EMA wertet Daten aus

Schädigt eine väterliche Valproat-Therapie den Nachwuchs?

Stuttgart - 22.08.2023, 14:15 Uhr

Erste Studienergebnisse weisen auf ein erhöhtes Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen bei Kindern hin, deren Väter in den drei Monaten vor der Empfängnis Valproat eingenommen haben. (Foto: pololia / AdobeStock)

Erste Studienergebnisse weisen auf ein erhöhtes Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen bei Kindern hin, deren Väter in den drei Monaten vor der Empfängnis Valproat eingenommen haben. (Foto: pololia / AdobeStock)


Der Pharmakovigilanzausschuss der EMA wertet derzeit Daten zum potenziellen Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen bei Kindern aus, die von Vätern unter Valproat-Therapie gezeugt wurden. Erste Ergebnisse sollen zwar auf ein erhöhtes Risiko hinweisen, doch es gibt noch offene Fragen. Betroffene sollten Valproat nun keinesfalls ohne Rücksprache mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin absetzen.

Dass Valproat teratogen ist, ist unter den Gesundheitsberufen bekannt. Wer eine Auffrischung benötigt, kann sich das Wissen schnell über behördlich genehmigtes Schulungsmaterial in Erinnerung rufen. Üblicherweise liegt der Fokus von Risikomaßnahmen bei teratogenen Arzneimittel auf der Patient:innen-Gruppe der Frauen im gebärfähigen Alter.

Wie der Pharmakovigilanzausschuss (PRAC) der europäischen Arzneimittelbehörde EMA beziehungsweise das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nun aber bekannt gegeben hat, sollte künftig auch bei der Patient:innen-Gruppe der Männer über die möglichen Risiken von Valproat für den noch ungeborenen Nachwuchs informiert werden.

Risiko drei Monate vor Empfängnis auch bei Männern?

Denn zwar sei der PRAC derzeit noch dabei, Daten zum potenziellen Risiko von neurologischen Entwicklungsstörungen bei Kindern auszuwerten, die „von Vätern gezeugt wurden, die valproathaltige Arzneimittel einnahmen“, erklärt das BfArM. Doch erste Ergebnisse „könnten auf ein erhöhtes Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen bei Kindern hinweisen, deren Väter in den drei Monaten vor der Empfängnis Valproat eingenommen haben“. Offenbar deshalb hat man sich bereits jetzt entschieden, die Risiken zu kommunizieren – auch wenn der PRAC „wichtige Einschränkungen zur Aussagekraft“ bei den Studiendaten festgestellt habe.

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Die Daten stammen aus einer retrospektiven Beobachtungsstudie, die sich an das im Jahr 2018 abgeschlossene Risikobewertungsverfahren zur Überprüfung der Anwendung von Valproat während der Schwangerschaft verpflichtend anschloss. Die Studie basiert auf mehreren Registerdatenbanken in Dänemark, Norwegen und Schweden – wobei das Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen bei Kindern von Männern unter Valproat-Therapie mit dem Risiko bei Kindern von Männern unter Lamotrigin- oder Levetiracetam-Therapie verglichen wurde.

Offene Fragen

Kritisch hinterfragt der PRAC an der Studie, was darin genau unter neurologischen Entwicklungsstörungen zu verstehen ist (beispielsweise Autismus-Spektrum-Störung). Außerdem müssten bei den Vätern die verschiedenen Arten von Epilepsie-Formen berücksichtigt werden, da Valproat „bei einigen Epilepsieformen, die mit neurologischen Entwicklungsstörungen einhergehen, möglicherweise häufiger verschrieben wird“. Zudem seien Fehler in der norwegischen Datenbank festgestellt worden, deren Auswirkungen noch nicht bekannt sind.

Was ist nun zu tun?

Während nun auf die Klärung der offenen Fragen und somit auf das Ergebnis der PRAC-Bewertung gewartet wird, gelten in einigen Mitgliedstaaten der EU bereits nationale Empfehlungen. Das BfArM empfiehlt entsprechend der EMA-Mitteilung vom 16. August [1,2]:


„Männliche Patienten, die mit Valproat behandelt werden, sollten die Einnahme ihres Arzneimittels nicht ohne Rücksprache mit ihrem Arzt abbrechen, da sich ihre Epilepsie oder bipolare Störung verschlimmern könnte. Ein plötzlicher Abbruch der Epilepsiebehandlung könnte Anfälle auslösen. Patienten, die Fragen zu ihrer Behandlung haben, sollten mit ihrem Arzt sprechen.

Mitteilung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 16. August 2023


Während beispielsweise die britische Arzneimittelbehörde derzeit darüber informiert, dass in diesem Zusammenhang für die Patienten (noch) kein Handlungsbedarf besteht, hat die französische Arzneimittelbehörde sogar bereits ein Informationsblatt für Patient:innen veröffentlicht. Auch darin wird betont, dass die Bewertung der Risiken noch nicht abgeschlossen ist. Doch das proaktivere Vorgehen der französischen Arzneimittelbehörde lässt sich vermutlich durch den „scandale Dépakine“ erklären. In dessen Rahmen stellte sich 2017 die Frage, ob in Frankreich das teratogene Risiko von Valproat ignoriert wurde [3,4].

Literatur

[1] Mitteilung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Valproat: Auswertung von Daten zur väterlichen Exposition durch den PRAC. 16.08.2023, www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RI/2023/RI-valproat.html

[2] Mitteilung der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA). EMA review of data on paternal exposure to valproate. 16.08.2023, www.ema.europa.eu/en/news/ema-review-data-paternal-exposure-valproate

[3] Mitteilung der „Medicines and Healthcare products Regulatory Agency“. Safety of valproate – new study on risks in children of men taking valproate. 16.08.2023, www.gov.uk/government/news/safety-of-valproate-new-study-on-risks-in-children-of-men-taking-valproate

[4] Mitteilung der „Agence nationale de sécurité du médicament et des produits de santé“. Evaluation européenne du risque potentiel de troubles neurodéveloppementaux chez les enfants dont le père a été traité par valproate dans les mois précédant la conception. Stand 03.08.2023, ansm.sante.fr/actualites/evaluation-europeenne-du-risque-potentiel-de-troubles-neurodeveloppementaux-chez-les-enfants-dont-le-pere-a-ete-traite-par-valproate-dans-les-mois-precedant-la-conception


Deutsche Apotheker Zeitung / dm
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