Sehr geehrte Frau Gabriele Overwiening,
sehr geehrte Damen und Herren der ABDA,
ein Jahr nach Veröffentlichung meines offenen Briefs an die ABDA „Ich schäme mich, Apotheker zu sein oder „Die Deppen der Nation?“ ist es für uns Apotheken an der Zeit, die Situation neu zu bewerten und die Agenda für 2024 zu diskutieren.
Heute schäme ich mich nicht mehr, Apotheker zu sein, denn unser Berufsstand hat begonnen (!) zu zeigen, dass er in der Lage ist, die eigenen Interessen öffentlichkeitswirksam zu vertreten, und auf Missstände hinzuweisen.
Ich sehe „uns Apotheken“ auch nicht mehr als „Die Deppen der Nation“, weil „die Bevölkerung“ in großen Teilen (und viele Landes- und Kommunalpolitiker ebenfalls) Verständnis für unseren Protest und unsere Forderungen zeigen. In der Bundespolitik hingegen, und ganz speziell an der Spitze des Bundesministeriums für Gesundheit, sieht das leider anders aus.
Erstmals in der Geschichte der deutschen Apotheke kam es in diesem Jahr bundesweit zu lautstarken und geschlossenen Protestaktivitäten von Apothekenteams. Erstmals wurden von unserer Standesvertretung klar formulierte Forderungen gestellt. Erstmals erkenne ich so etwas wie „Selbstbewusstsein“ im Auftreten unserer Standesvertretung gegenüber politischen Entscheidungsträgern. Das Alles ist für uns „brave und folgsame“ Heilberufler neu, und schon fast als revolutionär zu bezeichnen.
Unsere Argumente und Forderungen aber erreichen beim BMG nichts, sie prallen ab. Nach meiner Einschätzung sind wir weit davon entfernt, in einen konstruktiven Dialog mit dem BMG zu treten, geschweige denn, der Erreichung unserer Ziele näher zu kommen.
Industrie- und Wirtschaftsverbände in Deutschland beklagen, sie hätten keine Planungssicherheit, „sie“ wüssten nicht, wo die Reise für Betriebe in der freien Wirtschaft hingehe. Für uns Apotheken hingegen sollte spätestens im Laufe des Jahres 2023 jedem/r klar geworden sein, worauf wir uns einstellen dürfen.
Die Signale aus der Bundespolitik sind schon lange klar erkennbar. In Ihrer emotionalen Neujahrsansprache in der Corona-Hochzeit hat Frau Angela Merkel die besonderen Leistungen viele Berufsgruppen gelobt und sich bei diesen bedankt. Die Institution „Apotheke“ blieb unerwähnt. Der zum Apothekertag 2023 von der ABDA formulierte Fragenkatalog an BGM Lauterbach blieb unbeantwortet, wurde ignoriert. Stattdessen hat der BGM seine Vorstellung von „moderner“ Arzneimittelversorgung vorgetragen. Das sind nur zwei Beispiele, die meines Erachtens deutlich zeigen, wie die Bundespolitik die Leistungen von uns Apotheken und uns Apotheken als „Institution“ wertschätzt.
Die Konsequenzen dieser geringen Wertschätzung erleben wir im täglichen Arbeiten, sie müssen hier nicht im Einzelnen beschrieben werden. Die Ausdünnung der flächendeckenden Apothekenstruktur wird sich beschleunigen. Nachdem die Herstellung von Arzneimitteln in Deutschland wegrationalisiert wurde, wird nun die wohnortnahe Versorgungsstruktur der Arzneimittelversorgung insbesondere in ländlichen Regionen zerstört. Wenig Trost, eher erschreckend ist, dass wir uns in bester Gesellschaft befinden mit z. B. Kliniken und Hausarztpraxen.
Selbstmitleid, Jammern und sich unter Gleichgesinnten immer wieder zu bestätigen, das wird uns nicht weiterbringen.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich die jahrelange „vornehme Zurückhaltung“ oder Passivität unseres Berufstandes / unserer Standesvertretung nun rächt. Wer jahrelang devot schweigt, kann nicht erwarten, plötzlich wahr- und ernstgenommen zu werden.
Es liegt wohl noch ein langer und steiniger Weg vor uns. Auch werden wir neue Wege gehen müssen und bisher „Undenkbares“ in Betracht ziehen müssen, um uns bei den politischen Entscheidungsträgern Gehör zu verschaffen, und unseren Zielen näher zu kommen.
Denkanstoß 1: Die bisherigen Protestaktivitäten waren ein guter Anfang. Der begonnene Weg aber muss 2024 mit spürbarer Eskalation fortgesetzt werden. Wir sollten z. B. ernsthaft darüber nachdenken, mehrtägige Protestmaßnahmen durchzuführen.
Denkanstoß 2: Warum sind es immer die Krankenkassen, die Lieferverträge kündigen und Druck aufbauen? Wir sollten ernsthaft darüber nachdenken, nicht (mehr) akzeptable Verträge mit den GKVen zu kündigen. Besser ist es zu agieren, als immer nur zu reagieren.
Denkanstoß 3: Warum nicht mal professionelle Verhandlungsführer und „Strategen“ hinzuziehen, um unseren Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen? Andere Branchen sind im Erreichen ihrer Ziele erfolgreicher. „Ein bisschen mehr Weselsky“ würde uns guttun.
Denkanstoß 4: Während bei den Ärzten geforderte Erleichterungen relativ schnell umgesetzt werden (Bsp. Telefonische Krankschreibung), akzeptieren wir Apotheken traditionell die Einführung jede noch so unsinnigen Bürokratie zu (Bsp. Rezepturdokumentation, Präqualifizierung, …). Die Umsetzung von dringend erforderlichen Erleichterungen ist nicht in Sicht oder lässt auf sich warten.
Denkanstoß 5: In vielen Bereiche steht unsere föderale Organisation in Form von Landesverbänden und Länderkammern der Gestaltung von effizienten Abläufen im Apothekenalltag im Wege. Würde z. B. der Apothekennotdienst bundesweit (geodatenbasiert) organisiert, so wäre das für die ausführenden Apotheken und die Bevölkerung vorteilhaft (weniger Dienste, trotzdem bessere Flächenabdeckung, kürzere Entfernungen zur Notdienst-Apotheke). Das wird mit Verweis auf „Zuständigkeiten“ abgelehnt. „Weil es schon immer so war!“ Hier vermisse ich den Willen zu dringend erforderlichen Veränderungen / Verbesserungen.
Denkanstoß 6: In den öffentlichen Medien fehlt mir die Präsenz der Apotheken. „Unsere“ Themen werden von Ärzten und Krankenkassen kommuniziert. Wir sind zu still. Es gäbe viele Möglichkeiten, hier Präsenz zu zeigen, und als wichtiger Akteur im Gesundheitswesen wahrgenommen zu werden. Damit hätten wir schlussendlich auch bessere Chancen, von „der Politik“ wahr- und ernst genommen zu werden.
Wenn wir Apotheken auch in Zukunft eine Daseinsberechtigung haben wollen, müssen wir für die sich rasch ändernden Bedürfnisse der Gesellschaft einen erkennbaren Nutzen bieten, - und diesen auch nachdrücklich und breit kommunizieren! Wenn die Leistungen der Apotheken dann schlussendlich auch von den politischen Entscheidungsträgern wahrgenommen werden, dann werden diese Leistungen auch angemessen vergütet.
Wir stehen vor großen Aufgaben, die gemeinsam zu stemmen sind. Neben den Maßnahmen, die „nach außen“ gerichtet sind, sollten wir uns auch ernsthaft auseinandersetzen mit der Effizienz der inneren Strukturen unserer Kammern und Verbände. Ein wenig mehr Selbstreflektion wäre meines Erachtens hilfreich. Unser Berufsstand braucht dringend neue, zeitgemäße Strukturen, die zukunftssichernde Maßnahmen schneller auf den Weg bringen als bisher.
Ich würde mich freuen, den mit Ihnen begonnen Dialog fortsetzen zu dürfen.
Mit freundlichen Grüßen
Gunther Böttrich
1 Kommentar
Forderungen der ABDA
von Gregor Nelles am 22.12.2023 um 23:02 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.