Arzneimittel in Gewässern

Nordrhein-Westfalen plant Ausbau der Kläranlagen

Berlin - 19.01.2024, 15:30 Uhr

Die Kampagne „Machts klar"  wirbt für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Arzneiresten. (Foto: Machts klar)

Die Kampagne „Machts klar"  wirbt für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Arzneiresten. 
(Foto: Machts klar)


In Nordrhein-Westfalen sind viele Gewässer mit Arzneimittelrückständen belastet, das legen aktuelle Untersuchungen offen. Die Landesregierung plant deshalb den Ausbau der Filteranlagen in Kläranlagen. Zukünftig sollen dort auch verstärkt Energie und wichtige Rohstoffe aus Abwässern gewonnen werden.

Mehr als 150 Oberflächengewässer in Nordrhein-Westfalen (NRW) sind mit Arzneimittelrückständen oder deren Abfallprodukten belastet. Die gemessenen Konzentrationen lagen oberhalb der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) für Arzneimittel und Abbauprodukte. Der zuständige Ausschuss für Umwelt- und Verbraucherschutz in NRW hatte am vergangenen Mittwoch über Einträge von Arzneimitteln und multiresistenten Erregern ins Trinkwasser beraten. Auf Anfrage der SPD-Landtagsfraktion hatte Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) den Ausschuss schriftlich über die Ergebnisse der Abwasseruntersuchungen informiert. Auch in Trinkwasserreservoirs konnten Rückstände von Arzneimitteln nachgewiesen werden, allerdings nur selten und in sehr geringer Konzentration.

Ausbau der Filtersysteme

Die Landesregierung plant deshalb den Ausbau der Kläranlagen. Eine zusätzliche vierte Filterstufe soll den Eintrag von Arzneirückständen reduzieren. Aktuell verfügen bereits 20 Kläranlagen in NRW über diese vierte Reinigungsstufe, bis 2039 sollen 101 weitere Anlagen nachgerüstet werden. Das Land NRW beteiligt sich mit etwa 50 Prozent an den zuwendungsfähigen Kosten für die neuen Filter. Zudem sollen 30 Prozent der Kosten für neue Belüftungsanlagen durch das Land übernommen werden, die für die Senkung des Energieverbrauchs notwendig sind. Mit einer zusätzlichen Filterstufe wird auch der Energieverbrauch weiter steigen. Kläranlagen gehören nach Aussage der Landesregierung ohnehin zu den größten kommunalen Energieverbrauchern.

Schäden durch Diclofenac und Ibuprofen

Ibuprofen und Diclofenac sind für einen Großteil der schädlichen Einträge ins Grundwasser verantwortlich. Das Gesundheitsministerium in NRW geht davon aus, dass Fische durch beide Substanzen Organschäden erleiden und in ihrer Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigt werden. Bei Ibuprofen ist umstritten, ob Einträge Schäden bei Wasserlebewesen hervorrufen. Ibuprofen ist der häufigste im Abwasser nachgewiesene Wirkstoff. Insgesamt sind zehn Spurenstoffe für 95 Prozent der schädlichen Einleitungen verantwortlich. Über die Schädlichkeit von Diclofenac sind sich die Experten weitgehend einig.

Fehlende Reglementierung

Gegenwärtig gibt es keine verbindliche Regelung für das Monitoring von Arzneimitteleinträgen in Oberflächengewässern. Dennoch untersucht das Landesinstitut für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) regelmäßig die Belastungen der regionalen Gewässer. Zudem erarbeitet das LANUV derzeit einen Arbeitsleitfaden für den Nachweis multiresistenter Keime im Abwasser, da es auch hier bisher keine standardisierten Messmethoden gibt. Das Umweltministerium NRW bemängelt, dass es auch für die Abwassereinleitung aus Krankenhäusern keine besonderen Regelungen gelten, was hinsichtlich der Verbreitung multiresistenter Keime im Abwasser problematisch sei.

Kostenbeteiligung der Produzenten

Nach dem Willen der EU-Kommission sollen zukünftig Produzenten von Arzneimitteln und Kosmetikartikeln an den Kosten der Abwasseraufbereitung beteiligt werden. In einem Gutachten des Verfassungsrechtlers Udo die Fabio wurden die Hersteller von Arznei- und Körperpflegeprodukten als Hauptverursacher von Mikroverunreinigungen im Abwasser bezeichnet. Das Umweltministerium in NRW hält das für unzureichend, neben Kosmetik- und Pharmaindustrie sollten weitere relevante Branchen an den Kosten beteiligt werden. Auch das EU-Parlament hat sich im vergangenen Jahr für die Kostenbeteiligung der Hersteller ausgesprochen.

Ein Gutachten des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) aus dem Jahr 2022 veranschlagte allein für Diclofenac Abwasserreinigungskosten von 5,85 Milliarden Euro innerhalb eines Zeitraums von 30 Jahren. Geplant ist, dass die Hersteller Diclofenac-haltiger Arzneimittel 20 bis 25 Prozent der Reinigungskosten tragen sollen, also etwa 1,5 Milliarden Euro.

Strategie zur Fremdstoffreduktion

Das Land NRW verfolgt eine umfassende Strategie zur Reduktion von Fremdstoffen im Abwasser. Für eine alternde Gesellschaft wird ein wachsender Arzneimittelverbrauch erwartet, demnach auch eine steigende Belastung der Abwässer. Deshalb informiert die Internetseite machts-klar.de über die sachgerechte Entsorgung von Arzneimitteln: „Medikamente gehören nicht ins Klo“. Für weiter gehende Fragen zum Thema ist eine kostenlose Hotline eingerichtet. Die Verbraucherzentrale berät zu Fremdstoffen im Abwasser, sie stellt Flyer und Bildungsmaterial für Grundschulen zur Verfügung.

Abwasser als Rohstoff

In einem Forschungsprojekt in der Kläranlage von Bottrop wird zudem erprobt, wie aus Abwässern strombasierte E-Fuels hergestellt werden können. Damit könnte die Energiebilanz der Anlagen verbessert werden. Die Gewinnung von Energie und Rohstoffen aus Abwässern hat schon jetzt eine große Bedeutung. Seit 2017 ist die Rückgewinnung von Phosphor aus Abwässern gesetzlich vorgeschrieben. Phosphoreinträge sind einerseits problematisch für das Ökosystem, gleichzeitig ist Phosphor wichtiger Rohstoff der Düngerproduktion, der infolge des Krieges in der Ukraine noch knapper geworden ist – Russland ist der zweitgrößte Produzent von Phosphordünger. Auch hinsichtlich der Informationsgewinnung über das Infektionsgeschehen oder den Drogenkonsum in der Bevölkerung wird die Bedeutung des Abwassers als Ressource zukünftig weiter steigen.


Michael Zantke, Redakteur, DAZ
redaktion@daz.online


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