Zu wenige und zu viele Apotheken?

Apothekendichte in Deutschland – eine geodatenbasierte Analyse

Duisburg/Essen - 29.08.2023, 07:00 Uhr

In einem ersten Schritt wurde die Distanz von jeder Apotheke zu ihrer jeweils nächstgelegenen Apotheke erfasst. (Foto: Tryfonov / AdobeStock)

In einem ersten Schritt wurde die Distanz von jeder Apotheke zu ihrer jeweils nächstgelegenen Apotheke erfasst. (Foto: Tryfonov / AdobeStock)


Die Apo­thekenzahl sinkt seit Jahren. Eine geodatenbasierte Analyse der Apothekendichte kann helfen, sowohl die Frage nach der Versorgungssicherheit fundiert zu beantworten als auch gezielte Nachfragen nach der Profitabilität einzelner Standorte bzw. Regionen zu stellen. Dieser Beitrag zeigt, zu welchen Ergebnissen man mit einer solchen Analyse gelangen kann.

Nach dem Apothekenwirtschaftsbericht 2023 der ABDA ist die Zahl der öffentlichen Apotheken zum Ende des ersten Quartals 2023 mit 17.939 Apotheken auf dem niedrigsten Stand seit mehr als 40 Jahren [1]. Bei der Apothekendichte mit knapp 22 Apotheken je 100.000 Einwohner muss man (im westdeutschen Vergleich) sogar mehr als 50 Jahre zurück­gehen, um auf einen ähnlich niedrigen Stand zu kommen [3]. Aufgrund dieser Entwicklung wird vermehrt die Frage gestellt, ob die sinkende Apothekenzahl dazu führt, dass die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln in Deutschland gefährdet ist. Wenn bislang mit der Aussage „An jeder Ecke eine Apotheke“ ein Zuviel an Apotheken angeprangert wurde, stellt sich nun die Frage: Haben wir zu wenig Apotheken?

Entfernung der Menschen zur nächsten Apotheke 

Ein Ansatz, diese Frage zu beantworten, ist, die Entfernung der Menschen zu erfassen, die sie zu der nächsten Apotheke zurücklegen müssen. Das Erreichbarkeitsmodell des Thünen-Instituts bildet diese Entfernungen ab [3]. Im Deutschlandatlas, der in verschiedenen Bundesministerien erstellt wird, findet sich folgende Zusammenfassung des Thünen-Erreichbarkeitsmodells für die Apothekenlandschaft in Deutschland für das Jahr 2020:

  • Im Mittel kann die nächste Apotheke in Deutschland mit dem Pkw in sieben Minuten erreicht werden.
  • 98 % der Bevölkerung benötigen dorthin maximal zwölf Minuten Fahrzeit.
  • In wenigen ländlichen Regionen sind Fahrzeiten von über zwölf Minuten notwendig. Gehäuft ist das in dünn besiedelten Regionen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und dem nördlichen Sachsen-Anhalt sowie entlang der Südgrenze Bayerns der Fall [4].

Diese Aussagen sind zwar verständlich, machen aber auch das Problem bei der Analyse von Erreichbarkeiten über eine heterogen besiedelte Fläche deutlich. Ein Bürger Mecklenburg-Vorpommerns würde vielleicht fragen, was ihm die durchschnittlichen sieben Minuten nutzen, wenn er über 30 Minuten bis zur nächsten Apotheke benötigt.

Entfernungen im Notdienst

In Zeiten des Notdienstes potenziert sich das Problem noch. So hat der ADAC in einer Untersuchung im Jahr 2021 für knapp 300 ländlich gelegene Orte mit weniger als 5000 Einwohnern in zehn Bundes­ländern ermittelt, wie weit es jeweils von einem (willkürlich gewählten) zentralen Startpunkt zur nächsten Notdienstapotheke ist. Nur 8 % der so ermittelten Wege fielen kürzer als 5 km aus. Über 20 % der Anfahrtswege betrugen mindestens 20 km. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass das Verwaltungsgericht München 2018 den Richtwert für eine zumutbare Distanz zur nächsten Notdienstapotheke bei 15 km sieht. [5]

Ballung von Apotheken berücksichtigen

Auf eine andere Art hat die Sächsische Landesapothekerkammer (SLAK) versucht, die Auswirkungen der Apothekenschließungen der letzten Jahre abzuschätzen. Sie hat für den Kammer­bezirk Sachsen im Jahr 2022 ermittelt, wie groß der Abstand zwischen den einzelnen Apotheken und ihrer jeweils nächstgelegenen Apotheke ist. Das Ergebnis: Diese Strecke ist für über 50 % der Apotheken größer als 4 km [6].

Diese Zahlen können als Beleg dafür gesehen werden, dass die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln an manchen Stellen in Deutschland gefährdet sein könnte. Dennoch – und das mag paradox klingen – könnte es durchaus auch sein, dass es in Deutschland an einigen Stellen mehr Apotheken als notwendig gibt, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Die angesprochenen Aussagen über die Erreichbarkeit von Apotheken helfen dort nicht weiter, wo an bestimmten gut frequentierten Orten eine Ballung von Apotheken zu beobachten ist. Ein Beispiel: An einer belebten Kreuzung stehen in geringem Abstand zueinander drei Apotheken und Herr Müller lebt 5 km von dieser Kreuzung entfernt. Dann spielt es für die Ergebnisse der Erreichbarkeitsanalyse (fast) keine Rolle, ob hier eine, zwei oder drei Apotheken stehen – für die Beantwortung der Frage eines Zuviels an Apotheken an bestimmten Stellen dagegen sehr wohl.

Foto: eigene Darstellung mit © OpenStreetMap
Abb.: Apothekenverteilung in Deutschland

In unserer Analyse richten wir daher das Hauptaugenmerk auf die Distanz zwischen den Apotheken. Dabei betrachten wir zum einen ähnlich zum Vorgehen der Sächsischen Landesapothekerkammer, wie groß die Distanz zwischen den Apotheken und ihrer jeweils nächstgelegenen Apotheke ausfällt. Zum anderen untersuchen wir, wie häufig es vorkommt, dass eine bestimmte Anzahl an Apotheken innerhalb eines bestimmten Radius liegt. Für diese Analysen verwenden wir die frei verfügbaren Geodaten von Open­StreetMap. Die Abbildung zeigt die Verteilung dieser Apotheken. Wir haben die Standortdaten aller auf Open­StreetMap verzeichneten Apotheken in Deutschland ab­gefragt und am 17. Mai 2023 die Standortdaten von 16.895 Apotheken erhalten. Setzt man diese Anzahl mit den 17.939 von der ABDA am 31. März 2023 gemeldeten Apotheken ins Verhältnis, beträgt unsere Datenbasis – lässt man einen möglichen weiteren Rückgang der Apothekenzahl in den vergangenen drei Monaten unberücksichtigt – 94,2 % aller Apotheken in Deutschland.

Distanz zur nächstgelegenen Apotheke

In einem ersten Schritt wurde die Distanz von jeder Apotheke zu ihrer jeweils nächstgelegenen Apotheke erfasst. Hierbei wird für jede Apotheke individuell gezählt. Das heißt, wenn Apotheke A die nächste Apotheke von Apotheke B ist und umgekehrt, dann sind dies zwei Distanzen. Tabelle 1 zeigt für verschiedene Entfernungen in Metern, wie groß der Anteil der Apotheken ist, deren nächstgelegene Apotheke innerhalb dieses Radius liegt.

Tab.1

Im zweiten Schritt wurden alle Apotheken berücksichtigt, die sich innerhalb eines bestimmten Radius um die jeweilige Apotheke befinden. Tabelle 2 zeigt die Zahl der Apotheken, um die herum in unterschiedlichen Abständen (in den senkrechten Spalten der Tabelle abgebildet) eine bestimmte Anzahl weiterer Apotheken liegen (in den waagrechten Zeilen der Tabelle abgebildet).

Tabelle 2 macht deutlich, dass die Apothekendichte an einzelnen Orten sehr hoch ausfällt. So haben 511 Apotheken in einem Umkreis von 500 Metern mindestens sieben weitere Apotheken um sich. Knapp 449 Apotheken weisen min­destens vier benachbarte Apotheken in einem Umkreis von 250 Metern auf. Spitzenreiter in dieser Hinsicht sind Apotheken am Münchner Marienplatz und auf dem Berliner Kurfürstendamm, wo in einem Radius von einem Kilometer in München bis zu 36 Apotheken und in Berlin bis zu 26 Apotheken liegen.

Tab. 2: Anzahl weiterer Apotheken innerhalb verschiedener Radien [eigene Berechnungen auf Grundlage von Mapdata Open­StreetMap©]

Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse wird deutlich, dass die häufig verwendete Kennzahl „Apotheken pro Einwohner im europäischen Vergleich“ für die Beurteilung der Apo­thekendichte wenig aussagefähig ist. Bei dieser Kennzahl liegt Deutschland derzeit im unteren Drittel. (Auf Probleme der internationalen Vergleichbarkeit solcher Zahlen gehen wir hier nicht ein.)

Die Resultate unserer geodatenbasierten Analyse legen dagegen den Schluss nahe, dass ein Rückgang der Apo­thekenzahl an bestimmten Orten in Deutschland nicht unbedingt die Versorgungssicherheit gefährden muss. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass die frei verfügbaren Geodaten von OpenStreetMap nicht alle deutschen Apotheken abbilden, sondern knapp 95 %, dann dürfte die tatsächliche Apothekendichte noch etwas höher ausfallen.

Blick für unterschiedliche Apothekendichten schärfen

Ein Rückgang innerhalb der gut 2712 Apotheken (15 % aller berücksichtigten Apotheken), die in einem Umkreis von 250 m noch mindestens zwei weitere Apotheken in der Nähe haben, dürfte leichter zu verkraften sein als bei den 4362 Apotheken (25 % aller berücksichtigten Apotheken), die eine Entfernung von mehr als 1000 m zur nächsten Apotheke aufweisen. Wenn also über eine nach „Bedürftigkeit“ gestaffelte Honorarerhöhung diskutiert werden sollte, dann sollte zunächst der Blick für unterschiedliche Apothekendichten geschärft werden. Die ordnungspolitische Bewertung solcher Staffelungen ist dann noch eine ganz andere Frage.

Data Science für Apotheken

Die Forschungsstelle für Apothekenwirtschaft in Essen (apowi.net) nutzt Methoden aus dem Bereich Data Science, um Wissen für Apotheken zu schaffen. Dazu gehört unter anderem die Arbeit mit Geodaten, die Analyse von Bewertungen und Rezensionen sowie das Sammeln und Auswerten von online verfügbaren Informationen. Folgende Beiträge sind bereits in der DAZ erschienen:

  • Knobloch C, Schröder H. Hört gut zu, wenn den Kunden etwas stört! – Analyse der Online-Kundenbewertungen von Apotheken in Baden-Württemberg. DAZ 2023, Nr. 26, S. 40
  • Knobloch C, Schröder H. Was macht die Konkurrenz im Netz? – Preise und Verfügbarkeiten von OTC-Arzneimitteln bei Versendern. DAZ 2022, Nr. 50, S. 48

Literatur

[1] Korf C. Apothekenwirtschaftsbericht 2023, S. 10. DAV-Wirtschafts­forum, 25. April 2023, www.abda.de/fileadmin/user_upload/assets/Pressetermine/2023/DAV-WiFo-2023/Apothekenwirtschaftsbericht_2023_DAV_Wirtschaftsforum.pdf

[2] Korf C. Apothekenwirtschaftsbericht 2023, S. 11. DAV-Wirtschafts­forum, 25. April 2023, www.abda.de/fileadmin/user_upload/assets/Pressetermine/2023/DAV-WiFo-2023/Apothekenwirtschaftsbericht_2023_DAV_Wirtschaftsforum.pdf

[3] Neumeier S. Regionale Erreichbarkeit von ausgewählten Fachärzten, Apotheken, ambulanten Pflegediensten und weiteren ausgewählten Medizindienstleistungen in Deutschland – Abschätzung auf Basis des Thünen-Erreichbarkeitsmodells. Thünen Working Paper 77, September 2017, https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn058983.pdf

[4] Erreichbarkeit von Apotheken. Deutschlandatlas Bund (2023), www.deutschlandatlas.bund.de/DE/Karten/Unsere-Gesundheits­versorgung/132/_node.html#_pd3mkcwxd

[5] Weite Wege zur Notdienst-Apotheke. ADAC 30. September 2021, www.adac.de/news/apotheken-notdienst/

[6] Müller C. Flächendeckung in Gefahr – Sächsische Apotheker schlagen Alarm. Meldung auf DAZ.online vom 7. April 2022, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2022/04/07/flaechendeckung-in-gefahr-saechsische-apotheker-schlagen-alarm


Dr. Christian Knobloch, leitet den Bereich Data & Analytics bei der RST Steuerberatungsgesellschaft mbH in Essen und die Forschungsstelle für Apothekenwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen.
redaktion@daz.online


Univ.-Prof. Dr. Hendrik Schröder, Inhaber des Lehrstuhls für Marketing und Handel der Universität Duisburg-Essen.Forschungsschwerpunkt: Apothekenmarkt in Deutschland
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Das mag ja sein, aber

von Kiwi am 29.08.2023 um 12:36 Uhr

ich möchte mal behaupten, dass die wenigsten Apotheken in Ballungszentren mit vielen Mitstreitern in näherer Umgebung bei den momentanen Rahmenbedingungen in der Lage sein werden, die Versorgung der Patienten von wegfallenden Apotheken ohne Probleme (Personalmangel, Raumbedarf, Kapital für Vorfinanzierung teurer Arzneimittel) und ohne Umstrukturierung (wer soll die bezahlen?) zu übernehmen. Vielleicht sollte bei einer solchen Betrachtung nicht nur die Anzahl der Apotheken berücksichtigt werden, sondern auch die Bevölkerungsdichte in den jeweiligen Ballungsräumen und die durchschnittliche Anzahl an Personen, die von diesen Apotheken versorgt werden müssen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Flächendeckende Apothekenversorgung

von Landapotheker am 29.08.2023 um 9:33 Uhr

Dieser Artikel legt nahe, dass eine flächendeckende Versorgung mit Apotheken nur über eine lizenzierte Vergabe bzw. Verteilung realisiert werden kann.
Freiwillig wird wohl kein Apotheker seine "Goldgrube" im Ärztehaus am Ku´damm schließen, um eine Landapotheke in Mecklenburg-Vorpommern zu übernehmen.
Verstaatlichung? Öffentlicher Dienst für alle?

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Flächendeckende Apothekenversorgung

von Michael Mischer am 29.08.2023 um 14:32 Uhr

In der Tat - wir sehen die Folgen der Niederlassungsfreiheit und der Notwendigkeit, allein durch den Betrieb der Apotheke deren Erhalt zu finanzieren _und_ einen Unternehmerlohn zu erwirtschaften. Freiwillig wird niemand seine "Goldgrube" aufgeben, aber auch die Bereitschaft Landapotheken quer zu finanzieren dürfte begrenzt sein.
Wie aber können Niederlassungsfreiheit und Flächendeckung (ggf. mit stützenden Maßnahmen für versorgungsrelevante Apotheken) vereint werden. Wer definiert Versorgungungsrelevanz. Welche von drei Apotheken in drei benachbarten Dörfern wird es, wenn nur eine den Stempel versorgungsrelevant erhalten darf. Ist eine Apotheke, die primär über Strukturgelder lebt, am Ende eine Apotheke, in der man gerne arbeitet? Kann man Landapotheken in Gegenden erhalten, in denen es schon keine Landärzte mehr gibt?
Fragen über Fragen und wir haben noch nicht einmal angefangen, andere Vertriebswege mit in die Diskussion zu bringen.

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