Fallserie minderwertiger Arzneimittel

Toxische Glykole – wie werden Arzneimittel für den deutschen Markt geprüft?

Stuttgart - 22.12.2023, 10:45 Uhr

Hat in Arzneimitteln nichts zu suchen: Diethylenglykol. (Foto: luchschenF / AdobeStock)

Hat in Arzneimitteln nichts zu suchen: Diethylenglykol. (Foto: luchschenF / AdobeStock)


Seit Oktober 2022 hat die Weltgesundheitsorganisation in insgesamt sieben internationalen Warnmeldungen auf flüssige Arzneimittel aufmerksam gemacht, die mit nephrotoxischem Ethylenglykol und/oder Diethylenglykol verunreinigt waren. Welche diesbezüglichen Prüfvorschriften für Arzneimittel in Deutschland gelten, hat die DAZ beim BfArM nachgefragt.

Malediven, Pakistan, Belize, Fidschi, Laos, Irak, Kamerun, Marschallinseln, Mikronesien, Usbekistan, Kambodscha, Indonesien und Gambia – in zahlreichen Ländern weltweit sind in den Jahren 2022 und 2023 mit Ethylenglykol und/oder Diethylenglykol (EG/DEG) verunreinigte flüssige Arzneimittel identifiziert worden. Besonders häufig betroffen waren hierbei Erkältungssirupe und -suspensionen, die Wirkstoffe wie Paracetamol, Ambroxol oder Pseudoephedrin enthielten. Viele der Produkte waren explizit für Kinder vorgesehen [1 - 7].

Süß, aber giftig: Diethylenglykol und Ethylenglykol

Sowohl bei Ethylenglykol als auch bei Diethylenglykol handelt es sich um viskose, süß-schmeckende Flüssigkeiten, die unter anderem als Frostschutzmittel verwendet werden. Beide Substanzen werden durch die Alkohol-Dehydrogenase zu den sehr reaktiven Metaboliten Glycolaldehyd, Glyoxal und Glyoxylsäure verstoffwechselt, die Vergiftungssymptome wie Erbrechen, Harnverhalt und Kopfschmerzen sowie schwere Nierenschäden verursachen. Im schlimmsten Fall kann es zu einem akuten Nierenversagen mit Todesfolge kommen [8, 5]. Als sicher gelten daher Arzneimittel, die nicht mehr als 0,10 % Ethylen- bzw. Diethylenglycol enthalten. Die in den Warnmeldungen der WHO aufgeführten Produkte enthielten unterdessen bis zu 28,6 % Diethylenglykol [5] und haben zahlreiche Menschen weltweit das Leben gekostet. Bereits im Januar 2023 ging die WHO von über 300 Todesfällen aus [9].

In die Produkte gekommen sind die Kontaminanten jeweils wahrscheinlich über verunreinigte Ausgangsstoffe wie etwa Glykol, Sorbitol oder Glycerol – Ausgangsstoffe, die auch in vielen flüssigen Arzneimitteln eingesetzt werden, inklusive solcher, die in Deutschland zum Einsatz kommen.

Unbemerkt bleiben solche Verunreinigungen aber nur bei massivem Missachten der anerkannten pharmazeutischen Regeln, schreibt die Pressestelle des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Nachfrage der DAZ: 


„Die betroffenen Hersteller haben die verwendeten Ausgangsstoffe meist nicht ausreichend geprüft. Bei konsequenter Anwendung der GMP-Regeln wären solche Vorfälle kaum denkbar.“ 

Pressestelle des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte, Dezember 2023


Und dass eben diese GMP-Regeln eingehalten werden, prüfen die zuständigen EU-Behörden bei Herstellern von in der EU zertifizierten Arzneimitteln im Rahmen regelmäßiger GMP-Inspektionen.

Prüfvorschriften im Europäischen Arzneibuch

Weiterhin verweist das BfArM darauf, dass Verfälschungen mit den toxischen Glykolen schon aus der Vergangenheit bekannt seien – bereits 1937 waren in den USA Menschen an Diethylenglykol-haltigen Sulfonamid-Präparaten gestorben [10]. Dementsprechend schreibt das Europäische Arzneibuch – dessen Anforderungen für die in Deutschland verkauften Arzneimittel grundsätzlich gelten – in verschiedenen Stoffmonographien Prüfungen auf die beiden toxischen Glykole vor.

Bereits enthalten sind solche Anforderungen und Prüfvorschriften etwa in den Stoffmonographien von Glycerol, Gycerol 85 % sowie bei Macrogolen. Nachgebessert werde aktuell bei einem weiteren Ausgangsstoff: „Die Monographie Propylenglycol wurde um entsprechende Prüfungen ergänzt und auf der letzten Sitzung der Europäischen Arzneibuch Kommission verabschiedet.“ Im Falle von Sorbitol-Lösung 70 % (nicht kristallisierend), sei aktuell keine gesonderte Prüfung auf EG/DEG vorgeschrieben, „aber eine Untermischung mit EG/DEG würde durch die vorgegebenen Prüfungen (Gehaltsbestimmung mit HPLC und Wassergehalt) auffallen, da die vorgegebenen Grenzen in diesem Falle nicht mehr eingehalten werden können“.

Zusätzlich müssen alle Arzneimittel auch den Anforderungen der ICH Guideline „Q3C on impurities: guideline for residual solvents“ entsprechen. Diese Anforderungen und Maßnahmen begrenzten das Risiko für Verfälschungen mit EG/DEG stark. Hinweise auf entsprechend verunreinigte Produkte in Deutschland oder der EU gibt es derzeit nicht.

Screenen nach EG/DEG

Eine besonders gut zur Prüfung von Arzneimitteln und Ausgangsmaterialien auf EG/DEG geeignete Methode ist die Gaschromatographie. Nicht in allen Laboren dieser Welt und insbesondere in von den minderwertigen Arzneimitteln betroffenen Ländern ist jedoch entsprechendes Equipment verfügbar. Daher wird gerade eine semi-quantitative, dünnschichtchromatographische Methode zur Bestimmung der beiden Kontaminanten zur Aufnahme in das Internationale Arzneibuch entwickelt. Mithilfe dieser können EG und DEG nicht voneinander getrennt werden und auch nur Konzentrationen von minimal 0,2 % und höher detektiert werden (die untere Detektionsgrenze ist von den verwendeten Materialien abhängig), jedoch ist dieses Screeningverfahren günstig und einfach in der Umsetzung. Die Screening-Vorschrift finden Sie hier.

Literatur

[1] Medical Product Alert N°6/2022: Substandard (contaminated) paediatric medicines. Warnmeldung der Weltgesundheitsorganisation. 5. Oktober 2022. https://www.who.int/news/item/05-10-2022-medical-product-alert-n-6-2022-substandard-(contaminated)-paediatric-medicines

[2] Medical Product Alert N°7/2022: Substandard (contaminated) paediatric liquid dosage medicines. Warnmeldung der Weltgesundheitsorganisation. 2. November 2022. https://www.who.int/news/item/02-11-2022-medical-product-alert-n-7-2022-substandard-(contaminated)-paediatric-liquid-dosage-medicines

[3] Medical Product Alert N°1/2023: Substandard (contaminated) liquid dosage medicines. Warnmeldung der Weltgesundheitsorganisation. 11. Januar 2023. https://www.who.int/news/item/11-01-2023-medical-product-alert-n-1-2023-substandard-(contaminated)-liquid-dosage-medicines

[4] Medical Product Alert N°4/2023: Substandard (contaminated) syrup medicines. Warnmeldung der Weltgesundheitsorganisation. 25. April 2023. https://www.who.int/news/item/25-04-2023-medical-product-alert-n-4-2023--substandard-(contaminated)-syrup-medicines

[5] Medical Product Alert N°5/2023: Substandard (contaminated) syrup medicines. Warnmeldung der Weltgesundheitsorganisation. 19. Juli 2023. https://www.who.int/news/item/19-07-2023-medical-product-alert-n-5-2023--substandard-(contaminated)-syrup-medicines

[6] Medical Product Alert N°6/2023: Substandard (contaminated) syrup medicines. Warnmeldung der Weltgesundheitsorganisation. 7. August 2023. https://www.who.int/news/item/07-08-2023-medical-product-alert-n-6-2023--substandard-(contaminated)-syrup-medicines

[7] Medical Product Alert N°8/2023: Substandard (contaminated) syrup and suspension medicines. Warnmeldung der Weltgesundheitsorganisation. 7. Dezember 2023. https://www.who.int/news/item/07-12-2023-medical-product-alert-n-8-2023--substandard-(contaminated)-syrup-and-suspension-medicines

[8] Gnegel G. Weitere mit (Di-)Ethylenglykol verunreinigte Erkältungssirupe in Usbekistan identifiziert. DAZ.online am 19.Januar 2023. https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2023/01/19/weitere-mit-di-ethylenglykol-verunreinigte-erkaeltungssirupe-in-usbekistan-identifiziert

[9] WHO urges action to protect children from contaminated medicines. Statement der Weltgesundheitsorganisation. 23. Januar 2023. https://www.who.int/news/item/23-01-2023-who-urges-action-to-protect-children-from-contaminated-medicines

[10] Moll D. WHO: 66 Kinder sterben wegen verunreinigten Erkältungssäften – was steckt dahinter? DAZ.online am 07. Oktober 2022. https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2022/10/07/who-66-kinder-sterben-wegen-verunreinigten-erkaeltungssaeften-was-steckt-dahinter


Dr. Gesa Gnegel, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (gg)
redaktion@daz.online


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