Arzneimittel-Lieferengpässe

Hubmann: Versorgungssicherheit gibt es nicht zum Nulltarif

Berlin - 01.09.2023, 16:15 Uhr

Hans-Peter Hubmann: „Die Apotheken in Deutschland erwarten jetzt und zu jeder Zeit eine bedarfsgerechte Belieferung für ihre Patientinnen und Patienten durch den pharmazeutischen Großhandel.“ (Foto: ABDA)

Hans-Peter Hubmann: „Die Apotheken in Deutschland erwarten jetzt und zu jeder Zeit eine bedarfsgerechte Belieferung für ihre Patientinnen und Patienten durch den pharmazeutischen Großhandel.“ (Foto: ABDA)


Lieferengpässe sind und bleiben ein Dauerbrenner in den Apotheken. Wie die Versorgungslage in der kommenden Erkältungssaison sein wird, ist kaum absehbar. Sicher ist nur: Lauterbachs Bittgesuch beim Großhandel offenbart, dass das Engpassgesetz noch kein Problem gelöst hat. Auch DAV-Chef Hans-Peter Hubmann erwartet vom Minister mehr als politische Schnellschüsse.

Mehr Vorräte und wenn nötig Importe – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist schon diesen Sommer bewusst, dass die Arzneimittelversorgung im Herbst und Winter erneut schwierig werden könnte. Gerade Kinderarzneimittel, Antibiotika sowie Fieber- und Schmerzmittel sind nach wie vor knapp. Das zeigt auch die Dringlichkeitsliste für Kinderarzneimittel, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit erstellt hat. Sie enthält „essentielle Arzneimittel für die Pädiatrie, die in der kommenden Infektionssaison möglicherweise einer angespannten Versorgungssituation unterliegen“.

Für diese Arzneimittel hatte Lauterbach den pharmazeutischen Großhandel um eine intensivierte Beschaffung und Lagerhaltung gebeten. Zudem hatte er angekündigt, für sie einen Versorgungsmangel (§ 79 Abs. 5 Arzneimittelgesetz) bekanntzumachen – unter anderem mit der Folge, dass fehlende Arzneimittel leichter aus dem Ausland beschafft werden können.

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Der Großhandelsverband Phagro hat allerdings seinerseits in einem Brief an den Minister deutlich gemacht, dass sein Ansinnen ins Leere läuft. Ein Viertel der Dringlichkeitsarzneimittel habe schon in den vergangenen Monaten nicht beschafft werden können, weil es keine Ware gab. Ein Achtel der gelisteten Präparate seien gar nicht mehr im Verkehr. Und im Übrigen kontingentierten die Hersteller viele Präparate. Lediglich für 10 Prozent der gelisteten Arzneimittel sieht der Phagro noch Chancen, Beschaffung und Lagerhaltung zu intensivieren. Und auch Importe sind aus Sicht des Großhandels keine Lösung über den Einzelfall hinaus.

Hubmann: realitätsfern und kontraproduktiv

Für die Apotheken ist dies eine düstere Aussicht – wenngleich sie auch im kommenden Herbst und Winter wieder nichts unversucht lassen werden, um ihre Patientinnen und Patienten trotz der Engpässe zu versorgen. Nun hat sich auch der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbands (DAV), Hans-Peter Hubmann, in die Diskussion eingeschaltet. Er sagt: „Die politische Idee, dass der pharmazeutische Großhandel sich für den Winter mit bereits jetzt schon schwer zu beschaffenden Medikamenten zusätzlich bevorraten soll, ist realitätsfern und kann sogar kontraproduktiv wirken.“ Er betont, dass die Apotheken in Deutschland „jetzt und zu jeder Zeit eine bedarfsgerechte Belieferung für ihre Patientinnen und Patienten durch den pharmazeutischen Großhandel“ erwarten. Auch wenn die Lager sich nicht füllen lassen – es gibt schließlich noch Hersteller, die produzieren.

Hubmann weiter: „Wie sollte eine norddeutsche Apotheke einem Elternpaar, das heute für das eigene Kind ein bestimmtes Medikament gegen eine akute Infektion benötigt, erklären, dass selbiges gerade nicht lieferbar ist, weil sich der Großhandel in Süddeutschland für die Erkältungssaison bevorraten will? Derartige politischen Schnellschüsse und auch das kürzlich beschlossene Lieferengpassgesetz werden in den kommenden Monaten zu keiner spürbaren Entspannung der Liefersituation führen.“

Handlungsspielräume der Apotheken reichen nicht aus

Der DAV-Chef räumt ein, dass das Arzneimittellieferengpass- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) den Apotheken zwar „eine gewisse Beinfreiheit“ eingeräumt habe, um nicht lieferbare Arzneimittel austauschen können. „Diese Handlungsspielräume sind aber noch nicht ausreichend und müssen erweitert werden.“ 

Das eigentliche Problem sei der Bundesgesundheitsminister bisher leider nicht angegangen, moniert Hubmann: „Die Versorgungssicherheit der Bevölkerung ist nicht zum Nulltarif zu haben, sondern muss letztlich bestellt und bezahlt werden. Dazu gehören weitergehende Abgabeerleichterungen für die Apotheken, eine wirklich adäquate Honorierung des Mehraufwandes der Apotheken für ihr Lieferengpassmanagement, der Schutz vor unberechtigten Retaxationen, aber auch eine Änderung des Billigpreissystems rund um die Rabattverträge.“

Um die Produktion wichtiger Wirkstoffe und Arzneimittel in Europa zu halten oder gar hierher zurückzuholen, müssten auch die gegenüber Fernost höheren Kosten für Sozialleistungen, Arzneimittelsicherheit und Umweltschutz angemessen bezahlt werden. „Das sollte uns die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung in Deutschland wert sein – gerade auch für vulnerable Gruppen wie Kinder oder chronisch kranke Menschen“, so der DAV-Vorsitzende.


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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2 Kommentare

Hamsterkäufe

von Holger am 04.09.2023 um 15:52 Uhr

In der Pandemie wurde ich als Bürger gescholten, wenn ich Teigwaren, Konserven und Toilettenpapier gehamstert habe - und jetzt werde ich als Apotheker offiziell vom gleichen Bundesminister dazu aufgefordert?? o tempora, o mores

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Versorgungssicherheit zum Nulltarif

von Roland Mückschel am 02.09.2023 um 15:54 Uhr

Doch Herr Hubmann, die gibt es zum Nulltarif.
Wir machen es ja jeden Tag vor.
Warum sollte da die Politik was ändern?

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