Weltdiabetestag

Rückzug oder Vormarsch? Diabetes in Deutschland

Stuttgart - 14.11.2023, 13:45 Uhr

Mehr oder weniger Diabetiker:innen? Wie hat sich die Inzidenz in Deutschland seit 2017 verändert? (Foto: Dragana Gordic / AdobeStock)

Mehr oder weniger Diabetiker:innen? Wie hat sich die Inzidenz in Deutschland seit 2017 verändert? (Foto: Dragana Gordic / AdobeStock)


Anlässlich des Geburtstages des Insulin-(Mit-)Entdeckers Frederick Banting, ist der 14. November der jährliche Weltdiabetestag. Pünktlich zu diesem Anlass hat das Robert Koch-Institut Routinedaten zur Inzidenz von Diabetes im Zeitraum 2015 bis 2021 – also inklusive zweier Pandemiejahren – ausgewertet. Bei den Diabetes Typen 1 und 2 zeichnen sich hier verschiedene Bilder ab.

Weltweit leben 10,5% aller Menschen im Alter zwischen 20 und 79 Jahren mit einer Diabetes-Erkrankung (Prävalenz). Das schätzt die Internationale Diabetes Federation in ihrem Diabetes Atlas 2021 [1]. Eine umfangreiche Studie berechnete, dass im Jahr 2017 fast 23 Millionen Personen neu erkrankten. Die Inzidenz lag dementsprechend bei 285/100.000 [2].

Aber wie sieht es konkret in Deutschland aus? Wie ist die Inzidenz hierzulande? Hat sie sich in den letzten Jahren und besonders im Zug der Pandemie verändert? Hierfür hat das Robert Koch-Institut (RKI) anonymisierte Routinedaten von neun Millionen Krankenversicherten über den Zeitraum 2015 bis 2021 ausgewertet, bei denen im Jahr 2014 keine Diabetesdiagnose vorlag und die keine Antidiabetika verordnet bekamen. Besonders interessierte die Autor:innen hierbei, wie viele Versicherte im Auswertungszeitraum eine Diabetesdiagnose neu erhielten. Dies waren im Durchschnitt und hochgerechnet auf die gesamte Bevölkerung jährlich 0,7% der eingeschlossenen Personen. Mit 96,2% ließ sich der Großteil der Erkrankungen einem Typ-2-Diabetes zuordnen. 1,5% entfielen auf Diabetes Typ 1 und 2,3% auf sonstige Diabetesformen [3].

Hinsichtlich des Typ-1-Diabetes beobachteten die Autor:innen eine Zunahme der altersstandardisierten Inzidenz: Diese stieg von 9,5 Neuerkrankten pro 100.000 Personen im Jahr 2015 auf 11,6/100.000 im Jahr 2021. Besonders stark stieg die Inzidenz bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren, nämlich von 25,8 auf 33,6 Neuerkrankte/100.000 Personen. Der größte Teil des Anstieges entfiel auf die Inzidenz 2020 in Bezug auf das vorpandemische Jahr 2019. 

COVID-19 und Diabetes-Inzidenz

Hat also die COVID-19-Pandemie die Inzidenz nach oben getrieben? Ein direkter Zusammenhang zwischen SARS-CoV-2-Infektionen und der Entwicklung eines Typ-1-Diabetes sei bisher nicht eindeutig belegt, heißt es hierzu vom RKI. Weiterhin sei ein Einfluss von indirekten Faktoren denkbar. „So könnten Eindämmungsmaßnahmen oder die Angst vor einer Ansteckung Stress befördert haben, der wiederum in Folge das Risiko für die Entwicklung einer Autoimmunreaktion erhöhen könnte.“ Dass die Betroffenen ärztlichen Rat erst verzögert aufsuchten, scheint hingegen unplausibel. Auf diesen könne bei akut auftretender Symptomatik der Manifestation eines Typ-1-Diabetes nicht verzichtet werden [3].

Beim Typ-2-Diabetes beobachtet das RKI ausgehend von einer Inzidenz von 0,74% im Jahr 2015 zunächst eine Abnahme auf 0,67% 2017. Das Niveau bleibt anschließend bis 2019 konstant. 2020 sinkt die Inzidenz erneut, um 2021 wieder auf 0,74% anzusteigen. Vor der Pandemie könnten bspw. veränderte Diagnosekriterien, Präventionsmaßnahmen und Aufklärungskampagnen dazu beigetragen haben, dass die Inzidenz nicht anstieg. Das Absinken der Inzidenz 2020 könnte mit einem Rückgang der Inanspruchnahme von gesundheitlichen Versorgungsleistungen zu tun haben. Der Anstieg 2021 ließe sich unterdessen nicht ausschließlich durch einen Nachholeffekt erklären. Es gebe wissenschaftliche Daten, die eine Steigerung des Risikos für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes durch eine SARS-CoV-2-Infektion nahelegen. Die genauen Mechanismen seien aber noch nicht geklärt [3].

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An beiden Diabetes-Typen erkrankten Männer etwas häufiger als Frauen. Auch wurde für beide Typen ein Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Deprivationsindex festgestellt: Personen aus einer Wohngegend mit einem niedrigen sozioökonomischen Status erkrankten häufiger als solche aus einer Gegend mit einem hohen Status [3].

Abschließend weisen die Autorinnen darauf hin, dass die von ihnen ausgewerteten Routinedaten zwar eine detaillierte Schätzung ermöglichten, jedoch gewisse Verzerrungen nicht auszuschließen seien und beenden den Artikel mit einem Appell: „Die insgesamt relativ hohen Inzidenzen von Typ-1-Diabetes und Typ-2-Diabetes in Deutschland verdeutlichen den Bedarf an angemessenen Präventionsstrategien, die auch die soziale Ungleichheit in den Inzidenzen verringern“ [3].

Literatur

[1] International Diabetes Federation. IDF Diabetes Atlas, 10 Edition. Brüssel, Belgium: 2021. diabetesatlas.org/atlas/tenth-edition/

[2] Liu J et al. Trends in the incidence of diabetes mellitus: results from the Global Burden of Disease Study 2017 and implications for diabetes mellitus prevention. BMC Public Health. 2020;20(1):1415. doi: 10.1186/s12889-020-09502-x.

[3] Reitzle L, et al. Inzidenz von Typ-1- und Typ-2-Diabetes vor und während der COVID-19-Pandemie in Deutschland: Analyse von Routinedaten der Jahre 2015 bis 2021. J Health Monit 2023;8(S5):2–26. DOI 10.25646/11703


Dr. Gesa Gnegel, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (gg)
redaktion@daz.online


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