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Metaanalysen mit widersprüchlichen Ergebnissen
Berberin – die „natürliche Alternative“ zu Semaglutid?
Der GLP-1-Rezeptoragonist Semaglutid, enthalten in den Präparaten Ozempic und Wegovy, ist aktuell in aller Munde. Im Umfeld dieser medialen Aufmerksamkeit werden zusätzlich verstärkt Nahrungsergänzungsmittel mit Abnehm-Versprechen beworben, so zum Beispiel das Alkaloid Berberin. Es wird als natürliche Alternative zu GLP-1-Rezeptoragonisten angepriesen. Warum diese Aussage mit Vorsicht zu genießen ist, lesen Sie hier.
Das bitter schmeckende quartäre Benzylisochinolinalkaloid Berberin wurde bereits 1830 aus der Wurzelrinde der Berberitze (Berberis vulgaris, Berberidaceae, Titelbild) isoliert. Die Berberitze ist ein in Europa und West-Asien beheimateter Strauch mit Blattdornen und leuchtend gelben Blüten, die in Trauben angeordnet sind. Bei uns ist sie häufig als Zierpflanze in Gärten anzutreffen. Die roten Früchte enthalten reichlich Fruchtsäuren, so z. B. 6 % Äpfelsäure und Vitamin C, aber praktisch keine Alkaloide. Sie werden in Europa gelegentlich zur Herstellung von Konfitüre verwendet, in Asien und hier insbesondere im Iran, sind die getrockneten Früchte sehr populär und dienen unter anderem zum Würzen von Reisgerichten.
Negativ-Monografie für alle Pflanzenteile der Berberitze
Im Holz und in der Wurzel der Berberitze ist ein komplexes Alkaloidgemisch enthalten, dessen Hauptkomponente das Berberin ist (Abb. 2). Aufgrund seiner gelben Farbe wurde es früher zum Färben verwendet, volksmedizinisch wurde die Wurzel unter anderem zur Behandlung von Leber- und Gallenleiden eingesetzt [1]. Von der ehemaligen Kommission E des Bundesgesundheitsamts wurde allerdings in Anbetracht einer ungünstigen Nutzen-Risiko-Bewertung eine Negativ-Monografie für alle Pflanzenteile der Berberitze veröffentlicht. Berberin ist darüber hinaus auch Bestandteil der Alkaloidfraktion verschiedener Vertreter anderer Pflanzenfamilien wie der Hahnenfußgewächse (Ranunculaceae) und der Mohngewächse (Papaveraceae), so findet es sich z. B. im Schöllkraut (Chelidonium majus), in der Orangenwurzel (Hydrastis canadensis) und im Chinesischen Goldfaden (Coptis chinensis), einer bedeutsamen Pflanze aus der traditionellen chinesischen Medizin [2].
Was die pharmakologischen Effekte des Berberins anbetrifft, so ist lange bekannt, dass das Alkaloid antibakteriell und entzündungshemmend wirkt, außerdem konnte in vitro eine zytotoxische Aktivität gegenüber verschiedenen Tumorzelllinien nachgewiesen werden [1]. Seit einigen Jahren sind aber insbesondere Einflüsse des Berberins auf verschiedene metabolische Parameter in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses gerückt, so z. B. die positive Beeinflussung des Blutzuckerspiegels und des Lipidstoffwechsels und eine mögliche Reduktion des Körpergewichts.
Berberin und Blutzuckerspiegel
Bereits 1986 wurde in verschiedenen Mausmodellen gezeigt, dass Berberin eine Senkung des Blutzuckerspiegels bewirken kann. In der Folge gelang es, eine Vielzahl möglicher Targets zu identifizieren. So ist das Alkaloid in der Lage, die glucoseinduzierte Insulin-Sekretion zu steigern, unter anderem durch eine Förderung der Sekretion von GLP-1, außerdem wird die Empfindlichkeit verschiedener Zellen für Insulin verbessert, indem die Aktivität der AMP-aktivierten Proteinkinase (AMPK) gesteigert wird, einem Enzym, das sich in den letzten Jahren immer mehr zu einem interessanten Target in der Diabetes-Forschung entwickelt hat. Gleichzeitig wird die Gluconeogenese in Leberzellen reduziert, und zwar durch die Down-Regulation bestimmter Schlüssel-Gene.
Berberin und Darmmikrobiom
Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt ist die Beeinflussung des Darmmikrobioms durch Berberin. In diesem Zusammenhang konnte gezeigt werden, dass sich im Mausmodell die Zusammensetzung der Bakterienflora zugunsten von probiotischen Stämmen veränderte, pathogene Stämme wurden dagegen reduziert, die intestinale Barrierefunktion wurde gestärkt und Entzündungsparameter reduziert. Diese Beeinflussung des Mikrobioms könnte auch eine Rolle bei dem in verschiedenen Tiermodellen gezeigten positiven Effekt auf die Entwicklung des Körpergewichts spielen, zusätzlich sind hierfür verschiedene weitere Targets in der Diskussion, wie z. B. die oben bereits erwähnte auch im Energiestoffwechsel relevante AMP-aktivierte Proteinkinase [2, 3, 4].
Kleine klinische Untersuchungen mit Berberin
In Anbetracht der ermutigenden Ergebnisse aus den Tiermodellen sind inzwischen einige kleinere klinische Untersuchungen mit Berberin durchgeführt worden, insbesondere an Patienten mit Typ-2-Diabetes. So konnte bei Typ-2-Diabetikern eine Senkung des Nüchternblutzuckers, der postprandialen Glucose-Konzentration und des HbA1c-Wertes sowie zusätzlich eine Reduktion der Triglycerid- und LDL-Cholesterol-Werte gezeigt werden und bei der Verwendung von Berberin in Kombination mit Metformin ergab sich eine stärkere Blutzuckersenkung als mit Metformin allein. Auch adipöse Patienten profitierten von der Berberin-Gabe (dreimal 500 mg/Tag über zwölf Wochen), der Gesamtcholesterol-Spiegel nahm in dieser Studie durchschnittlich um 12% ab, die Triglycerid-Konzentration um 23% und das Körpergewicht konnte moderat reduziert werden [3]. Im Jahr 2021 publizierten Ye und Mitarbeiter eine Metaanalyse von 18 überwiegend in China durchgeführten klinischen Studien, die signifikant positive Effekte von Berberin auf den Nüchternblutzucker und den Lipidstoffwechsel der eingeschlossenen Probanden nahelegt [5].
Metaanalysen mit widersprüchlichen Ergebnissen
Zwei weitere aktuelle Metaanalysen in denen Adipositas-assoziierte Parameter analysiert worden waren, kamen dagegen zu widersprüchlichen Ergebnissen. Eine Analyse von zehn klinischen Studien durch Xiong und Mitarbeiter ergab nur marginal positive, wenn auch signifikante Effekte bezüglich Body-Mass-Index und Hüftumfang, eine signifikante Reduktion des Körpergewichts konnte dagegen nicht bestätigt werden [6]. Im Gegensatz dazu kamen Asbaghi und Mitarbeiter nach einer Auswertung von zwölf Studien zu dem Schluss, dass durch Einnahme von Berberin tatsächlich eine moderate Reduktion des Körpergewichts möglich sei [7].
In keiner der bisher durchgeführten Humanstudien wurden ausgeprägte Nebenwirkungen der Berberin-Gabe in Dosierungen zwischen 0,4 und 1,5 g pro Tag berichtet. Insbesondere bei höheren Dosierungen klagten einige Patienten über gastrointestinale Nebenwirkungen wie Bauchschmerzen, Durchfall oder auch Verstopfung, die aber meist von vorübergehender Natur waren [3].
Langzeituntersuchungen zur Sicherheit der Anwendung fehlen
Dennoch ist hinsichtlich möglicher toxischer Effekte des Berberins aktuell Vorsicht geboten, da alle Studien von vergleichsweise kurzer Dauer waren und Langzeituntersuchungen zur Sicherheit der Anwendung bisher fehlen. Dieser Aspekt wird auch in einem Statement zur Verwendung von Berberin in Nahrungsergänzungsmitteln auf der Seite der Verbraucherzentrale betont, wo zusätzlich auf ein mögliches Wechselwirkungspotenzial hingewiesen wird, das beispielsweise Immunsuppressiva, Sulfonylharnstoffe und verschiedene CYP-Substrate betreffen kann [8].
Eindeutige Aussagen zur Wirksamkeit und Verträglichkeit nicht möglich
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Alkaloid Berberin tatsächlich einige interessante Eigenschaften bezüglich einer Beeinflussung verschiedener Parameter des Glucose- und Lipidstoffwechsels zu besitzen scheint. Möglicherweise lässt sich hier in der Zukunft ein Arzneimittel entwickeln, allerdings müssten dafür erst wesentliche Fragen genauer abgeklärt werden, so z. B. das Problem der geringen Bioverfügbarkeit, die mögliche Langzeittoxizität oder aber auch ein sinnvolles Dosierungsschema.
In Anbetracht der Tatsache, dass bisherige klinische Untersuchungen nur kleine Patientenzahlen umfassten und lediglich über einen Zeitraum von einigen wenigen Monaten durchgeführt wurden, sind eindeutige Aussagen zur Wirksamkeit und Verträglichkeit aktuell nicht möglich. Insbesondere die Datenlage zu einer potenziellen Reduktion des Körpergewichts ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausreichend für Empfehlungen in diese Richtung. Auch sollte bedacht werden, dass die Verwendung von Berberin in Nahrungsergänzungsmitteln rechtlich bisher nicht abschließend bewertet ist und die tatsächliche Qualität der in großer Zahl im Internet angebotenen Produkte nur schwer einzuschätzen ist.
Literatur
[1] Abd El-Wahab AE, Ghareeb DA, Sarhan EM et al. In vitro biological assessment of berberis vulgaris and its active constituent, berberine: antioxidants, anti-acetylcholinesterase, anti-diabetic and anticancer effects. BMC Complementary and Alternative Medicine 2013;13:218-230
[2] Bellavite P, Fazio S, Affuso F. A Descriptive Review of the Action Mechanisms of Berberine, Quercetin and Silymarin on Insulin Resistance/Hyperinsulinemia and Cardiovascular Prevention. Molecules 2023;28:4491
[3] Xu X, Yi H, Wu J. et al. Therapeutic effect of berberine on metabolic diseases: Both pharmacological data and clinical evidence. Biomedicine & pharmacotherapy 2021;133:110984
[4] He Q, Dong H, Guo Y et al. Multi-target regulation of intestinal microbiota by berberine to improve type 2 diabetes mellitus. Frontiers in Endocrinolocy 2022;13:1074348
[5] Ye Y, Liu X, Wu N et al. Efficacy and Safety of Berberine Alone for Several Metabolic Disorders: A Systematic Review and Meta-Analysis of Randomized Clinical Trials. Frontiers in Pharmacology 2021;12:653887
[6] Xiong P, Niu L, Talaei S et al. The effect of berberine supplementation on obesity indices: A dose-response meta-analysis and systematic review of randomized controlled trials. Complementary therapies in clinical practice 2020;39:101113
[7] Asbaghi O, Ghanbari N, Shekari M et al. The effect of berberine supplementation on obesity parameters, inflammation and liver function enzymes: A systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Clinical nutrition ESPEN 2020;38:43–49
[8] Verbraucherzentrale: Berberin in Nahrungsergänzungsmitteln. www.verbraucherzentrale.de/faq/projekt-klartext-nem/berberin-in-nahrungsergaenzungsmitteln-31181, Abruf am 9. August 2023
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