Eptinezumab, Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab

Wie unterscheiden sich die Antikörper zur Migräneprophylaxe?

Stuttgart - 05.09.2023, 17:50 Uhr

Zur Vorbeugung von Migräneattacken stehen ganz unterschiedliche Wirkstoffe zur Auswahl. In den letzten fünf Jahren kamen monoklonale Antikörper hinzu. (Foto: Syda Productions / AdobeStock)

Zur Vorbeugung von Migräneattacken stehen ganz unterschiedliche Wirkstoffe zur Auswahl. In den letzten fünf Jahren kamen monoklonale Antikörper hinzu. (Foto: Syda Productions / AdobeStock)


Mehrere monoklonale Antikörper sind in den letzten Jahren zur Migräneprophylaxe zugelassen worden. Anlässlich des internationalen Kopfschmerztags am 5. September lohnt sich ein Blick auf Eptinezumab, Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab. Wann kann welcher Antikörper eingesetzt werden und wie unterscheiden sie sich? 

Antikörper gegen das Neuropeptid Calcitonin Gene-Related Pep­tide (CGRP) oder dessen Rezeptor beugen episo­dischen und chronischen Migräne­attacken wirksam und verträglich vor. Derzeit sind in der EU vier dieser Bio­logika zugelassen: Eptine­zumab (Vy­epti®), Erenumab (Aimovig®), Fremane­zumab (Ajovy®) und Galcanezumab (Emgality®). Dabei adressiert Erenumab den CGRP-­Rezeptor, während Eptinezumab, Fremanezumab und Galcanezumab das Neuropeptid CGRP direkt ausschalten. Wo liegen weitere Unterschiede und wann kann welcher Antikörper verordnet werden?

Bisher keine Head-to-Head-Studien

Die Autoren der aktuellen S1-Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“ widmen diesen Fragen ein extra Kapitel [1]. Ob einer der monoklonalen Antikörper den anderen hinsichtlich Wirksamkeit oder Verträglichkeit überlegen ist, lässt die aktuelle Datenlage derzeit noch offen, denn es fehlen vergleichende Head-to-Head-Studien. Zwar gibt es Untersuchungen, die die jeweiligen Zulassungsstudien vergleichen. Diese werden jedoch von den Leitlinienautoren als „methodisch kritisch“ bewertet, da die jeweiligen Studien unterschiedliche Ein- und Ausschlusskriterien hatten und sich auch darin unterscheiden, wie die Verringerung der Migränetage berechnet worden ist. Eine 2021 veröffentlichte Metaanalyse [2] zeigte jedoch einen Vorteil für Fremanezumab: Unter diesem Antikörper war die Wahrscheinlichkeit am größten, dass die Migränepatienten auf die Therapie ansprachen. Die 50%-Responderrate war unter Fremanezumab 2,58-mal so hoch wie unter Placebo (Odds Ratio = 2,58). Unter Galcanezumab war sie 2,41-mal, unter Erenumab 2,25-mal und unter Eptinezumab 2,02-mal so hoch wie bei Placebogabe.

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Allerdings messen die Leitlinien­autoren dieser Metaanalyse keinen therapieentscheidenden Stellenwert bei. Denn fasse man alle Metaanalysen zusammen, zeigten sich „keine Unterschiede in der Wirksamkeit der monoklonalen Antikörper“, weder bei der durchschnittlichen Reduktion der monatlichen Migränetage noch bei den Ansprechraten. Insgesamt schneiden alle Migräne-Antikörper in der aktuellen S1-Leitlinie gut ab: „Die monoklonalen Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor sind in der Prophylaxe der episodischen und chronischen Migräne wirksam. Sie haben ein sehr gutes Verträglich­keitsprofil“ [1].

Eine Frage der Erstattung

Dass direkte Wirkstoffvergleiche fehlen, störte auch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bei der frühen Nutzenbewertung der Antikörper. Das Gremium hätte sich vor allem auch vergleichende Daten zu anderen Wirkstoffen gewünscht, die zur Mi­gräneprophylaxe eingesetzt werden. Mittlerweile liegen für Erenumab Daten vor: In der HER-MES­-Studie verglich Novartis Erenumab mit Topiramat und konnte für seinen Antikörper tatsächlich einen Vorteil zeigen [3]. Erenumab wirkte besser als Topiramat und senkte die Zahl der monatlichen Migränetage bei über der Hälfte (55,4%) der Patienten um mindestens die Hälfte. Unter Topiramat halbierte nur knapp jeder Dritte (31,2%) seine monatliche Migräne­belastung. Aufgrund dieser Daten kam der G-BA 2021 zu dem Schluss, dass der CGRP-Rezeptor­-Antikörper auch verglichen mit Topiramat einen „Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen“ bringt [4]. 2019 hatte das Gremium zunächst lediglich einen „Anhaltspunkt auf einen beträcht­licher Zusatznutzen in der Migräneprophylaxe“ im Vergleich mit Best Suppor­tive Care – also für austherapierte Patienten – attestiert [5]. 

Für die Erstattung bedeutet der Beschluss des G-BA von 2021: Die ge­setzliche Krankenversicherung übernimmt die Kosten für Erenumab auch ohne Vortherapie mit einem anderen Migräneprophylaktikum. Anders sieht es bei Fremanezumab und Galcane­zumab aus: Diese beiden CGRP-Antikörper hält der G-BA weiter nur für Patienten sinnvoll, die nicht auf eine medikamentöse Therapie mit den folgenden Wirkstoffen angesprochen oder sie nicht vertragen haben oder für diese nicht geeignet sind: Meto­prolol, Propranolol, Flunarizin, Topiramat, Ami­triptylin, Valproin­säure und Clostri­dium-botulinum-Toxin Typ A (Letzteres nur bei chronischer Mi­gräne) [6, 7]. 

Und was ist mit Eptinezumab, dem jüngsten der vier Antikörper? Für Eptinezumab ist dem G-BA-Beschluss vom 16. Februar 2023 zufolge der Zusatznutzen verglichen mit der zweckmäßigen Vergleichs­therapie (Metoprolol, Propranolol, Flunarizin, Topiramat, Amitriptylin, Clostridium-botulinum-Toxin Typ A oder Erenumab) oder nach Versagen dieser Behandlung verglichen mit Erenumab, Fremanezumab oder Galcanezumab nicht belegt [8].

Indikation bei allen Antikörpern gegen Migräne gleich

Daher bleibt die Verordnung der CGRP- beziehungsweise CGRP-­Rezeptor-Antikörper in der Migräneprophylaxe eine individuelle Entscheidung. Sie sind alle zur Vorbeugung von episodischer und chronischer Migräne und für Patienten mit mindestens vier Migränetagen pro Monat zugelassen. Mit eine Rolle für die Wahl eines der vier Antikörper könnten die Art der Verabreichung und das Dosierungsintervall spielen. So sind Erenumab, Fremanezumab und Gal­canezumab zur subkutanen Selbst­verabreichung gedacht, Eptinezumab hingegen erhalten Migränepatienten als intravenöse Infusion, was eine Selbstapplikation ausschließt. 

Vorteilhaft ist bei Eptinezumab hingegen ein besonders schneller Wirkeintritt – wahrscheinlich aufgrund der intravenösen Gabe. Laut Fachinformation wurden in Studien die durchschnitt­lichen monatlichen Migränetage im Vergleich zu Placebo bereits ab dem ersten Tag nach der Infusion von Eptinezumab reduziert [9]. Ein weiterer Vorteil dieses Antikörpers ist sein langes Dosierungsintervall von drei Monaten. Die Möglichkeit einer dreimonatigen Applikation bringt auch Fremanezumab mit sich – Erenumab und Galcanezumab werden hingegen im Monatsrhythmus verabreicht.

Wichtig ist auch zu wissen: Sollte ein Migränepatient auf einen der vier Antikörper nur unzureichend an­sprechen, darf auf einen anderen Antikörper gewechselt werden.

Migräne mittels Neuromodulation vorbeugen und behandeln

dab | Mit Nerivio® könnte in der EU ab 2024 ein Neuromodulationsgerät zur akuten Behandlung und Prävention der Migräne zur Verfügung stehen. Gedacht ist das Medizinprodukt für die Anwendung bei Erwachsenen und Jugendlichen. Dazu wird das Gerät am Oberarm befestigt und über eine Smartphone-App gesteuert. Mittels nicht schmerzhafter Fern-Neuromo­dulation, der sogenannten Remote Electrical Neuromodulation, sollen nozi­zeptive Nervenfasern im Arm aktiviert und damit im Gehirn ein absteigender Schmerzbewältigungsmechanismus induziert werden. Durch diesen Ansatz der konditionierten Schmerzmodulation soll schließlich der Migränekopfschmerz gelindert werden. Präventiv wird das Neuromodulationsgerät jeden zweiten Tag für 45 Minuten angewendet. In der Akutbehandlung soll es zu Beginn des Migräneanfalls eingesetzt werden.

In den USA ist Nerivio® bereits seit 2020 verordnungsfähig und wird dort von mehr als 50.000 Patienten genutzt [10].

Literatur

[1] Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne. S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (Hrsg.) unter Beteiligung weiterer Fachgesellschaften, AWMF-Register-Nr. 030/057, Stand: 18. 0ktober 2022

[2] Frank F et al. CGRP-antibodies, topiramate and botulinum toxin type A in episodic and chronic migraine: A systematic review and meta-analysis. Cephalalgia 2021;41(11-12):1222–1239, doi: 10.1177/03331024211018137

[3] Reuter U et al. Erenumab versus topiramate for the prevention of migraine - a randomised, double-blind, active-controlled phase 4 trial. Cephalalgia 2022;42(2):108-118, doi: 10.1177/03331024211053571

[4] Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie: Anlage XII – Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V Erenumab (Neubewertung aufgrund neuer Wissenschaftlicher Erkenntnisse (Migräne-Prophylaxe)). 21. Oktober 2021

[5] Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL): Anlage XII – Beschlüsse über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V Erenumab. 2. Mai 2019

[6] Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL): Anlage XII – Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V Fremanezumab. 7. November 2019

[7] Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL): Anlage XII – Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V Galcanezumab. 19. September 2019

[8] Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie: Anlage XII – Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) Eptinezumab (Migräne-Prophylaxe). 16. Februar 2023

[9] Fachinformation Vyepti®, Stand: November 2022

[10] CE-Kennzeichnung von Nerivio® erweitert Indikation auf präventive und akute Behandlung von Migräne bei Jugendlichen und Erwachsenen. Pressemitteilung von Theranica, 9. August 2023


Celine Bichay, Apothekerin, Redakteurin DAZ
redaktion@daz.online


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