüsefach im Kühlschrank, nicht zu nah an der Rückwand (Frostgefahr) und nicht unmittelbar in Nähe der Tür (zu warm)
  • gekühlt transportieren: für den kurzfristigen Transport zwischen Apotheke und Praxis oder der Wohnung des Patienten reichen eine Styroporbox oder eine Thermotasche aus, die mit im Kühlschrank – nicht im Gefrierfach – gekühlten Aggregaten bestückt wird
  • Schutz vor UV-Strahlung: Arzneimittel stets im Umkarton aufbewahren
  • Schutz vor mechanischen Einflüssen: Nicht schütteln!

Hohe Immunogenität

Die Eigenschaft der Immunogenität, also eine Immunantwort auslösen zu können, ist allen (körperfremden) Proteinen und anderen Biopharmazeutika intrinsisch – das Ausmaß und die klinische Relevanz können jedoch, auch patientenindividuell, stark variieren. Immunogenität kann zur Neutralisierung eines Proteins (z. B. eines monoklonalen Antikörpers) führen (Wirkverlust durch Anti Drug Antibodies, ADA), aber auch zu Kreuzreaktionen mit einem endogenen Gegenspieler, die eine IgE-vermittelte unmittelbare Überempfindlichkeit und Anaphylaxie auslösen können. Wiederholte Gaben können das Risiko einer Immunantwort oder einer Immuntoleranz erhöhen (Beispiel Erythropoietin). Derartige Nebenwirkungen können manchmal erst nach Jahren auftreten. Dabei ist es nicht immer leicht, Ursache und Wirkung miteinander in Verbindung zu bringen. Viele dieser Vorgänge sind noch nicht bis ins letzte Detail geklärt und hängen wiederum von diversen Einflussfaktoren ab.

Ziemlich sicher ist hingegen, dass Aggregate im Vergleich zu Monomeren eine höhere Immunogenität zeigen. Besonders immunogen sind Partikel zwischen 20 nm und 50 nm Größe, das heißt auch Nanopartikel sollten in die Betrachtungen miteinbezogen werden. Schon in vielen klinischen Zulassungsstudien sind erhebliche Immunogenitäten beobachtet worden, die aber teilweise wegen des hohen gesundheitlichen Nutzens der biologischen Arzneimittel toleriert wurden und werden (Nutzen-Risiko-Abwägung). Deshalb ist es evident, dass nur für wenige Patienten ihre Therapie über einen längeren Zeitraum wirksam bleibt – eben, weil alle anderen Immunogenitäten (vor allem Anti Drug Antibodies) gegen den verabreichten biologischen Wirkstoff entwickeln.

Vorsichtsmaßnahmen in der Praxis

Wegen dieser letztlich unvermeidlichen Immunogenitäten und den unvorhersehbaren Auswirkungen auf (einzelne) Patienten sind für die Handhabung in der Praxis, insbesondere bei der Herstellung applikationsfertiger Infusions­lösungen, folgende Vorsichtsmaßnahmen zur Minimierung von zusätzlichen Instabilitäten und ihrer möglichen Folgen zu empfehlen:

  • Strikte Einhaltung der Angaben der jeweiligen Fachinformationen. Stabilitätsstudien Dritter sind mit Vorsicht zu genießen, falls sie nicht möglichst viele Aspekte der Pro­teinstabilität untersuchen. Nur eine Kenngröße zu bestimmen, ist für verlässliche Aussagen definitiv zu wenig. Zudem sind Schlussfolgerungen möglicherweise nicht auf jede Situation übertragbar, und das Risiko einer Instabilität der monoklonalen Antikörper besteht fort.
  • Der Luftrest im Infusionsbeutel (Headspace, Abb.) sollte vor der Zugabe des Konzentrates der monoklonalen Antikörper entfernt werden (Grenzflächenreduzierung).
  • Jede Form von unnötiger Energiezufuhr (Licht, Wärme, mechanischer Stress etc.) sollte vermieden werden. Dabei ist auch der Faktor Zeit zu berücksichtigen und zu minimieren.
  • Zur Reduzierung einer durch Licht ausgelösten Protein­degradation sind LED-Lampen und die Anbringung von UV-Schutzfolien an den Fenstern der Reinräume empfehlenswert.
  • Der Eintrag von Partikeln, die als Keimzellen der Aggregatsbildung dienen könnten (Stopfenabriebe, Silikontröpfchen etc.), sollte bei der Zubereitung so gering wie möglich sein, das heißt möglichst wenige Manipulationen am Infusionsbeutel oder mit den Hilfsmitteln.
  • Silikonhaltige Spritzen sind zu vermeiden oder gegebenenfalls einmal mit NaCl-Lösung vorzuspülen.
  • Die Zeitspanne zwischen Zubereitung der Infusionen und deren Anwendung sollte so kurz wie möglich gehalten werden.

Es versteht sich von selbst, dass z. B. Transporte in Rohrpostanlagen oder über lange Strecken mit energiereichen „Schockereignissen“ z. B. in Fahrzeugen bei Fahrbahn­schäden, Bremsmanövern etc. nicht zu empfehlen sind. Selbstverständlich sind gegebenenfalls notwendige Her­stellungsschritte unter mikrobiell einwandfreien Bedingungen auszuführen.

Bei künftigen Untersuchungen bzw. Stabilitätsstudien sollten der Einfluss verwendeter Hilfsmittel (Chemospike, Inlinefilter etc.) und auch kleinere Aggregate oder Partikel im Nanobereich vermehrt in den Fokus genommen werden, was bisher kaum der Fall ist. Auch hierzu lieferte die bereits erwähnte Studie bemerkenswerte Daten [8]. Ferner sollten die Anforderungen der Arzneibücher, die sich bisher nur auf Partikelgrößen über 10 µm (!) beziehen, angepasst werden. Für Injektionen und Infusionen werden bisher nur Prüfungen auf sichtbare Partikel (z. B. Ph.Eur. 2.9.20.) oder nicht sichtbare Partikel (z. B. Ph.Eur. 2.9.19.) mit Grenzwerten im µm-Bereich (> 10 µm oder > 25 µm) vorgegeben. Angesichts der großen medizinischen Bedeutung proteinhaltiger Arzneimittel sind mehr Aufklärung für die Praxis als bisher und insgesamt eine Stärkung des Bewusstseins für die Notwendigkeit eines sorgfältigen und behutsamen Umganges ganz im Interesse der Arzneimittelsicherheit erforderlich. 

Literatur

Dingermann T. Monoklonale Antikörper dominieren die Biotech-Branche. PZ online vom 30. Juni 2021, www.pharmazeutische-zeitung.de/monoklonale-antikoerper-dominieren-die-biotech-branche-126615/#:~:text=Es%20wurden%20Ums%C3%A4tze%20mit%20diesen,noch%20auf%2029%2C0%20Prozent

Le Basle Y, Chennell P, Tokhadze N, Astier A, Sautou V. Physicochemical Stability of Monoclonal Antibodies: A Review. J Pharm Sci 2020;109(1):169-190, doi: 10.1016/j.xphs.2019.08.009. Epub 26. August 2019, PMID: 31465737. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31465737/

Abdel-Tawab M, Banerjee S, Kirchner R, Wellenhofer T, Hahn L, Meinel L,Holzgrabe U, Schubert-Zsilavecz M, Seidl A, Stadler F. An exploratory study on the effect of mechanical stress on particle formation in monoclonal antibody infusions. Arch Pharm 2023, e2300101, http://doi.org/10.1002/ardp.202300101

Guidance for Industry Immunogenicity Assessment for Therapeutic Protein Products. Food and Drug Administration (FDA) 2014, www.fda.gov/media/85017/download

Guideline on Immunogenicity assessment of therapeutic proteins, European Medicines Agency (EMA) 2017, www.ema.europa.eu/en/documents/scientific-guideline/guideline-immunogenicity-assessment-therapeutic-proteins-revision-1_en.pdf

Nguyen B, Tolia NH. Protein-based antigen presentation platforms for nanoparticle vaccines. npj Vaccines 2021;6:70, https://doi.org/10.1038/s41541-021-00330-7

Lagassé HAD, McCormick Q, Sauna ZE. Secondary failure: immune responses to approved protein therapeutics. Trends Mol Med 2021;27(11):1074-1083, doi: 10.1016/j.molmed.2021.08.003, Epub 4. September 2021, PMID: 34493437, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34493437/

Linkuvienė V, Ross EL, Crawford L, Weiser SE, Man D, Kay S, Kolhe P, Carpenter JF. Effects of Transportation of IV Bags Containing Protein Formulations Via Hospital Pneumatic Tube System: Particle Characterization by Multiple Methods. J Pharm Sci 2022;111(4):1024-1039, doi: 10.1016/j.xphs.2022.01.016, Epub 31. Januar 2022, PMID: 350933368

 


Dr. Franz Stadler
redaktion@daz.online


Dr. Thomas Wellenhofer, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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