Psychologischer Ansatz

Achtsamkeitsübungen helfen Frequenz von Migräneattacken zu senken

Stuttgart - 05.09.2023, 09:15 Uhr

Achtsamkeitsübungen können den Migränetrigger Stress reduzieren. (Foto: kegfire / AdobeStock)

Achtsamkeitsübungen können den Migränetrigger Stress reduzieren. (Foto: kegfire / AdobeStock)


Migränepatienten können von Achtsamkeitsübungen profitieren. Das konnte ein italienisches Forschungsteam in einer aktuellen Studie bei Probanden zeigen, die sowohl an chronischer Migräne als auch an Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch litten.

Bei einer chronischen Migräne leiden Personen an mehr als 15 Tagen im Monat seit mehr als drei Monaten an Kopfschmerzen und anderen Migränesymptomen. Geht eine chronische Migräne zusätzlich mit Kopfschmerzen einher, die durch häufige Einnahme oder Missbrauch von Schmerzmitteln entstehen, werden der Alltag und die Lebensqualität der Patienten massiv beeinträchtigt.

Neben der medikamentösen Therapie mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) und Triptanen gewinnen stressreduzierende Maßnahmen im Management der Migräne immer mehr an Bedeutung. Beim Achtsamkeitstraining sollen die Patienten ihre volle Aufmerksamkeit auf das Jetzt legen und wertfrei ihre Sinnempfindungen und den gesamten Körper spüren. Ziel ist es, die Schmerzen zu akzeptieren und sich dadurch besser zu fühlen und weniger Arzneimittel einnehmen zu müssen [1, 3].

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Individuell gegen Migräne

Italienische Wissenschaftler untersuchten in einer randomisierten, einfach verblindeten Phase-III-­Studie, ob Menschen, die an chronischer Migräne und Kopfschmerz durch Medikamentenüber­gebrauch leiden, von einem Achtsamkeitstraining zusätzlich zur Standard­therapie profitieren können [1]. Dabei umfasste die Standardtherapie Arzneimittelentzug bei Übergebrauch, Edukation zu korrektem Arzneimitteleinsatz und zu Lebensstil­aspekten sowie eine individuell angepasste Prävention. Das Achtsamkeitstraining wurde in sechs Gruppensitzungen erlernt und jeder Teilnehmer sollte sieben bis zehn Minuten täglich selbstständig Übungen machen. Der primäre Endpunkt war definiert als die Reduktion der Kopfschmerztage um mindestens 50% nach zwölf Monaten. Zu Studienbeginn erlebten die Probanden in den vergangenen drei Monaten im Median 60 Kopfschmerztage, das heißt, sie litten an einer schweren Form der Erkrankung. Von 177 Studienteilnehmern erhielten 88 ein Achtsamkeitstraining zusätzlich zur Standardtherapie und 89 nur eine Standardtherapie. In der Gruppe mit dem zusätzlichen Achtsamkeitstraining erreichten 78,4% den Endpunkt, in der Gruppe mit der Standardtherapie alleine konnten signifikant weniger Patienten die Kopfschmerzfrequenz um die Hälfte senken (48,3%; p < 0,0001). Die Differenz der Kopfschmerzfrequenz zwischen beiden Gruppen lag bei etwa 3,5 Tagen pro Monat zugunsten der Gruppe, die Achtsamkeitsübungen durchführte. Auch besserte das Achtsamkeitstraining die Lebensqualität, Auswirkungen des Kopfschmerzs wie ineffizientes Arbeiten oder Arbeits­unfähigkeit sowie Gesundheitskosten. Die Teilnehmer in der Achtsamkeitsgruppe nahmen weniger NSAR ein, bei den Triptanen gab es keinen Unterschied. Das Forschungsteam vermutet, dass die Patienten in dieser Gruppe besser einschätzen konnten, wann eine Arzneimitteleinnahme wirklich nötig ist und wann mit bewusster Entspannung entgegengewirkt werden kann [1].

In der S1-Leitlinie empfohlen

Das Team der Studie konkludiert: Achtsamkeitsmeditation sollte als Bestandteil des Migränemanagements erwogen werden bei Patienten mit chronischer Migräne und Kopfschmerzen durch Medikamentenübergebrauch [1 – 3].

In der aktuellen S1-Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“ wird empfohlen, zusätzlich zur medikamentösen Migräne­prophylaxe psychologische Verfahren einzusetzen, beispielsweise Achtsamkeit zur Verbesserung der Lebens­qualität. Achtsamkeitsbasierte Ansätze adressieren den häufigen Migräne­trigger Stress. Von Achtsamkeitsmeditation profitieren Patienten mit episodischer Migräne (maximal an 14 Tagen im Monat Migränesymptome) wahrscheinlich mehr als solche mit chronischer Migräne, schlussfolgern die Leitlinienautoren aus einer randomisierten Phase-IIb-Studie [4, 5].

Praktische Tipps für Achtsamkeitsübungen

  • an einem ruhigen Ort in bequemer Position, im Sitzen oder Liegen durchführen
  • Augen schließen und tief atmen, sich auf das Atmen und den Luftstrom konzentrieren
  • wertfreies Annehmen von dem, was man fühlt oder denkt
  • wenn man gedanklich abschweift, wieder auf das Atmen konzentrieren
  • zuerst nur ein paar Minuten durchführen und die Länge mit der Zeit steigern
  • spezialisierte Zentren oder Trainer für Achtsamkeit zur Durchführungsbegleitung und Unterstützung konsultieren

Literatur

[1] Grazzi L et al. Effcacy of mindfulness added to treatment as usual in patients with chronic migraine and medication overuse headache: a phase-III single-blind randomized-controlled trial (the MIND-CM study). J Headache Pain 2023;24(1):86, doi: 10.1186/s10194-023-01630-0

[2] Wells RE et al. Effectiveness of Mindfulness Meditation vs Headache Education for Adults With Migraine. JAMA Intern Med 2021;181(3):317-328, doi: 10.1001/jamainternmed.2020.7090

[3] Ashina S. How can mindfulness practices help with migraine? Blogartikel des Harvard Health Publishing, 15. Dezember 2021

[4] Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne. S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (Hrsg.) unter Beteiligung weiterer Fachgesellschaften, AWMF-Register-Nr. 030/057, Stand: 18. 0ktober 2022

[5] Seng E et al. Does Mindfulness-Based Cognitive Therapy for Migraine Reduce Migraine-Related Disability in People with Episodic and Chronic Migraine? Headache 2019; 59(9):1448–1467, doi: 10.1111/head.13657


Juliane Russ, Volontärin DAZ
redaktion@daz.online


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