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UK: Warnung vor beabsichtigten Überdosierungen
Warum Propranolol bei Angststörungen keine gute Idee ist
In Großbritannien sind in den Jahren 2022 bis 2023 zwölf absichtliche Propranolol-Überdosierungen mit tödlichem Ausgang dokumentiert worden. Der „National Poisons Information Service“ will nun das Bewusstsein der Gesundheitsberufe für Propranolol-Überdosierungen schärfen, vor allem bei Personen mit Selbstverletzungsrisiko. Laut der deutschen Leitlinie sind Betablocker bei Angststörungen übrigens obsolet.
Wenn Apotheker:innen an Arzneimittel denken, bei denen eine potenzielle Überdosierung droht, gehört der Betablocker Propranolol nicht unbedingt zu den ersten. Und doch macht der „National Poisons Information Service“ (NPIS) in Großbritannien derzeit darauf aufmerksam, dass bei ihm in den Jahren 2022 bis 2023 459 Anfragen zu Propranolol eingegangen sind. Bei 321 Propranolol-Expositionen (aufgeteilt auf 318 Patient:innen) ging es um eine absichtliche Überdosierung des Betablockers. Die Mehrheit der Betroffenen war weiblich (69%) und im Median 33 Jahre alt, aber auch sehr junge (12 Jahre) und alte Menschen (86 Jahre) waren betroffen. In zwölf Fällen wurde ein tödlicher Ausgang dokumentiert.
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Laut dem NPIS-Report war der Betablocker bei 173 der 321 Expositionen verordnet worden, wovon 108 die Behandlung von Angstsymptomen betrafen. In 97 der 108 Expositionen wurde auch die Propranolol-Dosis dokumentiert, die im Median 320 mg betrug. Die höchste berichtete Dosis lag jedoch bei 6400 mg, wobei in sieben tödlichen Fällen ein Median von 3800 mg berichtet wird [1].
Welche Propranolol-Dosierungen sind üblich?
Propranolol ist bekanntermaßen bei einer Vielzahl von Erkrankungen indiziert. Beispielsweise in der Fachinformation von Dociton® 10/40/80 mg Filmtabletten lauten die Anwendungsgebiete für die 40- und 80-mg-Dosierung:
- arterielle Hypertonie
- koronare Herzkrankheit
- tachykarde Herzrhythmusstörungen
- Reinfarktprophylaxe
- symptomatische Therapie des primären Angstsyndroms
- essentieller Tremor
- Migräneprophylaxe
Für die 10-, 40- und 80-mg-Dosierung werden zwei weitere Indikationen aufgelistet:
- hyperkinetisches Herzsyndrom (sogenannte funktionelle Herzbeschwerden)
- Hyperthyreose (symptomatische Therapie als Ergänzung oder bis zum Wirksamwerden spezifischer Maßnahmen)
Beispielsweise bei der arteriellen Hypertonie kann die Dosierung von anfangs „2- bis 3-mal täglich 1 Filmtablette Dociton 40 mg (entsprechend 80 – 120 mg Propranololhydrochlorid)“ auf eine gesamte Tagesmaximaldosis von 320 mg Propranololhydrochlorid gesteigert werden. Bei essentiellem Tremor, zur Migräneprophylaxe oder symptomatischen Therapie des primären Angstsyndroms gilt als übliche Anfangsdosis 2- bis 3-mal täglich 1 Filmtablette Dociton 40 mg (entsprechend 80 – 120 mg Propranololhydrochlorid). Es heißt jedoch, dass die Dosierung und das Dosierungsintervall bei diesen Indikationen individuell ermittelt werden müssen [2].
Woran erkennt man eine Propranolol-Überdosierung?
In dem NPIS-Report heißt es, dass zwischen 2007 und 2017 die Abgabe von Propranolol in Großbritannien um 41% angestiegen ist, dabei soll die Zahl der Todesfälle durch Propranolol-Überdosierung in England und Wales sogar um 205% angestiegen sein [1]. Eine Propranolol-Überdosierung äußert sich laut Fachinformation so: „Das klinische Bild ist in Abhängigkeit vom Ausmaß der Intoxikation im Wesentlichen von kardiovaskulären und zentralnervösen Symptomen geprägt. Überdosierung kann zu
- schwerer Hypotonie,
- Bradykardie bis zur Herzinsuffizienz, zum
- Herzstillstand und
- kardiogenen Schock führen. Zusätzlich können
- Atembeschwerden,
- Bronchospasmen,
- Erbrechen,
- Bewusstseinsstörungen und gelegentlich auch
- generalisierte Krampfanfälle auftreten“.
Je nach Symptomatik kommen verschiedene Gegenmittel zum Einsatz (z.B. Salbutamol, Atropin, Glucagon, Adrenalin, Diazepam usw.) [2].
Das sagt die deutsche Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen
Bereits 2020 hatte die britische Abteilung für Sicherheitsuntersuchungen im Gesundheitswesen (UK Healthcare Safety Investigation Branch, HSIB) auf das möglicherweise zu wenig beachtete Risiko, das von Propranolol ausgeht, aufmerksam gemacht. Damals ging es um einen tödlichen Fall, bei dem Propranolol zur Migräne-Prophylaxe angewendet und schließlich gemeinsam mit Citalopram überdosiert wurde. Als eine von vielen Konsequenzen sollte der NPIS damals unter anderem seine Informationen in der Toxbase-Datenbank (www.toxbase.org/) überprüfen [2, 3, 4]. Nach eigenen Angaben ist der NPIS jetzt dabei, einen Bericht zu verfassen, um das Bewusstsein für Propranolol-Überdosierungen zu schärfen und erklärt: „Eine sorgfältige Bewertung der Angemessenheit einer Propranolol-Verschreibung an Personen mit Selbstverletzungsrisiko, wird sich wahrscheinlich positiv auswirken“ [1]. Unter den oben genannten Indikationen sollten Gesundheitsberufe also wohl zumindest beim Angstsyndrom verstärkt aufmerksam sein.
In der aktuellen deutschen S3-Leitlinie „Behandlung von Angststörungen“ heißt es im Kapitel Pharmakotherapie zu Betablockern: „Weil Betablocker auf autonome Angstsymptome wie Palpitationen, Tremor usw. Einfluss haben können, wurden sie gelegentlich bei der Behandlung der Panikstörung eingesetzt. Jedoch war der Betablocker Propranolol nicht wirksamer als Placebo (Munjack et al., 1989) und weniger wirksam als Vergleichssubstanzen (Munjack et al., 1989; Noyes et al., 1984).“ Viele Patient:innen mit Angststörungen sollen zudem oft an niedrigem Blutdruck oder orthostatischer Dysregulation leiden. Betablocker sind laut Leitlinie insgesamt in der Angstbehandlung obsolet [5].
Literatur
[1] UK Health Security Agency. National Poisons Information Service Report 2022 to 2023, www.npis.org/Annual%20reports.html
[2] Fachinformation von Dociton® 10/40/80 mg Filmtabletten, Stand 08.2019, www.fachinfo.de/
[3] HSIB.‘Potential under-recognised risk of harm from the use of propranolol. Healthcare Safety Investigation I2018/022’; February 2020, https://hsib-kqcco125-media.s3.amazonaws.com/assets/documents/hsib_report_potential_under_recognised_risk_harm_propranolol.pdf
[4] Toxbase-Datenbank, www.toxbase.org/
[5] S3-Leitlinie Behandlung von Angststörungen, Stand:06.04.2021, gültig bis: 05.04.2026, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/051-028
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