GKV-Spitzenverband zieht Bilanz

DiGA: Zu wenig Nutzen und überhöhte Preise

Stuttgart - 08.01.2024, 16:55 Uhr

374.000 Freischaltcodes für DiGA wurden bereits in Anspruch genommen. Mit 71 Prozent sind die meisten Nutzer:innen Frauen. (Foto: Gorodenkoff/AdobeStock)

374.000 Freischaltcodes für DiGA wurden bereits in Anspruch genommen. Mit 71 Prozent sind die meisten Nutzer:innen Frauen. (Foto: Gorodenkoff/AdobeStock)


Wie hat sich der Versorgungsbereich der digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) in den letzten drei Jahren entwickelt? In seinem aktuellen DiGA-Report zieht der GKV-Spitzenverband Bilanz und kommt zu einem ganz anderen Schluss als der Herstellerverband, der seinen Bericht vergangene Woche vorgelegt hatte. Die Kassenseite attestiert den DiGA zu wenig Nutzen und überhöhte Preise.

DiGA können seit Herbst 2020 von Ärzten und Psychotherapeuten verordnet oder direkt vom Patienten bei der Krankenkassen beantragt werden. Die Kosten für die digitalen Anwendungen übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen. Ihr Spitzenverband legt jedes Jahr einen Bericht vor, in dem er ermittelt, wie sich der DiGA-Markt entwickelt und die Anwendungen in Anspruch genommen werden. Diesen Montag wurde der Bericht für den Zeitraum Oktober 2020 bis September 2023 veröffentlicht. 

Erst vergangene Woche hatte auch der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung (SVDGV) erstmals einen DiGA-Report vorgelegt. Während der Herstellerverband das Erprobungsjahr als wichtigen Rahmen für Hersteller sieht, mit dem diese die Entwicklung ihrer DiGA finanzieren können, wollen die Kassen nicht für Anwendungen bezahlen, deren Nutzen noch nicht belegt ist. 

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DiGA: Hohe Preise, wenig Nutzen

Stefanie Stoff-Ahnis, Vorständin beim GKV-Spitzenverband sieht Nachbesserungsbedarf. Sie fordert, die gesetzlichen Rahmenbedingungen anzupassen. DiGA sollten im Verhältnis zu anderen Leistungsbereichen gleichbehandelt werden. So hätten die Anwendungen zwar das Potenzial zur Verbesserung der medizinischen Versorgung und stärkeren Vernetzung, allerdings zeige sich ein Ungleichgewicht zu anderen Leistungen, denn der Nutzennachweis einer DiGA sei vergleichsweise an einfachere Zugangsvoraussetzungen geknüpft. Auch die geforderten Preise für DiGA, die Hersteller im ersten Jahr frei bestimmen dürfen, findet der GKV-Spitzenverband nicht wirtschaftlich. 

Bilanz der DiGA ernüchternd

113 Millionen Euro bezahlten die gesetzlichen Krankenkassen bisher für die digitalen Gesundheitsanwendungen, im Berichtsraum wurden 374.000 DiGA in Anspruch genommen, das sind circa 83 Prozent aller bei den Kassen eingegangenen Verordnungen. Die Ausgaben und Inanspruchnahmen haben sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Laut Stoff-Ahnis ist die DiGA-Bilanz jedoch „von Ernüchterung geprägt“. Auch im dritten Jahr nach ihrer Einführung lösten die Gesundheits-Apps nicht ihr Versprechen ein, die gesundheitliche Versorgung grundlegend zu verbessern. Es könne nicht sein, dass ein Unternehmen für eine DiGA im ersten Jahr der Einführung 2.000 Euro und damit das Zehnfache des Durchschnitts der verhandelten Preise ab dem zweiten Jahr aufrufe. Und das, obwohl nicht einmal nachgewiesen sei, dass die Anwendung den Patientinnen und Patienten überhaupt etwas nutze. „Das Geld der Beitragszahlenden soll in eine bessere Versorgung fließen und keine Wirtschaftsförderung finanzieren“, findet die Vorständin.

Was ist eine DiGa?

DiGA helfen Patienten ihre Erkrankung zu erkennen, zu überwachen oder zu behandeln und sind Medizinprodukte der Risikoklasse I oder IIa. Im Gegensatz zu herkömmlichen Gesundheits-Apps unterliegen sie der Kontrolle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und müssen entsprechende Anforderungen erfüllen, um im sogenannten DiGA-Verzeichnis gelistet werden zu können. Die Hersteller müssen dabei nachweisen, dass die DiGA einen positiven Versorgungseffekt für die Patienten haben, sicher, werbefrei und robust sind sowie die Datenschutzbestimmungen eingehalten werden. 

DiGA-Hersteller müssen nachweisen, dass eine Anwendung den Patient:innen einen medizinischen Nutzen bringt. Hersteller können ihre DiGA zunächst auch nur vorläufig im BfArM-Verzeichnis listen lassen. Sie müssen dazu nur zeigen, dass ein positiver Versorgungseffekt anzunehmen ist. Der Nachweis muss aber erst innerhalb von zwölf Monaten (in Ausnahmefällen 24 Monaten) nachgereicht werden. Laut Bericht ist der Anteil der DiGA, die bei ihrer Aufnahme in den GKV-Leistungskatalog direkt einen Nutzen nachweisen konnten, stark gesunken. So konnte im Zeitraum Oktober 2022 bis September 2023 lediglich eine von 19 DiGA einen Nutzennachweis bei der Aufnahme ins Verzeichnis vorzeigen, in den ersten beiden Jahren waren es ein Viertel der neu zugelassenen DiGA. 

Der SVDGV hingegen verweist in seinem Bericht darauf, dass ein Großteil der DiGA den Nachweis nachreichen kann und nur wenige DiGA (bisher sechs) aus dem Verzeichnis gestrichen werden, zum Stichpunkt des Reports waren 13 DiGA dauerhaft aufgenommen. 

Steigende Preise 

Im ersten Jahr können die Hersteller die Preise für ihre DiGA selbst festlegen. Der Durchschnittsbetrag einer DiGA bei Aufnahme ins Verzeichnis liegt dem Bericht zufolge bei derzeit über 593 Euro. Im ersten Berichtsjahr waren es noch 407 Euro, im zweiten 557 Euro. Hingegen liegen die Preise, die ab dem 13. Monat zwischen Herstellern und GKV-Spitzenverband verhandelt werden, mit 221 Euro bei nur knapp der Hälfte. Das führt laut GKV-Spitzenverband zu einer mangelnden Wirtschaftlichkeit und zu Problemen, wenn ein Hersteller Insolvenz anmeldet. Denn für jede ab dem 13. Monat verordnete oder genehmigte DiGA muss der Hersteller den Differenzbetrag zwischen Herstellerpreis und Vergütungsbetrag an die Kassen zurückzahlen. Die Ausgleichsansprüche würden bei Insolvenz der Hersteller gar nicht oder nicht in Gänze gefüllt. 

Der SVDGV hingegen sieht die Umsätze, die im ersten Jahr generiert wird, als notwendig für den Aufbau eines vielfältigen DiGA-Markts, denn nur so könnten die hohen Kosten finanziert werden, die für die Studien notwendig sind. 

Drei zentrale Forderungen

Abschließend formuliert der GKV-Spitzenverband drei zentrale Forderungen: 

  • Nur DiGA mit nachgewiesenem medizinischem Nutzen und echtem Mehrwert sollten ins Verzeichnis aufgenommen werden dürfen.
  • Das Gebot der Wirtschaftlichkeit muss gewahrt werden. Die Preise müssen angemessen und am Patientennutzen orientiert sein.
  • DiGA müssen in die Versorgungspfade integriert werden. Dafür muss das Digitalisierungspotenzial bei der Behandlung und der Vernetzung über Leistungssektoren hinweg genutzt werden.

Des Weiteren fordert der Verband, dass die tatsächliche Nutzung der DiGA von den Herstellenden transparent gemacht und bei der Vergütung berücksichtigt werden muss. 

 

Auch das lässt sich aus dem DiGA-Bericht entnehmen

  • Die meisten neuen DiGA adressieren psychische Erkrankungen, allerdings sind auch neue Indikationen hinzugekommen, darunter Endometriose, Essstörungen und Herzinsuffizienz
  • Auch die meisten Freischaltcodes wurden für DiGA mit der Indikation für psychische Erkrankungen (121.000) eingelöst, gefolgt von Stoffwechselerkrankungen (72.000) und dem Muskel-Skelett-System (66.0000)
  • 71 Prozent der Freischaltcodes wurden von Frauen eingelöst
  • Versicherte im Alter zwischen 55 bis unter 65 Jahren, dicht gefolgt von der Altersgruppe 50 bis unter 55 Jahren, nehmen am häufigsten eine DiGA in Anspruch. Das durchschnittliche Alter aller Versicherten mit einer DiGA-Inanspruchnahme liegt bei 45 Jahren.
  • 89 Prozent aller eingelösten DiGA-Freischaltcodes, wurden ärztlich verordnet, elf Prozent wurden von den Krankenkassen genehmigt.
  • Insgesamt 83 Prozent aller eingelösten Verordnungen sind Erstverordnungen, der Rest sind Folgeverordnungen.
  • Die Leistungsausgaben seit der ersten Aufnahme einer DiGA in das DiGA-Verzeichnis im September 2020 bis 30. September 2023, betragen 113 Millionen Euro. Dabei lagen die Ausgaben im ersten Jahr noch bei 13,5 Millionen Euro, im zweiten Jahr hingegen bei 42 Millionen Euro.

Julia Stützle, Apothekerin und Volontärin


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