Britische Beobachtungsstudie

Mehr Antibiotikaverordnungen „dank“ Telemedizin

Stuttgart - 23.11.2023, 15:15 Uhr

Forscher haben untersucht, ob Ärzte bei Patienten mit akuten Atemwegsinfekten häufiger Antibiotika verschreiben, wenn die Konsultation telemedizinisch statt im direkten Kontakt stattfindet. (Foto: Studio Romantic/AdobeStock)

Forscher haben untersucht, ob Ärzte bei Patienten mit akuten Atemwegsinfekten häufiger Antibiotika verschreiben, wenn die Konsultation telemedizinisch statt im direkten Kontakt stattfindet. (Foto: Studio Romantic/AdobeStock)


Telemedizinische Konsultationen wurden während der COVID-19-Pandemie vermehrt in Anspruch genommen. Britische Forscher gingen in diesem Zusammenhang der Frage nach, ob sich damit auch etwas an der Zahl der Antibiotikaverordnungen änderte. Konkret untersuchten sie die Verschreibungen bei akuten Atemwegsinfekten durch Allgemeinmediziner. Dabei fanden sie mehr Verordnungen, wenn sich Erwachsene telemedizinisch behandeln ließen als direkt beim Arzt.

Ein hoher und teils unnötiger Einsatz von Antibiotika trägt zu den weltweit zunehmenden Resistenzen bei. In England wurden im Jahr 2021 72,1% der Antibiotikaverordnungen in allgemeinärztlichen Praxen ausgestellt, wovon etwa 20% unangemessen waren. Zudem entfällt der größte Teil der Antibiotikaverschreibungen von Allgemeinmedizinern auf akute Atemwegsinfekte. Einer Umfrage in Großbritannien zufolge glauben 67% der befragten Allgemeinmediziner, dass sie aufgrund der Telemedizin häufiger Antibiotika verordnen. Um zu überprüfen, ob diese Annahme zutrifft, wertete ein Forscherteam im Rahmen einer Beobachtungsstudie Daten des Clinical Practice Research Datalink aus dem Zeitraum April 2021 bis März 2022 aus. Konkret untersuchten sie ärztliche Konsultationen aufgrund von akuten Atemwegsinfekten bei Kindern und Erwachsenen, und ob diese zu Antibiotikaverordnungen führten. Dabei wurde eine Konsultation als Fern­beratung klassifiziert, wenn diese per Telefon, Video, SMS oder über das Internet erfolgte. Haus- oder Praxis­besuche, unbekannte und wechselnde Konsultationsarten wurden den Präsenzkonsultationen zugeordnet. Mehrere ärztliche Kontakte binnen sieben Tagen wurden als ein Termin gewertet. Alle Antibiotikaverordnungen im Zusammenhang mit einem akuten Atemwegsinfekt wurden berücksichtigt, Verschreibungen über Tuberkulostatika jedoch ausgeschlossen.

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Um Verzerrungen entgegenzuwirken, wurde eine statistische Methode eingesetzt, mit deren Hilfe sich kausale Effekte aus Beobachtungsdaten abschätzen lassen. Bereinigt wurden die Ergebnisse auf die Art der Infektion sowie auf Störvariablen auf Ebene der Patienten (z. B. Komorbiditäten wie Asthma), des Arztes (z. B. Position in der Praxis) und der Praxis (z. B. Gesamtkonsultationsrate).

Assoziation nur bei erwachsenen Patienten, nicht bei Kindern

Während des Beobachtungszeitraums konsultierten 34.555 Patienten in 45.997 Terminen einen Allgemein­mediziner aufgrund einer akuten Atemwegsinfektion. Davon fanden 17.870 Termine (39%) persönlich statt, während die Mehrheit, 28.127 Termine (61%), Fernberatungen waren. Arztkonsultationen von Erwachsenen fanden zu 66% telemedizinisch statt, bei Kindern waren es 48%. Vor allem bei einer Sinusitis bevorzugten die Patienten eine Fernberatung. Die Mittelohrentzündung wiederum wurde meist vor Ort diagnostiziert und zählte, neben Infektionen der unteren Atemwege, zu den Atemwegserkrankungen mit den höchsten Antibiotikaverordnungszahlen. Während Antibiotika zur Therapie von Kindern ähnlich häufig bei Fern- und Präsenzkonsul­tationen eingesetzt wurden (42% vs. 43%), war die Diskrepanz bei den Verschreibungen für Erwachsene deutlich größer, mit 52% bei telemedizinischen Konsultationen im Vergleich zu 42% in Präsenz. Nach Bereinigung auf mög­liche Störfaktoren konnte gezeigt werden, dass bei Erwachsenen eine Fernkonsultation mit einer 23% höheren Wahrscheinlichkeit einer Antibiotikaverordnung einherging [Odds Ratio = 1,23; 95%-Konfidenzintervall = 1,18 bis 1,29]. Eine derartige Assoziation konnte bei Kindern nicht beobachtet werden. Allerdings wurden bei ihnen auch seltener Störvariablen berücksichtigt, da Kinder vergleichsweise wenig Komorbiditäten aufweisen. Möglicherweise blieben dafür andere Faktoren, die zu einer Verzerrung geführt haben könnten, unbeobachtet.

Praktische Relevanz

Die höhere Verschreibungsfrequenz von Antibiotika bei Fernkonsultationen von erwachsenen Patienten mit akuten Atemwegsinfekten stellt aufgrund der progressiven Resistenz­zunahme einen Grund zur Besorgnis dar. Den Autoren zufolge sollten ihre Ergebnisse in der Entwicklung von Leitlinien für Antibiotikaverordnungen bei Fernkonsultationen berücksichtigt werden. Zudem sollte in künftigen Studien untersucht werden, wie Leitlinien bei Fern- und persönlichen Konsultationen eingehalten werden, da im Zuge dieser Studie zwar die Verschreibungsrate überprüft wurde, jedoch nicht, ob eine Antibiotika­verordnung notwendig war.

Literatur

Vestesson Eet al. Antibiotic prescribing in remote versus face-to-face consultations for acute respiratory infections in primary care in England: an observational study using target maximum likelihood estimation. EClinicalMedicine 2023, doi: 10.1016/j.eclinm.2023.102245


Apothekerin Anna-Lena Gehl


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