Achondroplasie

Vosoritid: IQWiG bescheinigt Zusatznutzen bei Wachstumsstörung

Stuttgart - 07.12.2023, 11:30 Uhr

Menschen mit Achondroplasie erreichen unbehandelt eine Körpergröße von circa 120 bis 140 cm. (Foto: Yakobchuk Olena / AdobeStock)

Menschen mit Achondroplasie erreichen unbehandelt eine Körpergröße von circa 120 bis 140 cm. (Foto: Yakobchuk Olena / AdobeStock)


Vosoritid beziehungsweise das zugehörige Fertigarzneimittel Voxzogo gehört zu den Präparaten, die man in einem Apotheker:innenleben wohl nur selten zu Gesicht bekommt. Zugelassen ist das Präparat für Kinder mit Achondroplasie, einer genetisch bedingten Wachstumsstörung. Das IQWiG hat nun die Ergebnisse seiner frühen Nutzenbewertung veröffentlicht. Besonders hierbei: Obwohl es sich um eine seltene Erkrankung handelt, lagen randomisiert-kontrollierte Studien als Bewertungsgrundlage vor.

Mit einer Prävalenz von 0,4 bis 0,6 pro 10.000 Geburten zählt die Achondroplasie zu den seltenen Erkrankungen. Unter den genetisch bedingten Formen des Kleinwuchses ist sie jedoch die häufigste. Unbehandelt wird im Erwachsenenalter nur eine Körpergröße von 120 bis 140 cm erreicht, da die knorpeligen Knochenepiphysen (umgangssprachlich auch als Wachstumsfugen bekannt) frühzeitig verknöchern. Zusätzlich treten unter anderem Disproportionen (z. B. großer Schädel), Achsenfehlstellungen der Gliedmaßen und Wirbelkanalstenosen auf. Die betroffenen Kinder fallen bereits bei der Geburt durch einen großen Kopf, kurze Arme und Beine sowie eine stark überstreckte Lendenwirbelsäule auf. Außerdem können die Hüftgelenke und Ellbogen nicht ganz gestreckt werden, bei Knie- und Handgelenken ist dagegen eine Überstreckung möglich.

Mit Vosoritid (Voxzogo® Injektionslösung) wurde 2021 erstmals ein Arzneimittel zur spezifischen Behandlung der Achondroplasie zugelassen. Dessen Wirkmechanismus sowie die der Achondroplasie zugrunde liegende genetische Ursache erklärte Apothekerin Claudia Bruhn in der DAZ 2022, Nr. 23, S. 36 wie folgt:

„Ursache der Achondroplasie ist eine Punktmutation im Gen für den Fibroblasten-Wachstumsfaktor-3 (FGFR3) auf Chromosom 4. FGFR3 ist eine Rezeptor-Tyrosinkinase, die hemmend in die Proliferation und Differenzierung von Chondrozyten eingreift. Durch die Mutation kommt es zur übermäßigen Hemmung und damit zu Störungen im Knochenwachstum, insbesondere der Röhrenknochen. Vosoritid ist zur Behandlung von Achondroplasie bei Patienten ab dem zweiten Lebensjahr zugelassen*, bei denen sich die Epiphysen noch nicht geschlossen haben. Es handelt sich um ein Analogon des natürlichen natriuretischen Peptids vom Typ C (CNP), einem Regulator des endochondralen Knochenwachstums. Vosoritid hemmt wie das natürliche CNP durch Bindung an den natriuretischen Peptidrezeptor B (NPR-B) die nachgeschaltete FGFR3-Signalübertragung. Dadurch werden die Proliferation und Differenzierung der Chondrozyten gefördert, eine Zunahme des Längenwachstums ist die Folge.“

*Laut Fachinformation Voxzogo Stand 10/2023 ist mittlerweile eine Behandlung bei Kindern ab vier Monaten möglich. 

Im Rahmen einer frühen Nutzenbewertung hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) untersucht, ob Patient:innen ab zwei Jahren mit Achondroplasie und noch geöffneten Epiphysen von einer Behandlung mit Vosoritid mehr profitieren als von einer zweckmäßigen Vergleichstherapie. Da Vosoritid das erste spezifische Medikament zur Behandlung der Achondroplasie darstellt, wurde „Best supportive Care“ (beste unterstützende Versorgung) als zweckmäßige Vergleichstherapie definiert.

Randomisiert-kontrollierte Studien als Bewertungsgrundlage

Grundlage der frühen Nutzenbewertung bildeten eine einarmige Langzeitstudie des Herstellers sowie zwei kleine randomisiert-kontrollierte Studien (RCT), die über einen Zeitraum von 52 Wochen durchgeführt wurden. Dass RCT als Bewertungsgrundlage vorliegen, ist bei seltenen Erkrankungen leider nicht die Regel, hebt Daniela Preukschat aus dem IQWiG-Ressort Arzneimittelbewertung lobend hervor.

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Beide RCT zeigten, dass die mit Vosoritid behandelten Kinder stärker wuchsen, als die Kinder aus der Kontrollgruppe. „Im Alter von 2 bis unter 5 Jahren betrug das durchschnittliche Wachstum mit Vosoritid in 52 Wochen 6,38 cm, im Vergleichsarm 5,41 cm (Differenz: 0,96 cm). Die älteren Kinder wuchsen im Interventionsarm durchschnittlich 5,86 cm und im Vergleichsarm 4,29 cm pro Jahr (Differenz: 1,57 cm). Die unterstützend betrachteten Auswertungen der Langzeitdaten zeigen, dass das Längenwachstum anhält und sich über die Jahre aufaddiert“, ist hierzu in der Pressemitteilung des IQWiG zu lesen. 

Viele Fragen zu Vosoritid noch offen

Zwar lägen nur wenige Daten vor, die über einen Beobachtungszeitraum von sieben Jahren hinausgehen und es sei daher noch nicht klar, welche Größe die Patient:innen schlussendlich erreichen. Es deute sich aber an, dass Körpergrößen zwischen 140 und 150 cm realistisch sind. Inwieweit hierdurch mit der Achondroplasie assoziierte Folgekomplikationen und funktionelle Beeinträchtigungen verhindert werden können, ist ebenfalls noch unbekannt.

Literatur

Kleiner als die anderen. DAZ 2022, Nr. 23, S. 36, 09.06.2022

Fachinformation Voxzogo. BioMarin International Limited. Stand 10/2023

Vosoritid bei Achondroplasie: Hinweis auf Zusatznutzen für Kinder ab zwei Jahren. Pressemitteilung des IQWiG. 1. Dezember 2023. www.iqwig.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-detailseite_106944.html


Dr. Claudia Bruhn, Apothekerin / Autorin DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


Dr. Gesa Gnegel, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (gg)
redaktion@daz.online


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