Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen

KI im Gesundheitswesen: Science Fiction oder Realität?

Stuttgart - 20.12.2023, 15:14 Uhr

Künstliche Intelligenz könnte in Zukunft im Bereich der häuslichen Pflege eine noch größere Rolle spielen. (Foto: M.Dörr & M.Frommherz  / Adobe Stock, generiert mit KI) 

Künstliche Intelligenz könnte in Zukunft im Bereich der häuslichen Pflege eine noch größere Rolle spielen. (Foto: M.Dörr & M.Frommherz  / Adobe Stock, generiert mit KI) 


Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) übernimmt in unserem Alltag eine immer größere Rolle - auch im Gesundheitswesen. Im Bereich der häuslichen Pflege gibt es bereits einige KI-gesteuerten Tools. Wie könnten KI-Fähigkeiten im Bereich der Apotheken helfen, etwa im Bereich der Lieferengpässe? 

Künstliche Intelligenz (KI) wird bereits in vielen Bereichen des Gesundheitswesens eingesetzt, allen voran in der Radiologie (siehe Kasten). Was uns zu der Frage bringt, wo sich eigentlich die Softwarelösungen in der Apothekenbranche den Errungenschaften dieser Technologie bedienen? 

Zur Erinnerung: Künstliche Intelligenz ist in der Lage, Muster in unermesslich hohen Mengen von Daten zu erkennen. Eine Ausprägung davon sind beispielsweise Sprachassistenten, wie Alexa von Amazon oder Siri von Apple. Sie sind in der Lage, aus den unterschiedlichsten Tönen, die wir beim Sprechen erzeugen, Sätze und Wörter herauszufiltern, diese in Aufgaben für sich selbst umzuwandeln und diese Aufgaben dann auch zu erledigen. 

Alexa, wie wird das Wetter morgen in Stuttgart?“ ist ein Satz, der etwa 3 Sekunden lang dauert, wenn man ihn ausspricht. Einige Wörter, zum Beispiel „wie wird“ oder auch „das Wetter“ werden ausgesprochen, als wäre es ein Wort, also ohne spürbare Pause zwischen beiden Wörtern. Andere sind deutlicher voneinander abgesetzt. Mit herkömmlicher, algorithmischer Programmierung wäre es nahezu unmöglich, hieraus Sätze abzuleiten. KI hingegen hat die Sprach- und Mustererkennung durch das sogenannte. „Training“ gelernt – und verbessert sich selbst mit jeder neuen Aufgabe, die sie gestellt bekommt.

Exkurs: KI in der Radiologie

Bereits im vergangenen Jahr, also 2022, nutzten 45% der Radiologen im deutschsprachigen Raum KI in ihrem Arbeitsalltag. Und 98% der Nichtnutzer standen dem Einsatz von KI grundsätzlich positiv gegenüber. Sie kann bei der Befundung unterstützen und als Qualitätskontrolle für eigene Befunde dienen. Daneben kann KI dabei helfen, krankhafte Veränderungen nicht zu übersehen; sie kann die Arbeitszeit verkürzen und die Effizienz verbessern. Ein automatisiertes Vier-Augen-Prinzip, wenn man möchte. Und all das, um es nochmal zu betonen, ist der Status Quo aus dem Jahr 2022 und kein Zukunftsszenario.

Wie könnte nun diese Fähigkeit der KI den Apotheken helfen? Gibt es auch hier Muster in großen Datenmengen, die wir Menschen gar nicht erfassen können? Eine der großen Herausforderungen in der Apotheke sind seit einiger Zeit die Lieferengpässe. Ein Ziel für den Einsatz von KI könnte also lauten, den Lagerwert und die Defektquote in Apotheken zu reduzieren und gleichzeitig die Lieferfähigkeit zu verbessern. 

Die KI darf dabei allerdings nicht allein die Daten der einzelnen Apotheke berücksichtigen, sondern muss auch die vorgelagerte Wertschöpfungskette vom Großhandel bis zum pharmazeutischen Hersteller im Blick haben. Außerdem müssen gesetzliche Vorgaben wie Rabattverträge oder Importquoten berücksichtigt werden. Eine KI, die all diese Parameter im Blick hat, kann gezielte Vorschläge zum Ein- und Auslisten erstellen und auch die einzelnen Bestellmengen so optimieren, dass so wenige Kunden wie möglich weggeschickt werden.

Was gibt es bereits für die Apotheken?

Ein solches KI-basiertes Tool für seine Warenwirtschaft bietet das Starnberger Softwarehaus Pharmatechnik mit IXOS RX 5.0 an [1]. Neben den genannten Parametern wurden bereits in der Vorgängerversion RX 4.0 externe Informationen wie das Einzugsgebiet der Ärzte und deren übliches Verordnungsverhalten oder die -häufigkeit berücksichtigt, so ein Sprecher von Pharmatechnik. Neu in RX 5.0 ist eine Funktion, mit der für dauerdefekte Artikel nach Vorgaben der Apotheke die bestmöglichen, beim Großhandel verfügbaren Artikel angezeigt werden. Ohne KI, die im Hintergrund diese Möglichkeiten abwägt, wäre eine solche Suche mit enormem Aufwand verbunden.

Weitere Ertragsreserven, die einen Einsatz von KI geradezu aufdrängen, liegen im Bereich frei kalkulierbarer Verkaufspreise. Es ist bekannt, dass mit bestimmten Indikator-Artikeln Kunden in die Apotheke gelockt werden können, wenn man deren Preis herabsetzt und dies auch entsprechend kommuniziert. Dass es daneben aber auch genügend Produkte gibt, deren Preis man erhöhen kann, ohne dass sich dabei die Absatzmenge reduziert, wird erst allmählich Teil des apothekerlichen Kaufmannsbewusstseins. Nur: welche Artikel sind es, bei denen die Kunden nicht auf den Preis achten? Und wo liegt die Obergrenze? Immerhin schlägt sich eine Preiserhöhung bei solchen Artikeln unmittelbar durch auf den Deckungsbeitrag. 

Auch hier liegt ein guter Anwendungsfall für KI. Diese darf erneut nicht nur eine Apotheke und das Kaufverhalten von deren Kunden kennen, sondern im Idealfall kennt sie viele oder gar alle Apotheken. Dann werden auch Muster erkennbar, wie zum Beispiel Schwellenwerte von Verkaufspreisen, ab denen Absatzzahlen so signifikant sinken, dass eine Preiserhöhung nicht mehr rentabel ist. Im Idealfall wird dies sogar auf Ebene einzelner Postleitzahlen oder gar Straßenzüge ermittelt, da so die Kaufkraft vor Ort ebenfalls mitberücksichtigt wird. 

Auch hier hat Pharmatechnik mit IXOS VK 4.0 ein Tool im Portfolio, das auf KI basiert und das optimierte Preise vorschlägt [2]. Diese Preise basieren auf einer im Vorfeld mit Beratern festgelegten, apothekenindividuellen Preisstrategie, die in der KI hinterlegt wird. Das Unternehmen Insight Health wiederum spricht auf der Homepage ihres Tools Solvena True Price von einem Algorithmus, der die richtigen Preise berechnet [3].

Ob Algorithmus oder KI, lässt man die technischen Details der softwareseitigen Umsetzung einmal außen vor, so ist klar, dass es für KI in der Apotheke genügend Anwendungsfälle gibt. Neben den erwähnten Beispielen der Lagersteuerung und der Preisbildung drängt sich für Apotheken vor allem noch die Vermeidung von Retaxationen als sinnvoller Einsatz von KI auf. Wenn sie nämlich auf Machine Learning basiert und weiß, welche Rezepte von den Krankenkassen in der Vergangenheit zurückgewiesen wurden, kann sie darauf trainiert werden, solche Rezepte in Zukunft noch am HV dem Personal zu melden. Die Herausforderung hierbei ist die Rückwärtsbetrachtung, sobald sich Regeln für die Nichterstattung ändern. Ein solches System müsste daher stets auch in Echtzeit mit den Informationen von Seiten der Krankenkassen versorgt werden.

KI-Tool als Assistent für Erreichbarkeit der Hotlines 

IXOS.Assistent heißt ein weiteres, brandneues KI-Tool von Pharmatechnik, das auf der Technologie der Entwickler von ChatGPT, OpenAI, basiert. Dieser Assistent ist als Lösung für ein weiteres Problem konstruiert, mit dem viele Apotheken täglich kämpfen: die Erreichbarkeit der Hotlines bei ihrem Softwareanbieter. Der Assistent für IXOS wurde auf mehreren Sprachen mit Support-Informationen aus den unterschiedlichsten Quellen trainiert und kann so schnelle Abhilfe schaffen, bevor sich die Anwender an eine Hotline wenden müssen. Da die KI individuell auf die Anfrage der Anwender eingehen kann, ist das meist der schnellere Weg zur Abhilfe. Wer allerdings auch mit Prompts nicht weiterkommt, kann sich natürlich weiterhin an einen menschlichen Ansprechpartner wenden.

Außerhalb der Apotheke wird KI inzwischen immer mehr auch in anderen Bereichen des Gesundheitswesens eingesetzt. Bereits im August veröffentlichte die CompuGroup Medical (CGM) eine Pressemitteilung, wonach eine KI-Initiative zur Verbesserung von IT-Produkten und -Lösungen im Gesundheitswesen gestartet wurde [4]. Ihr erklärtes Ziel ist es, Ärzten und Gesundheitsprofis mehr Zeit für Gespräche mit Patientinnen und Patienten zu schaffen, indem Ineffizienzen reduziert werden, beispielsweise durch die Erledigung bestimmter Verwaltungsaufgaben durch KI. Betriebsabläufe und Ressourcenmanagement stehen auch hier im Fokus, aber auch das Management chronischer Erkrankungen, Prävention, Diagnostik und ganz allgemein das Gesundheitsmanagement für die Bevölkerung sind Teil der Initiative.

KI im Bereich der häuslichen Pflege

Im Bereich der häuslichen Pflege hat das Unternehmen VIVAI Software AG ein Produkt auf den Markt gebracht, das unter anderem Machine Learning verwendet [5]. In der Wohnung pflegebedürftiger Menschen werden Sensoren und Sprachassistenten installiert. Diese sind miteinander vernetzt und können dank der KI beispielsweise Stürze oder sich verschlechternde Vitalwerte erkennen und lösen dann vorab eingestellte Alarme aus. Neben der verantwortungsvollen Aufgabe, echte Notfälle zu erkennen und zu melden, erinnert die KI durch die Sprachassistenten dabei auch an die Einnahme von Arzneimitteln, Flüssigkeitszufuhr und weitere, individuell konfigurierbare Termine. Die Pflegekassen bezahlen den Einsatz dieser Lösung sogar.

Vorbereitet für KI ist auch das Berliner Unternehmen Neo Q Quality in Imaging GmbH. Mit ihrem Produkt „Radio Report“ wollen sie die durchschnittliche Zeit von 17,4 Minuten, die ein Radiologe aktuell für die Zeit zwischen Bildgebung und Befund für die Erstellung des Berichts benötigt, auf 95 Sekunden reduzieren. Dies geschieht mit einem Klickpfad, der Radiologen wie ein virtueller Interviewpartner durch die relevanten Punkte des Berichts leitet. Am Ende steht ein standardisierter Befund mit maschinen­lesbaren Inhalten – und dieser wiederum ist natürlich bestens geeignet für das Training von KI.

Nuance, ein zu Microsoft gehörendes Unternehmen, setzt auch in Deutschland auf Spracherkennung und somit auf generative KI bei der medizinischen Dokumentation im Krankenhaus, bei niedergelassenen Ärzten, in der Radiologie und in der Pflege [6]. Der Gedanke dabei ist, dass alles, was von Gesundheitsberufen in natürlicher Sprache in ein Mikrofon gesprochen und dann in strukturierten Text umgewandelt werden kann, diese Gesundheitsberufe massiv entlasten kann. Mit Technologien wie Machine oder Deep Learning lernen derartige Tools sogar dazu und verbessern sich mit der Zeit selbst.

Ein Blick ins Land der unbegrenzten (datenschutzrechtlichen) Möglichkeiten

Während bei den vorhin genannten Beispielen der Benutzer noch wissentlich und willentlich in ein Gerät hineinsprechen muss, um es zu aktivieren, geht in den USA das Unternehmen Hint Health, ein Hersteller von Praxisverwaltungssystemen (PVS), den konsequenten nächsten Schritt. Hint kündigte Ende September 2023 ein Produkt in Zusammenarbeit mit OpenAI an, den Entwicklern von ChatGPT, das es Ärzten ermöglichen soll, ganze Termine aufzuzeichnen, Notizen davon automatisch zu transkribieren und eine Zusammenfassung zu erstellen, die dann auch noch direkt in die (elektronische) Patientenakte eingebettet wird [7]. Das Besondere dabei ist, dass es in den normalen, unveränderten Abläufen und Prozessen geschieht, ohne dass diese angepasst werden müssten. Das eigentlich besondere daran: Hint Health gehört damit zu einer wachsenden Anzahl von KI-Anbietern, deren Anwendungen nicht nur mit den Gesundheitsberufen, sondern direkt mit Patienten interagieren.

KI im Bereich der mentalen Gesundheit

Schließlich spielt KI auch im Bereich der mentalen Gesundheit bereits eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Ein Beispiel von vielen ist der US-amerikanische Chatbot Cass, der sowohl für Einzelpersonen als auch im Rahmen von betrieblichem Gesundheitsmanagement für ganze Belegschaften bei hoher mentaler Belastung oder psychischen Problemen eingesetzt werden kann [8]. Angetrieben wird Cass, das auch als App auf dem Handy genutzt werden kann, von KI. Diese gleicht Tausende von Antworten ab, die von Therapeuten in Millionen von Interaktionen gegeben wurden. Dadurch soll ein persönlich optimiertes Coaching zur psychischen Gesundheit durch Textnachrichten in Echtzeit gewährt werden. Bei Bedarf stellt Cass mit einem Klick eine Verbindung zu (menschlichen) Ansprechpartnern her, sodass hier die künstliche mit der menschlichen Intelligenz Hand in Hand arbeitet.

Literatur

[1] Keine Zukunftsmusik: Künstliche Intelligenz in der Apotheke. Informationen von Pharmatechnik. https://www.pharmatechnik.de/ueber-uns/projekte/kuenstliche-intelligenz (abgerufen am 14.12.2023)

[2] Zu jeder Zeit – der richtige Preis. Informationen von Pharmatechnik. https://www.pharmatechnik.de/vk-4-0 (abgerufen am 14.12.2023)

[3] TruePrice- Intelligente Preisgestaltung für die Apotheke. Informationen von Solvena. https://solvena.de/trueprice/ (abgerufen am 14.12.2023)

[4] CGM startet KI-Initiative zur Verbesserung von IT-Produkten und -Lösungen im Gesundheitswesen. Informationen von CGM. Stand 10. August 2023. https://www.cgm.com/aut_de/magazin/artikel/2023/august/cgm-startet-ki-initiative-zur-verbesserung-von-it-produkten-und-loesungen-im-gesundheitswesen.html

[5] Mit sicherem Gefühl älter werden. Informationen von Vivaicare. https://vivai.care/produkt/ (abgerufen am 14.12.2023)

[6] Wir schreiben mit Ihnen die medizinische Dokumentation neu. Informationen von Nuance. https://www.nuance.com/de-de/healthcare.html (abgerufen am 14.12.2023)

[7] Gordon D. Betting On The Promise Of AI, Hint Health Announces New OpenAI Collaboration. Forbes. 21. September 2023. https://www.forbes.com/sites/debgordon/2023/09/21/betting-on-the-promise-of-ai-hint-health-announces-new-openai-partnership/?sh=560d4a3045e7

[8] Internettauftritt von Cass. https://www.cass.ai/ (abgerufen am 14.12.2023)


Florian Giermann, DAZ-Autor
redaktion@daz.online


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