Auf der anderen Seite von Amazons Gesundheitsaktivitäten steht der Aufbau einer auf Endverbraucher fokussierten digitalen Plattform. Die vereint verschiedene Dienste und Angebote wie den virtuellen Gesundheitsdienstleister Amazon Clinic oder One Medical, einen Anbieter für die persönliche Gesundheitsfürsorge. Zur Gesundheitsplattform gehört außerdem die Tochtergesellschaft Amazon Pharmacy, eine im November 2020 gegründete US-amerikanische Online-Apotheke. Kunden können auf der Plattform ihre Rezepte einlösen und die gewünschten Arzneimittel bestellen. Zusätzliche Attraktivität könnte der Apothekendienst nach Einschätzung von Madden durch den sogenannten RxPass erhalten, ein Rabattprogramm für Amazon Prime-Mitglieder in den USA. Für eine monatliche Pauschale von fünf Dollar erhalten diese Zugang zu nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.
Rückschläge und Fragen
Allerdings verläuft auch für einen Konzernriesen wie Amazon der Ausbau seiner Position im Gesundheitsmarkt keineswegs geradlinig. Auffällig ist, dass das Unternehmen sich über die Jahre immer wieder auf neuen Feldern versucht, Projekte aber auch wieder eingestellt hat, wenn diese nicht wie gewünscht liefen – so geschehen bei den einst mit großen Ankündigungen gestarteten Diensten Haven und Amazon Care. Bei Haven deutete sich an, dass die drei Unternehmen nicht wirklich gut zusammenarbeiteten. Und im Fall von Amazon Care schrieb Manager Neil Lindsey anlässlich der Einstellung des Dienstes in einer Mail an die Beschäftigten: „Unser Service hat nicht den erwarteten Anklang gefunden.“ Die Deutsche Bank kam in einer Analyse daraufhin zu dem Schluss: „Wir betrachten Amazons Ausstieg bei Amazon Care als Eingeständnis der schwierigen Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen. Wenn das Management selbst zugibt, dass die aktuelle Health-Strategie nicht nachhaltig ist, dann bedeutet das, dass ihre eigenen Prognosen und Kalkulationen sie davon überzeugt haben, dass sie mit diesem Thema trotz schneller Expansion wirtschaftlich nicht auf einen grünen Zweig kommen.“
Welche Rolle hat One Medical?
Einige Marktbeobachter rätseln aktuell zudem, warum Amazon vor rund einem Jahr die Klinikkette One Medical aus San Francisco erworben hat, zumal der Preis von 3,9 Milliarden Dollar als ambitioniert eingestuft wurde. One Medical betreibt in den USA ein Netz mit Hausarzt-Filialen zur medizinischen Grundversorgung. Beobachter wie Madden fragen sich, was der Techkonzern Amazon mit dem stationären Klinikanbieter plant? Seine These: Amazon wird in den nächsten Jahren möglicherweise weitere Zukäufe dieser Art vollziehen. Tatsächlich flammen die Bemühungen von Amazon im Gesundheitsbereich ungeachtet aller Herausforderungen und der nicht immer stringenten Konzernstrategie regelmäßig neu auf. So bot der US-Versandhändler und Tech-Konzern im Sommer vergangenen Jahres für den größten Vermittler häuslicher Krankenpflege in den USA, Signify Health. Vermutet wurde, dass für Amazon dabei die von Signify entwickelte Plattform von besonderem Wert sein dürfte, mit deren Hilfe die digitale Erfassung von Patientendaten zur Organisation von Pflegeleistungen vereinfacht werden soll. Laut Wall Street Journal lagen die Gebote bei rund acht Milliarden US-Dollar.
Amazons Zukunft im Gesundheitswesen
Wenngleich sich Amazon vor allem im US-Apothekengeschäft gegen mächtige Wettbewerber wie CVS Caremark, Aetna, Oak Street Health oder Walgreens Pharmacy behaupten muss, sind die Aussichten des Konzerns auf weiteres Wachstum im Gesundheitssegment nach Einschätzung von Branchenkennern durchaus gut. Zum einen argumentieren sie, dass die entsprechenden Dienste des Konzerns bereits eine stattliche Größe und Marktpräsenz haben. Zum anderen könnte die Zahl von 150 Millionen aktiven Amazon Prime-Nutzern in den USA dazu beitragen, die Position des Konzerns in dem Segment weiter zu festigen. Um die Kunden zu locken und zu weiteren Käufen anzuregen, bietet das Unternehmen seinen Prime-Mitgliedern in den USA zudem Vergünstigungen an. So gibt es beispielsweise neben dem erwähnten Rx-Pass einen 28-Prozent-Rabatt auf das erste Jahr einer One-Medical-Mitgliedschaft.
Unter dem Strich kommen Amazon beim Kampf um Marktanteile aber nicht nur seine große und vielfach loyale Nutzerbasis und die finanziellen Möglichkeiten sowie die starke Präsenz zugute, sondern auch seine Funktion, mittels AWS for Health als digitaler Türöffner für Healthcare-Unternehmen tätig zu sein. Damit bringt der Konzern gleich mehrere Ingredienzien mit, um in der notorisch langsamen und trägen Gesundheitsbranche langfristig eine bedeutende Rolle zu spielen.
Und Europa?
Immer wieder stellte sich in den vergangenen Jahren auch die Frage, ob und wann Amazon einen ernsthaften Angriff auf den europäischen beziehungsweise deutschen Gesundheitsmarkt starten würde. So wurde wiederholt spekuliert, dass der US-Konzern den Schweizer Arzneimittelversender Zur Rose-Gruppe – heute DocMorris – übernehmen könnte – ein Schritt, der nie gemacht worden ist. Alternativ, so wurde diskutiert, könnten auch investorenbetriebene MVZ-Ketten in Deutschland für den Konzern attraktiv sein. Mehrere Apotheken nutzten zudem bereits vor Jahren die Vertriebsmöglichkeiten von Amazon.
Doch die strukturellen und gesetzlichen Voraussetzungen in Deutschland wie auch in Europa sind andere als in den USA. Das hat Amazon möglicherweise bislang davon abgehalten, einen großen Schritt auch auf den hiesigen Markt zu machen. Der Blick auf Amazons Gesundheitsaktivitäten richtet sich daher – noch – vor allem gen USA.
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