- Der Patient wurde möglicherweise in der Patienteninformation, z. B. in der Packungsbeilage eines Arzneimittels, vor einer unerwünschten Wirkung gewarnt, und diese negative Erwartung könnte dann das Ereignis hervorrufen. Wie kann dies geschehen? Auch hier kann es sein, dass der Patient ein Symptom (z. B. Kopfschmerzen) aus anderen Gründen (Wetterfühligkeit, Alkoholkonsum, Stress usw.) verspürt und das Symptom auf das eingenommene Arzneimittel zurückführt. Die dafür verantwortlichen Mechanismen sind schwer vorherzusagen [8].
- Die Patientin hat beispielsweise das Internet und andere elektronische Quellen konsultiert, um die verfügbare und am besten geeignete Therapie für ihr Leiden zu finden, und hat widersprüchliche Informationen oder widersprüchliche Beweise über die Sicherheit und die Nebenwirkungen eines verschriebenen Arzneimittels erhalten. Ein Beispiel wird derzeit unter Fachleuten und Nichtfachleuten breit diskutiert, nämlich die Verwendung von Statinen zur Senkung des Cholesterol-Spiegels bei Patienten mit Bluthochdruck und Herzinfarktrisiko.
- Die Nocebo-Effekte wurden durch medizinische Informationen und Entscheidungen nach einem Wechsel von einem Markenpräparat zu einem Generikum aus nicht-medizinischen, sondern z. B. ökonomischen Gründen ausgelöst, insbesondere wenn die bisherige Therapie erfolgreich war. Wenn eine solche Umstellung in den populären Medien diskutiert und von wichtigen Meinungsführern (Medienstars wie z. B. Schauspieler) kritisiert wird, steigt die Zahl der gemeldeten Nebenwirkungen dramatisch an und hält Wochen bis Monate an, bevor die Wirkung nachlässt [9]. Im Folgenden wird ein weiteres aktuelles Beispiel erörtert, nämlich die Umstellung von einem Biologikum auf ein Biosimilar bei chronischen Entzündungskrankheiten (chronische Arthritis, entzündliche Darmerkrankungen).
- Die Patienten haben vielleicht Verwandte oder Freunde mit einer ähnlichen Erkrankung, die mit demselben oder einem ähnlichen Arzneimittel eine unerwünschte Wirkung erlebt haben – dieser Effekt wird als Placebo-byproxy bezeichnet und kann auch Nocebo-Effekte auslösen [10]. Er wurde bisher vor allem bei Kindern und ihren Eltern untersucht, betrifft aber alle Patienten, die in ihrem unmittelbaren Umfeld, in der Familie und im Freundeskreis, Erfahrungen mit Krankheiten und deren Behandlung gemacht haben.
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Positive Effekte von Arzneimitteln hervorheben
Neue Erkenntnisse zum Nocebo-Effekt
In randomisierten, placebokontrollierten Arzneimittelstudien sind Berichte über unerwünschte Wirkungen üblich. 40 % und mehr der Patienten berichten über solche Nebenwirkungen, und zwar sowohl im Arzneimittel- als auch im Placebo-Arm der Studie. Da weder der Arzt oder die Ärztin noch Patient oder Patientin zu diesem Zeitpunkt wissen, wer das Arzneimittel und wer das Placebo erhält, stellt sich die Frage: Wie kann es sein, dass diese Nebenwirkungen auch nach der Einnahme von Placebos auftreten?
Im Prinzip ist es dieselbe Frage, die man in Bezug auf die Symptomverbesserung stellen kann: Wie ist es zu erklären, dass Patienten berichten, dass sie sich nach der Einnahme einer Placebo-Tablette über Tage, Wochen oder Monate hinweg besser fühlen? Solche Symptomverbesserungen werden als Placebo-Effekte bezeichnet, während eine Symptomverschlechterung in jüngster Zeit als Nocebo-Effekt bezeichnet wird [1]. Die Vorhersage solcher Nocebo-Effekte bleibt ein ungelöstes Problem [2], ebenso wie die Vorhersage der Placebo-Reaktion [3]. Im Moment ist die Erklärung für beide Phänomene dieselbe, die zugrunde liegenden Mechanismen sind ähnlich, wenn nicht sogar identisch: einerseits Erwartungsreaktionen, andererseits gelernte Erfahrungen.
Angst stark mit Nocebo-Effekten verbunden
Wir haben verschiedentlich [4 – 6] darauf hingewiesen, dass Placebo-Effekte in der täglichen Medizin bei jeder Behandlung unvermeidlich sind und auch außerhalb klinischer Studien auftreten, wenn kein Placebo verabreicht wird. Diese Placebo-Effekte waren Gegenstand vieler experimenteller Studien. Bei Nocebo-Effekten im medizinischen Alltag ist die Situation weit weniger eindeutig. Am einfachsten lässt sie sich wohl anhand einer Situation erklären, die in der Medizin (hoffentlich) nicht allzu oft vorkommt: Ein Patient erhält eine falsche und fatale Diagnose – oder missversteht eine richtige Diagnose als tödlich – und entwickelt in der Folge Symptome der vermuteten Krankheit, bis der Fehler korrigiert wird [7]. In der Medizin gibt es nicht viele dokumentierte Fälle eines solchen Nocebo-Effekts, aber die einfachste Erklärung in diesem Fall könnte sein, dass Angst, Stress und Emotionen die Symptome hervorrufen, die fälschlicherweise der Krankheit zugeschrieben werden. Es hat sich gezeigt, dass Angst stark mit solchen Nocebo-Effekten verbunden ist und die oben genannten Mechanismen verstärken kann, so wie Optimismus die Placebo-Effekte verstärkt
Vier Situationen, in denen Nocebo-Effekte aus unterschiedlichen Gründen auftreten können
Wesentlich komplexer wird die Situation bei der Meldung von unerwünschten Wirkungen in der täglichen medizinischen Routine, wenn ein echter Wirkstoff verabreicht wird, die gemeldeten Nebenwirkungen aber höchstwahrscheinlich nicht auf dieses Arzneimittel zurückzuführen sind. Im Folgenden werden wir das Auftreten solcher Nocebo-Effekte anhand von vier Situationen illustrieren, die in der Medizin recht häufig vorkommen, aber noch nicht Gegenstand vieler Forschungsbemühungen waren. Typischerweise handelt es sich bei vielen dieser unerwünschten Wirkungen um eher globale und unspezifische Symptome, die auf den Input des zentralen Nervensystems, wie „Stress“ in einem recht weiten Sinne, reagieren und vom autonomen Nervensystem reguliert werden: z. B. Muskelschmerzen und -verspannungen, Kopfschmerzen, Hyperaktivität des Herzens, Schwitzen, Mundtrockenheit, Übelkeit, schlechtes Magengefühl, Blasen- oder Darmdrang. Möglicherweise hat der Patient oder die Patientin eine Grunderkrankung, deren natürlicher Verlauf einige Symptome hervorruft, die der Patient fälschlicherweise einem aus anderem Grunde eingenommenen Arzneimittel zuschreibt. Noch verbreiteter ist jedoch die Situation, in der er oder sie glaubt, eine klinische Erkrankung zu haben, z. B. eine Lactose-Intoleranz, Gluten-Sensitivität oder eine „Lebensmittelallergie“ ohne immunologischen Hintergrund, und in der die Betroffenen eine selbstverordnete Diät befolgen. In diesem Fall ist es wahrscheinlich, dass alle Symptome, die aus welchem Grund auch immer auftreten, dem eingenommenen Arzneimittel oder der aufgenommenen Nahrung zugeschrieben werden.
Statine sind für viele Patienten mit hohem Blutdruck und Cholesterol-Spiegel die Therapie der Wahl, seit sie in den späten 1970er-Jahren erstmals zur Senkung der Blutfettwerte eingesetzt wurden. Statine gehen häufig mit Nebenwirkungen einher, die auch in der Allgemeinbevölkerung recht häufig auftreten (Kopfschmerzen, Schwindel, Bauchschmerzen, Dyspepsie, Durchfall, Verstopfung, Übelkeit, Müdigkeit, Muskelschmerzen), sowie einige seltene Nebenwirkungen wie Myopathie (Muskelentzündung), Diabetes und Schlaganfall. Nach langfristiger Verschreibung sind die Abbruchraten aufgrund von schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen in den Placebo-Armen verschiedener Studien recht hoch und schwanken zwischen 5 und 25% [11], was wegen des erhöhten Risikos kardiovaskulärer Ereignisse Anlass zu großer Sorge gibt.
Statine und ihre Fähigkeit, Nocebo-Effekte hervorzurufen
In unverblindeten Studien und in der klinischen Praxis wurde signifikant häufiger über vermehrte unerwünschte Wirkungen, insbesondere Muskelschmerzen, berichtet, die zum Absetzen des Medikaments führten, während die Beweise für vermehrte Muskelschmerzen als unerwünschte Wirkungen in verblindeten, placebokontrollierten Studien nicht stichhaltig sind [12]. Dies deutet auf einen Einfluss der öffentlichen Medien auf die Berichte über Nebenwirkungen in Internetforen und Chatrooms hin [13]. Um dies weiter zu untersuchen, setzten Khan et al. [14] die Anzahl der Internetseiten, auf denen Statine und Statin-assoziierte schwerwiegende unerwünschte Wirkungen diskutiert werden, mit der gemeldeten Häufigkeit von schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen in 13 Ländern weltweit in Beziehung, aufgeteilt auf verschiedene Sprachräume (Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Japanisch, Niederländisch, Polnisch, Portugiesisch, Schwedisch und Spanisch). Es wurde ein positiver und signifikanter Zusammenhang zwischen beiden gefunden, und obwohl wir wissen, dass Korrelationen nicht als kausal interpretiert werden können, stützt dies die Annahme, dass das vermehrte Auftreten von Nebenwirkungen nach der Verschreibung von Statinen auf die öffentlich zugänglichen Informationen und die Vorherrschaft englischsprachiger Länder (UK, USA, Kanada) zurückzuführen ist.
Biologika versus Biosimilars: Die Umstellung kann zu Nocebo-Effekten führen
Biologika sind Medikamente, die aus biologischen Quellen extrahiert (oder halbsynthetisiert) werden, im Gegensatz zu vollständig synthetisierten Arzneimitteln. Ein klassisches Beispiel ist Adalimumab (Humira), ein monoklonaler Antikörper, der als Antagonist gegen den Tumornekrosefaktor (TNF) wirkt und zur Behandlung von rheumatoider Arthritis, entzündlichen Darmerkrankungen und anderen chronischen entzündungsbedingten Krankheiten eingesetzt wird. Die zuerst entwickelten „Biologics“ (auch Originalpräparate genannt) sind extrem teuer (jährliche Therapiekosten von 20.000 US-Dollar/Euro oder mehr) [15] für eine lebenslange Therapie, daher werden die später entwickelten „Biosimilars“ von den Leistungserbringern im Gesundheitswesen unterstützt, da sie diese Kosten erheblich senken können [16, 17]. Dies ermutigt Krankenhäuser, Ärzte, Krankenkassen sowie Gesundheitsagenturen und -behörden, Biosimilars bei neu diagnostizierten Patienten einzusetzen und bei bereits behandelten Patienten, wo immer möglich, einen Wechsel von Biologika zu Biosimilars vorzuschlagen.
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Biosimilars müssen vor der Zulassung ihre therapeutische Äquivalenz nachweisen und verursachen in randomisierten, kontrollierten Studien in der Regel nicht mehr Nebenwirkungen als die Originalpräparate. Wie bei den Statinen (siehe oben) werden bei einer offenen Umstellung mehr Nebenwirkungen gemeldet als bei einer Umstellung unter doppelblinden Bedingungen, insbesondere wenn die ursprüngliche Therapie mit dem Biologikum erfolgreich war [18 – 20]. Dies entspricht den Effekten, die beim Wechsel von einem Markenmedikament zu einem Generikum beobachtet wurden [3]. Es hat sich gezeigt, dass verschiedene Gesundheitssysteme aus wirtschaftlichen Gründen unterschiedliche Lösungen für die Vorbereitung und Begleitung von Patienten bei einer solchen Umstellung erfordern (z. B. [16, 21]).
Beratung mit Fingerspitzengefühl
Warum wir einem Patienten nicht sagen können, dass er Nocebo-Effekte zeigt
Warum ist es in vielen Fällen von vermuteten Nocebo-Effekten nicht ratsam, solche erwartungsinduzierten Effekte für und vor dem einzelnen Patienten als „Nocebo-Effekte“ zu bezeichnen? Anders als bei Nocebo-Effekten in placebokontrollierten Studien können unerwünschte Wirkungen nach Einnahme eines „echten“ Arzneimittels immer, wenn auch sehr unwahrscheinlich, die Folge des Medikaments und nicht der Erwartung sein, unerwünschte Wirkungen zu erleben, und beides lässt sich im Einzelfall selten trennen – solche Nocebo-Effekte treten nur im Gruppenmittel über viele Patienten auf. Dies ist der Grund dafür: Die Etikettierung von Symptomen einer unerwünschten Arzneimittelwirkung als „Nocebo-Effekte“ verletzt die Autonomie der Patienten und untergräbt eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung, und das gilt in gleicher Weise für Apothekerinnen und Apotheker [1].
Diese Nocebo-Effekte können nicht ausschließlich auf die mangelnde Bereitschaft der Patientinnen zurückgeführt werden, von einer erfolgreichen Behandlung abzuweichen: Es hat sich gezeigt, dass das Wissen der Ärzte und Ärztinnen über die Gleichwertigkeit von Biosimilars zu Biologika begrenzt ist [22], was die Akzeptanz der Patienten für den Wechsel mitbestimmen kann. Eine weitere Einschränkung – die für alle statistischen Schätzungen der Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Nebenwirkungen bei allen Arzneimitteln gilt – ist die unterschiedliche Auslegung globaler Indikatoren für das Auftreten von Nebenwirkungen (z. B. sehr wahrscheinlich, wahrscheinlich, selten, sehr selten usw.) durch verschiedene Gesundheitsdienstleister (Ärzte, Apotheker, Krankenschwestern, Medizinstudenten) [23] und Patienten [24]. Solange Ärzte die Wahrscheinlichkeit einer unerwünschten Arzneimittelwirkung anders einschätzen als Patienten, kann es schwierig sein, eine Einigung zu erzielen, und es kann eine Änderung der Kommunikation zwischen Arzt und Patient im Vorfeld erfordern.
„Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“
Dieser Satz bei aller Werbung für Arzneimittel ist nicht vor allem deswegen nicht richtig, weil nicht geschlechtsneutral, er ist auch falsch und in die Irre führend, weil er die Rolle der Apotheker einschränkt und ihm bzw. ihr eine Rolle zuweist, die auf Beratung über Nebenwirkungen beschränkt ist – da die Konsultationszeit in einer Arztpraxis nur wenige Minuten dauert [25], wird der Apotheker oder die Apothekerin zum Überbringer der schlechten Nachricht: Das Arzneimittel hat Nebenwirkungen. Wie die Beipackzettel, die juristisch vor allem notwendig sind, um die Hersteller von der Produzentenhaftung zu entlasten, nützt die Information über unerwünschte Wirkungen dem Patienten wenig, wenn er oder sie die dahinterstehende juristische Rationale und die verbale (statistische) Beschreibung der Häufigkeit von unerwünschten Wirkungen nicht versteht, aber vor allem wenn nicht vermittelt wird, dass ein unerwünschtes Ereignis der Hinweis darauf sein kann, dass das Medikament seine Wirkung im Körper entfaltet. Statt also über unerwünschte Wirkungen zu reden, wäre es sinnvoller über die positiven Effekte des Arzneimittels – die Hauptwirkungen und nicht die Nebenwirkungen – zu informieren und die unerwünschten Wirkungen zum Anlass zu nehmen, diese hervorzuheben. Und angesichts der Zeitbeschränkung in den Arztpraxen könnte dies eine zentrale Aufgabe der Apotheker und Apothekerinnen sein oder werden.
Literatur
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