Interview mit Sandoz-Deutschlandchef Thomas Weigold

„Apotheker spielen eine enorm wichtige Rolle“

29.12.2023, 17:50 Uhr

Thomas Weigold ist seit Anfang 2023 Deutschlandchef von Sandoz. (Foto: Sandoz)

Thomas Weigold ist seit Anfang 2023 Deutschlandchef von Sandoz. (Foto: Sandoz)


Nach der Trennung vom Mutterkonzern Novartis im September 2023 will sich der Pharmakonzern Sandoz in der Grundversorgung mit Medikamenten noch breiter als bisher aufstellen. Im Gespräch mit der DAZ kritisiert Thomas Weigold, Country President von Sandoz Deutschland, dass das Generikageschäft hierzulande überökonomisiert sei – niedrige Preise und hohe Kosten hätten hauchdünne Margen zur Folge. Den Apothekern spricht er innerhalb des Gesundheitssystems eine wichtige Rolle zu, auch wenn diese selber stark unter Druck stünden.

Thomas Weigold ist so gut wie sein gesamtes berufliches Leben lang in der Pharmaindustrie tätig: Vor der Jahrtausendwende arbeitete er bei Roche, anschließend lange in verschiedenen internationalen Funktionen für Novartis, seit Anfang 2023 ist er als Country President von Sandoz Germany aktiv. An seiner Tätigkeit fasziniert den Pharmamanager, dass er erheblichen Einfluss auf das Wohlbefinden der Gesellschaft nehmen kann. Im Gespräch mit der DAZ sagt er, dass die Versorgung mit Arzneimitteln in Deutschland zwar vielfach als garantiert angenommen werde. Tatsächlich müsse diese Versorgung aber immer wieder organisiert werden – auch, um die Qualität zu gewährleisten. 

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Als deutscher Landeschef von Sandoz hat Weigold in der Tat Einfluss auf die Gesundheit der Menschen. Das Unternehmen mit Zentrale in Basel und Deutschlandsitz im oberbayerischen Holzkirchen steht nach eigenen Angaben hierzulande für rund 20 Prozent des Grundbedarfs an Arzneimitteln. Unter den Markennamen Hexal und 1 A Pharma vertreibt Sandoz ein Portfolio von rund 400 Wirkstoffen und 5000 patentfreien Arzneimitteln. Hinzu kommen acht Biosimiliars – ein Bereich, in dem Weigold sein Unternehmen mit Abstand als deutschen und europäischen Marktführer sieht und in dem er weiterhin ein großes Wachstumspotenzial erkennt.

Auftragsproduzent für Wettbewerber

Darüber hinaus ist Sandoz für andere Pharmaunternehmen als Auftragsproduzent tätig. Dabei lassen Konkurrenten Arzneimittel von Sandoz produzieren, um diese anschließend selbst zu verpacken und unter eigenem Namen auf den Markt zu bringen. Für Sandoz habe dies den Vorteil, die Kapazitäten auslasten und noch großvolumiger produzieren zu können. „Dadurch kriegen wir die Kosteneffizienz hin, die Asien teilweise hat“, so Weigold. Im Übrigen sei das Auftragsgeschäft auch strategisch interessant. „Auf diese Weise können wir beispielsweise die Penicillin-Produktion für den gesamten europäischen Bedarf abdecken.“

Mit Blick auf das Generikageschäft betont Weigold, dass Sandoz ungeachtet seiner ohnehin starken Stellung in diesem Bereich weiter neue Produkte einführen werde. „Wir fragen uns ständig, wie wir in der Grundversorgung noch stärker werden und uns noch breiter aufstellen können.“ Wenn Patente frei werden, wolle Sandoz dasjenige Unternehmen sein, das ab dem ersten Tag entsprechende Generika anbiete. Darauf liege ein starker Fokus des Konzerns.

Sandoz

Sandoz kann als Unternehmensname auf eine lange Geschichte zurückblicken. Die Firma wurde 1886 in Basel durch Alfred Kern und Edouard Sandoz in Basel (Schweiz) als Anilinfabrik gegründet. 1895 wurde mit Phenazon unter dem Markennamen Antipyrin das erste Arzneimittel produziert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts expandierte das Unternehmen massiv. Ende der 1960er Jahre gehörten weltweit bis zu 40 Tochtergesellschaften dazu. 1996 fusionierte Sandoz dann mit Ciba-Geigy. das entstehende Unternehmen fungierte in der Folge unter dem Namen Novartis. Sandoz als Marke blieb nur noch als Bezeichnung für einige OTC-Fertigarzneimittel erhalten, z.B. Calcium Sandoz.

2003 wurde Sandoz dann als Unternehmensname reaktiviert: Novartis führte seine Generikaunternehmen unter dem Label Sandoz zusammen. Bis 2023 war Sandoz dann die Generika- und Biosimilarsparte von Novartis. Im Herbst erfolgte die Abspaltung, seit Oktober 2023 ist Sandoz an der Schweizer Börse notiert. Firmensitz ist Basel.

In Deutschland weit bekannter als Sandoz sind die Marken Hexal und 1APharma. Hexal wurde 2005 von Novartis übernommen und ist seitdem Teil von Sandoz. 

Quelle: Wikipedia

Engpässe ein „systemisches Problem“

Mit dem Zustand des deutschen Gesundheitssystems ist Weigold unzufrieden. Dieses sei im internationalen Vergleich zwar grundsätzlich robust aufgestellt, habe aber zunehmend Risse. Das zeige sich insbesondere an den Arzneimittelengpässen. Aktuell sind nach den Worten des Sandoz-Managers mehr als 500 Arzneimittel davon betroffen. Die Lieferengpässe würden sich über multiple Unternehmen und über das gesamte Portfolio erstrecken. Weigold: „Wir haben ganz klar ein systemisches Problem.“ Angesichts von niedrigen Festbeträgen für viele generische Arzneimittel würden immer mehr Anbieter aus der Produktion aussteigen. Daher sei es in seinen Augen wichtig, Anreize zu schaffen, um die noch bestehende Fertigung im Land zu halten.

Nur noch wenige Anbieter bei Tamoxifen 

Als Beispiel nennt er Tamoxifen, einen Wirkstoff zur Behandlung von Brustkrebs. Das Produkt sei seit fast 40 Jahren nicht mehr patentgeschützt. Vor etwa 15 Jahren habe es noch rund 20 verschiedene Anbieter entsprechender Fertigarzneimittel im Markt gegeben. Heute seien es im generischen Bereich noch vier. Weigold: „Oligopole Märkte sind anfällig für Engpässe, das haben wir hier mit dem dramatischen Versorgungsengpass im Jahr 2022 erlebt. Ohne die massiven Anstrengungen von Sandoz hätten Brustkrebspatientinnen in Deutschland nicht mehr ausreichend versorgt werden können.“

Darüber hinaus sei Sandoz heute das einzige verbliebene Unternehmen in Europa, das am Standort Kundl in Tirol über eine „komplett vertikal integrierte Penicillin-Produktion“ verfüge, in der sowohl die Rohstoffe als auch die fertigen Arzneimittel hergestellt werden, verpackt und bereit für den Verkauf in der Apotheke.

Foto: Sandoz
Am Standort Kundl in Tirol stellt Sandoz Penicillin her. 

Für wenig aussichtsreich hält es Weigold, eine einmal abgewanderte Fertigung wieder nach Deutschland zurückzuholen. Eine Fabrik aufzubauen dauere fünf bis acht Jahre und koste hunderte von Millionen Euro. „Wenn Sie eine solche Investition tätigen, brauchen Sie zehn Jahre Planungssicherheit und nicht das Damoklesschwert, das im nächsten Jahr eine weitere Festbetragsabsenkung und das ganze Investitionskonzept durcheinander bringt“, so Weigold. „Da muss die Gesundheitspolitik mit ganz anderen Konzepten arbeiten. Das muss eher auf europäischer Ebene ablaufen.“

Schieflage in der Finanzierung

Unmut äußert der Manager auch am Missverhältnis bei der Finanzierung von Arzneimitteln. Während in Deutschland 92 Prozent des Arzneimittelbudgets in die forschende Pharmaindustrie gingen, würden nur 8 Prozent für Arzneimittel in der Grundversorgung ausgegeben – die aber machten 80 Prozent aller Medikamente aus: „In Deutschland hat man es mit der Ökonomisierung der medizinischen Grundversorgung völlig übertrieben. Unglücklicherweise geht dieser Prozess ungebremst weiter. Das bereitet uns große Sorgen.“

Die Abschaffung von Festbeträgen für Kinder-Arzneimittel im Zusammenhang mit dem Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) begrüßt Weigold zwar; andererseits betreffe diese Maßnahme nur ein Prozent der Grundversorgungsmedikamente. So gebe es auch bei Arzneimitteln gegen Diabetes, Asthma oder Krebs Engpässe. Die seien aber bei den Lockerungen nicht berücksichtigt.

Kritisch sieht der Sandoz-Manager auch die Vorgabe des ALBVVG, dass die Hersteller bei bestimmten Arzneimitteln nun einen Vorrat von sechs Monaten anlegen und vorhalten zu müssen. Weigold: „Wir produzieren praktisch alle an der Kapazitätsgrenze. Mehr geht nicht. Trotzdem sollen die Generikahersteller jetzt diese Vorräte anlegen. Das heißt, dass man Produktion aus Nachbarländern abziehen muss, um in Deutschland Lager zu befüllen.“

Angesichts der schwierigen Zeiten, durch die man im deutschen Gesundheitssystem gerade gehe, plädiert Weigold dafür, in Richtung Politik lauter zu werden: „Wir müssen auf die Probleme hinweisen und sie auf den Tisch bringen.“

Apotheker haben wichtige Rolle

In diesem herausfordernden Umfeld misst der Sandoz-Deutschland-Chef den Apotheken eine wichtige Funktion zu. Diese spielten vor allem bei der Grundversorgung eine „enorm wichtige Rolle“, wenngleich sie selber stark unter Druck stünden und mit der aktuellen Entwicklung in der Gesundheitspolitik „äußerst unzufrieden“ seien. Weigold: „Das kann ich ihnen nicht verdenken, denn die Patienten schlagen natürlich bei den Apotheken und nicht im Gesundheitsministerium auf. In der Apotheke manifestieren sich der Ärger und die Verzweiflung der Bürger.“

Der Pharmamanager betont, dass Sandoz „sehr stark“ in den Apotheken, bei den Ärzten und den Großhändlern vertreten sei. „Wir haben einen eigenen Apotheken-Außendienst und sind in einem sehr engen Austausch mit der Apothekerschaft“, so Weigold. Von den rund 17.000 Apotheken in Deutschland decke Sandoz ungefähr 80 Prozent ab.

Transparente Kommunikation

Im Übrigen sei man in der Kommunikation „extrem transparent“, schließlich gehe es gemeinsam darum, die Medikamente zu den Patienten zu bringen. Weigold: „Wir haben selbst immer wieder mal Probleme mit Lieferlieferengpässen aus Asien. Wenn sie so ein breites Sortiment haben, gibt es immer auch mal Defekte im Portfolio. Deswegen ist es wichtig, sich auszutauschen und transparent zu sein.“

Der Pharmamanager berichtet, dass auch immer wieder Apotheker bei Sandoz anrufen und fragen, ob bestimmte Produkte lieferbar sind. „Viele Apotheker versuchen heutzutage leider verzweifelt, irgendwo eine Information oder Medikamente zu bekommen.“ 


Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Festbetragsabsenkung

von Sonja Kirchner am 02.01.2024 um 11:35 Uhr

"...tätigen, brauchen Sie zehn Jahre Planungssicherheit und nicht das Damoklesschwert, das im nächsten Jahr eine weitere Festvertragsabsenkung und das ganze Investitionskonzept durcheinander bringt“..."

Festbetragsabsenkung sollte das wahrscheinlich heißen?

Danke für die angenehme Schreibweise ohne Doppelpunkte und "innen". Der Lesefluss bleibt gut gewährleistet.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Festbetragsabsenkung

von DAZ Redaktion am 02.01.2024 um 11:44 Uhr

Dankeschön für den Hinweis und die Anmerkung!
Ihr DAZ Redaktion

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