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Azithromycin – überwiegt der Nutzen noch die Risiken?

Stuttgart - 16.11.2023, 10:45 Uhr

Azithromycin ist innerhalb der EU nicht zentral, sondern durch die einzelnen Mitgliedsstaaten zugelassen. Dadurch gibt es europaweit voneinander abweichende Produktinformationen. (Symbolbild: walterericsy / AdobeStock)

Azithromycin ist innerhalb der EU nicht zentral, sondern durch die einzelnen Mitgliedsstaaten zugelassen. Dadurch gibt es europaweit voneinander abweichende Produktinformationen. (Symbolbild: walterericsy / AdobeStock)


Azithromycin wird häufig bei Infektionen der oberen Atemwege verordnet und stellt in vielen Fällen eine therapeutische Alternative zu Penicillinen dar. Aufgrund zunehmender Antibiotika-Resistenzen bei steigendem Einsatz innerhalb der EU leitet die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) nun aber ein Verfahren ein, um Nutzen und Risiken von Azithromycin bei seinen verschiedenen Indikationen neu zu bewerten.

Auf Grundlage neuer Studiendaten und Initiative des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat der Humanarzneimittelausschuss (CHMP) der EMA ein Überprüfungsverfahren Azithromycin-haltiger oraler oder intravenöser Arzneimittel eingeleitet. Azithromycin ist innerhalb der EU nicht zentral, sondern durch die einzelnen Mitgliedsstaaten zugelassen. Dadurch gibt es europaweit voneinander abweichende Produktinformationen. Insbesondere uneinheitliche Angaben zur Indikation können hier zu unkritischem und übermäßigen Einsatz führen.
Um das in Zukunft zu verhindern, wird der CHMP sämtliche verfügbaren Informationen analysieren. Nutzen und Risiken von Azithromycin werden erneut bewertet und gegebenenfalls ein Anpassen der Zulassung empfohlen. Basierend auf der Stellungnahme des CHMP kann dann die Europäische Kommission eine für alle Mitgliedsstaaten rechtsverbindliche Entscheidung treffen. Mit einem Ergebnis kann laut dem Zeitplan der EMA im März 2024 gerechnet werden [1,2].
Das Ergebnis bleibt abzuwarten, doch der indikationsgerechte Einsatz des Antibiotikums kann schon jetzt bei der Abgabe in der Apotheke hinterfragt werden. Was sollten Apotheker und Apothekerinnen deshalb über Azithromycin wissen?

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Resistenzen gegen Azithromycin nehmen zu, insbesondere bei Staphylokokken (wie z. B. Staphylococcus aureus oder Staphylococcus epidermis) und Streptokokken (z. B. Streptococcus agalactiae oder Streptococcus pneumoniae). Auch können sich Kreuzresistenzen zu anderen Antibiotika-Klassen (Lincosamiden und Streptograminen der Gruppe B, sogenannte MLSB-Resistenzen) manifestieren [3,4]. Dementsprechend ordnet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Azithromycin in ihrer AWaRe-Klassifikation der Kategorie „beobachten“ zu [5].

AWaRe-Klassifizierung der WHO 

Das Akronym AWaRe steht für Access/Watch/Reserve und klassifiziert Antibiotika in drei Gruppen:

Access (zugreifen): Antibiotika dieser Gruppe sind erste oder zweite Wahl bei der empirischen Therapie spezifischer infektiöser Syndrome und haben ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis sowie eine geringere Tendenz Antibiotika-Resistenzen zu erweitern.

Watch (beobachten): Antibiotika dieser Gruppe sind zwar teilweise auch erste oder zweite Wahl bei spezifischen infektiösen Syndromen, einige stellen auch die jeweils bestmögliche Therapieoption dar, haben aber ein größeres Potential zur Resistenzbildung.

Reserve (zurückhalten): Antibiotika dieser Gruppe stellen aufgrund multipler Resistenzen die letzte Option dar, bei strenger Indikationsstellung spezifischer infektiöser Syndrome, um ihre fortwährende Effektivität zu gewährleisten [5].

Neue Daten liefert eine Studie des „Data Analysis and Real World Interrogation Network“ (DARWIN EU). Darin wurde der Einsatz von Antibiotika der AWaRe-Liste von 2012 bis 2021 in vier EU-Mitgliedstaaten (Niederlande, Spanien, Frankreich, Deutschland) und Großbritannien untersucht. Demnach zählt Azithromycin zu den häufiger eingesetzten Antibiotika, im zeitlichen Verlauf über mehrere Jahre ergab sich ein heterogenes Bild zwischen den verschiedenen Staaten: In einigen nahm die Verordnungszahl über die Zeit zu, in anderen ab oder blieb konstant [6].

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Daten des Robert-Koch-Instituts zur Antibiotika-Verbrauchs-Surveillance bis zum vierten Quartal 2022 zeigen einen zunehmenden Einsatz von Azithromycin in deutschen Krankenhäusern. Besonders ab 2020 im ersten Quartal wurde es häufiger angewendet, mit Spitzen jeweils im vierten Quartal, was einen Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie vermuten lässt [7].
Dem Arzneiverordnungsreport 2022 ist dagegen deutschlandweit ein Rückgang der Azithromycin-Verordnungen um 11,1 % (von 2020 auf 2021) zu entnehmen. Mit 8,1 Millionen definierten Tagesdosen ist es trotzdem das meistverordnete Makrolid-Antibiotikium [8].

Azithromycin wird systemisch zur Behandlung von Atemwegs- und Weichteilinfektionen, sowie den sexuell übertragbaren Erregern Chlamydia trachomatis oder Neissera gonorrhoeae eingesetzt. Es ist sehr gut gewebegängig und durch die lange Halbwertszeit von zwei bis vier Tagen sind für viele Indikationen simple Therapieschemata (einmal tägliche Einnahme für drei Tage) möglich. Dabei wird ein relativ breites Spektrum an aeroben Erregern im gram-positiven und –negativen Bereich abgedeckt. Auch in der S2k-Leitlinie Antibiotikatherapie bei HNO-Infektionen heißt es, dass aufgrund der sehr langen Halbwertszeit von Azithromycin eine Drei- bzw. Fünf-Tage-Therapie mit täglicher Einzelgabe meist ausreicht, allerdings: 


„Durch die langen subinhibitorischen Wirkstoffkonzentrationen und die damit einhergehende Förderung bakterieller Resistenzentwicklung wird empfohlen, Azithromycin nur bei mangelnden Alternativen einzusetzen und den Therapieeffekt trotz Langzeitwirkung wie bei anderen Antibiotika zu kontrollieren.“

S2k-Leitlinie Antibiotikatherapie bei HNO-Infektionen [9]


Als Hemmstoff der bakteriellen Proteinbiosynthese wirkt Azithromycin bakteriostatisch. Zudem ist es relativ verträglich, häufigste Nebenwirkungen sind gastrointestinaler Art. Es sollte allerdings die für Makrolide typische QT-Zeit-Verlängerung beachtet und bei Patienten mit entsprechendem Risiko nur mit Vorsicht eingesetzt werden. Im Gegensatz zu anderen Makrolid-Antibiotika ist das Risiko für Interaktionen über CYP 3A4 geringer. Bei einer bestehenden Penicillin-Allergie ist Azithromycin bei passender Indikation eine Therapiealternative [3,4,9].

Literatur:

[1] Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Azithromycin: Neubewertung des Nutzens und der Risiken, 10.11.2023, Stand: 10.11.2023, www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RV_STP/a-f/azithromycin.html

[2] European Medicines Agency: EMA starts review of azithromycin-containing medicines, Stand: 10.11.2023,
www.ema.europa.eu/en/medicines/human/referrals/azithromycin-containing-medicinal-products-systemic-use

[3] Geisslinger G et al. Mutschler Arzneimittelwirkungen, 11. Auflage 2020

[4] Pfizer Fachinformation Zithromax® 250/500 mg Filmtabletten, Stand Juli 2023, abgerufen über www.fachinfo.de

[5] 2021 AWaRe classification. WHO access, watch, reserve, classification of antibiotics for evaluation and monitoring of use, Stand: 30.09.2021, www.who.int/publications/i/item/2021-aware-classification

[6] DARWIN EU® - DUS of Antibiotics in the ‘Watch’ category of the WHO AWaRe classification of antibiotics for evaluation and monitoring of use, Stand: 28.03.2023, www.encepp.eu/encepp/viewResource.htm?id=104143

[7] Robert Koch-Institut: AVS, Abruf: 14.11.2023, avs.rki.de

[8] Ludwig WD et al. Arzneiverordnungsreport 1. Auflage 2022

[9] S2k-Leitlinie Antibiotikatherapie bei HNO-Infektionen. Stand 15.07.2019, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/017-066


Simon Siuts, Apotheker
redaktion@daz.online


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