„Aquiette, das den Wirkstoff Oxybutynin enthält, wird zur Behandlung von Langzeitsymptomen der überaktiven Blase (OAB) bei Frauen zwischen 18 und 65 Jahren eingesetzt, wie z. B. dringender Harndrang und häufiges Wasserlassen ohne Schmerzen“ [8].
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Großbritannien hat sich dagegen entschieden
Oxybutynin ohne Rezept gegen eine überaktive Blase?
Apotheker:innen in Deutschland haben sich diese Frage vermutlich noch nicht oft gestellt, doch in Großbritannien ist man ihr erst in diesem Sommer nachgegangen: Wäre eine Entlassung aus der Verschreibungspflicht von Oxybutynin zur Behandlung der überaktiven Blase nicht sinnvoll? In den USA gibt es Oxybutynin-Pflaster tatsächlich bereits seit 2013 ohne Rezept. Warum man sich in Großbritannien dennoch gegen einen OTC-Switch entschieden hat, lesen Sie hier.
Ob als Tabletten (Dridase®, Oxybugamma®), transdermale Pflaster (Kentera®) oder auch Fertigspritzen zur intravesikalen Anwendung (Velariq®, Vesoxx®) – Oxybutynin hat vermutlich jede:r Apotheker:in und jede:r PTA schon einmal abgegeben [1].
Erwähnt wird Oxybutynin beispielsweise in der
- „S2k-Leitlinie Medikamentöse Therapie der neurogenen Dysfunktion des unteren Harntraktes (NLUTD)“,
- „S2k-Leitlinie Harninkontinenz der Frau“ oder
- „S2e-Leitlinie Harninkontinenz bei geriatrischen Patienten, Diagnostik und Therapie“.
Das zeigt seine praktische Relevanz für die Therapie [2,3,4]: „Die orale antimuskarinerge Therapie mit Dosiseskalation wird als first-line Therapie bei NDÜ [NDÜ – neurogener Detrusorüberaktivität] infolge NLUTD [NLUTD – Neurogenic Lower Urinary Tract Dysfunction] bezeichnet“, heißt es etwa in der ersten Leitlinie [2].
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Die zweite Leitlinie warnt allerdings beispielsweise vor einem „deutlichen negativen Einfluss auf die kognitive Funktionsleistung“ und Oxybutynin „soll aufgrund seines hohen Nebenwirkungsprofils“ bei älteren Patient:innen gemieden werden [3]. Auch die Priscus-Liste führt Oxybutynin als inadäquate Medikation im Alter (PIM) auf, nennt aber keine medikamentösen Alternativen. Es ist also vor allem ein gutes Monitoring der Patient:innen gefragt [5]. Und so heißt es auch in der dritten oben genannten Leitlinie: „Die beschriebene Gruppe der Anticholinergika Darifenacin, Fesoterodin, Oxybutynin, Propiverin, Solifenacin, Tolterodin und Trospiumchlorid stellt unter Beachtung der Kontraindikationen und Nebenwirkungen eine wirksame Therapie der überaktiven Blase dar (Evidengrad Ia, Empfehlungsgrad A, 100 %) [4].“
Nebenwirkungen – eine Frage der Darreichungsform?
Neben der kognitiven Beeinträchtigung ist die Mundtrockenheit ein bekannter anticholinerger Effekt, der sich aber womöglich mithilfe der geeigneten Darreichungsform managen lässt: „Mit der Einführung des 'Oxybutynin-Pflasters', dem 'Transdermal Delivery System', ist es möglich, die Leberpassage und den sog. First-Pass-Effekt zu umgehen. Damit wird das Freiwerden von ebenfalls Mundtrockenheit induzierenden Metaboliten des Oxybutynins verhindert“ [4]. Grundsätzlich soll orales Oxybutynin aufgrund seines hohen Nebenwirkungsprofils gemieden werden [3].
Erst kürzlich machte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit einem Bescheid zur Anpassung der Produktinformationen darauf aufmerksam, dass Oxybutynin-Pflaster keinesfalls zerteilt oder in Stücke geschnitten werden dürfen. Auch beschädigte Pflaster dürfen nicht verwendet werden. Hintergrund sind offenbar berichtete Medikationsfehler bei Patient:innen.
Zudem sollen künftig die Produktinformationen von oralem Oxybutynin auf das häufige Auftreten von Palpitationen hinweisen [6].
Oxybutynin-Verordnungen besser reduzieren?
Mit all diesen Hinweisen vor Augen, mag es erstaunen, dass in Großbritannien in diesem Jahr tatsächlich darüber diskutiert wurde, ob man Oxybutynin nicht aus der Rezeptpflicht in den Selbstmedikationsbereich entlassen könnte. Konkret ging es dabei um das Präparat Aquiette® von Maxwellia Ltd., das Oxybutynin-Tabletten in einer 2,5-mg-Dosierung enthält [7]:
In einer Mitteilung vom 11. Mai 2023 verkündete die britische „Medicines & Healthcare products Regulatory Agency“ (MHRA) allerdings, dass das Präparat zur Behandlung von Symptomen einer überaktiven Blase bei Frauen verschreibungspflichtig bleibt [8].
Es hieß zwar, dass ein vereinfachter Zugang zu Oxybutynin grundsätzlich zu begrüßen wäre – auch um so für das Thema der überaktiven Blase zu sensibilisieren und Schamgefühle zu mindern. Doch vor allem die Angehörigen der Gesundheitsberufe in Großbritannien (50 % davon Apotheker:innen) verwiesen auf das Risiko kognitiver Beeinträchtigung unter anticholinergen Arzneimitteln. In Teilen Großbritanniens habe man deshalb zuletzt eher versucht, die Oxybutynin-Verordnungen zu reduzieren – was im Kontrast zu einer Entlassung in den Selbstmedikationsbereich stehen würde. Ganz grundsätzlich handle es sich bei der überaktiven Blase um eine komplexe Diagnose, was gegen die Selbstmedikation spricht [9].
Oxytrol in den USA ohne Rezept erhältlich
Doch in den USA hat die Firma Merck bereits im Jahr 2013 verkündet, dass dort Oxybutyinin unter dem Handelsnamen Oxytrol® als erstes OTC-Arzneimittel bei überaktiver Blase erhältlich ist. Dabei handelt es sich um ein Pflaster – also die transdermale Darreichungsform. Ein Grund für die Entlassung aus der Verschreibungspflicht sei damals gewesen, dass Frauen in den USA bis zu drei Jahre warteten, ehe sie medizinischen Rat bei einer überaktiven Blase aufsuchten [10].
Es scheint nicht so, als würde sich in Großbritannien (oder gar Deutschland) in absehbarer Zeit – aufgrund der Nebenwirkungen – etwas am rezeptpflichtigen Status von Oxybutynin ändern. Dennoch bleibt unter dem weltweiten Blickwinkel die Frage, ob man auch in Großbritannien anders entschieden hätte, wäre es wie in den USA um Oxybutynin-Pflaster und nicht um Tabletten gegangen. Der oben genannte aktuelle BfArM-Hinweis zur richtigen Handhabung von Oxybutynin-Pflastern hätte in eine Bewertung dann wohl mit einbezogen werden müssen.
Literatur
[1] Eintrag in der Lauer-Taxe zu deutschen Fertigarzneimitteln mit dem Wirkstoff Oxybutynin, Stand 20.11.2023
[2] S2k-Leitlinie Medikamentöse Therapie der neurogenen Dysfunktion des unteren Harntraktes (NLUTD). Stand 02.02.2022, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/043-053
[3] S2k-Leitlinie Harninkontinenz der Frau. Stand 01.01.2022, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/015-091
[4] S2e-Leitlinie Harninkontinenz bei geriatrischen Patienten, Diagnostik und Therapie. Stand 02.01.2019, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/084-001
[5] PRISCUS 2.0 Liste. Stand 2023, www.priscus2-0.de/priscus-1.html
[6] Umsetzung des Durchführungsbeschlusses der Kommission C(2023)3614 final vom 26.05.2023 in der Fassung des Corrigendums vom 20.10.2023 betreffend die Zulassungen für Humanarzneimittel mit dem Wirkstoff Oxybutynin, www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Periodic-Safety-Update-Reports_PSURs/PSUR-Single-Assessment/Anlagen/m-r/Oxybutynin-durchfuehrungsbeschluss-EU.html
[7] Medicines & Healthcare products Regulatory Agency (MHRA). Proposal to make Aquiette 2.5mg Tablets (oxybutynin hydrochloride) available from pharmacies. Stand: 3. Juli 2023, https://www.gov.uk/government/consultations/consultation-on-proposal-to-make-aquiette-25mg-tablets-oxybutynin-hydrochloride-available-from-pharmacies/proposal-to-make-aquiette-25mg-tablets-oxybutynin-hydrochloride-available-from-pharmacies
[8] Pressemitteilung auf GOV.UK. MHRA maintains prescription-only status of Aquiette 2.5mg Tablets for symptoms of overactive bladder, Stand Mai 2023, www.gov.uk/government/news/mhra-maintains-prescription-only-status-of-aquiette-25mg-tablets-for-symptoms-of-overactive-bladder
[9] Consultation outcome. Consultation on proposal to make Aquiette 2.5mg Tablets (oxybutynin hydrochloride) available from pharmacies. Stand Juli 2023, www.gov.uk/government/consultations/consultation-on-proposal-to-make-aquiette-25mg-tablets-oxybutynin-hydrochloride-available-from-pharmacies#full-publication-update-history
[10] Pressemitteilung der Firma Merck. Oxytrol® for women, the First Over-the-Counter Treatment for Overactive Bladder in Women, Now Available Nationwide. Stand September 2023, www.merck.com/news/oxytrol-for-women-the-first-over-the-counter-treatment-for-overactive-bladder-in-women-now-available-nationwide/
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