Auf der Suche nach Biomarkern

Warum Long COVID so schwer zu diagnostizieren ist

Stuttgart - 19.01.2024, 09:15 Uhr

Noch kann man Long COVID nicht mittels einer einfachen Blutanalyse diagnostizieren. Es fehlt an eindeutigen Biomarkern. (Foto: Steffen Kögler / AdobeStock)

Noch kann man Long COVID nicht mittels einer einfachen Blutanalyse diagnostizieren. Es fehlt an eindeutigen Biomarkern. (Foto: Steffen Kögler / AdobeStock)


Das Long/Post-COVID-Syndrom ist eine sehr heterogene Erkrankung, deren Pathomechanismus noch nicht verstanden ist. Entsprechend schwierig ist es, bei Betroffenen eine Diagnose zu stellen. Biomarker könnten bei der Diagnose helfen – Forscher:innen sind auch bereits einigen auf der Spur. Bis diese jedoch Eingang in die Praxis finden, wird es noch einige Zeit dauern. Das zeigt auch eine aktuelle Studie.

In der „S1-Leitlinie Long/ Post-COVID - Living Guideline“ (Stand 05.03.2023) heißt es zur Entstehung der Folgeerkrankung einer COVID-19-Infektion: „Die Pathogenese des Long/Post-COVID-Syndroms ist nicht geklärt, sie ist multifaktoriell und nicht bei allen Patient*innen gleich.“ Als mögliche Mechanismen werden aber folgende genannt:

  • persistierende Gewebeschäden,
  • eine Persistenz von Viren oder Virusbestandteilen als Krankheitstrigger sowie
  • eine chronische (Hyper-)inflammation und/oder
  • Autoimmunphänomene und
  • eine nachgewiesene post-virale Koagulopathie

Entsprechend schwierig ist es auch, ein Long/Post-COVID-Syndrom zu diagnostizieren. Es gibt laut Leitlinie keine einzelne Laboruntersuchung und auch keine Gruppe aus Laborwerten, mit deren Hilfe eine Diagnose auf Long/Post-COVID gestellt werden kann. „Die Labordiagnostik dient in erster Linie der Differenzialdiagnostik“, heißt es. Dabei spielen beispielsweise anti-Phospholipid-Antikörper, Autoantikörper gegen Interferone, Neutrophile, Citrullin und Zellkerne eine Rolle [1].

Dysregulation des Komplementsystems, Gewebeschäden und eine veränderte Blutgerinnung

Das „Science Media Center“ (SMC) in Deutschland meldet nun, dass Forschende jetzt Biomarker identifiziert haben, mit denen Long COVID künftig diagnostiziert werden könnte. Expert:innen machen jedoch darauf aufmerksam, dass die neuen Erkenntnisse noch nicht direkt Eingang in die Praxis finden werden.

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Das SMC bezieht sich auf eine Studie von Forschenden der Universität Zürich im Fachjournal „Science“ und erklärt: „Die Blutserumproteine der Long-COVID-Betroffenen zeigten Veränderungen, die mit einer Dysregulation des Komplementsystems – einem Teil der angeborenen Immunabwehr – einhergingen. Darüber hinaus identifizierten sie Marker für Gewebeschäden und eine veränderte Blutgerinnung, die zusammenhängend auf eine sogenannte thromboinflammatorische Reaktion schließen lassen“.

Professor Andres Stallmach, Direktor der Klinik für Innere Medizin IV und Leiter des Long-COVID-Zentrums am Universitätsklinikum Jena sowie Mitautor der S1-Leitlinie Long/Post-COVID gibt jedoch zu bedenken: „Die Ergebnisse sind (noch) nicht in die tägliche Routine zu übertragen. Es gibt bisher keinen schnell verfügbaren diagnostischen Test, der die beschriebenen Veränderungen adressiert“ [2,3].

Long COVID ist nicht gleich Long COVID

Außerdem gibt Stallmach die verschiedenen Subgruppen des Post-COVID-Syndroms zu bedenken, „wie sie in der aktuellen S2K-Leitlinie SARS-CoV-2, COVID-19 und (Früh-)Rehabilitation‘ beschrieben werden (beispielsweise Fatigue-dominant, Dyspnoe-dominant oder zum Beispiel Polyneuropathie im Rahmen eines Post-Intensive Care-Syndroms (PICS))“. Aufgrund der Gruppengröße (40 Patient:innen) mit Long COVID in der aktuellen Studie sei eine Differenzierung zwischen diesen verschiedenen Ausprägungen nicht möglich. Noch wisse man zudem nicht, ob die identifizierten Biomarker auf andere post-infektiöse Erkrankungen hinweisen könnten – beispielsweise nach einer EBV-Infektion (Epstein-Barr-Virus) [2,4].

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Professorin Clara Lehmann – Fachärztin für Innere Medizin, Infektiologie, Reisemedizin und Leiterin des Infektionsschutzzentrums, der Infektionsambulanz sowie der Post-COVID-Ambulanz an der Uniklinik Köln – betont, dass die aktuelle Studie keine Patient:innen mit milden Long-COVID-Verläufen einschließe, die aber einen bedeutenden Anteil der Betroffenen ausmachten. „Es scheint, als gäbe es verschiedene Unterformen von Long COVID. Die hier abgebildete und recht genau untersuchte Kohorte entspricht den Patienten, die von Anfang an einen schweren Verlauf der akuten Erkrankung haben […]“, erklärt auch PD Dr. Leo Nicolai, Forschungsgruppenleiter an der Medizinischen Klinik und Poliklinik I, Klinikum der Universität München (LMU). Zusammenfassend meint er, dass es sicherlich sinnvoll sei, „bei Patienten mit Long COVID Marker der Gefäßschädigung und des Komplementsystems zu bestimmen“. Vor allem aber brauche es deutlich größer angelegte Studien: „40 Patienten mit Long COVID wie in dieser Studie sind zu wenig. Um verlässliche Daten für dieses heterogene Krankheitsbild zu generieren, benötigen wir eher hunderte bis tausende Patienten.“ Auch Professor Gabor Petzold – Leiter der Sektion Vaskuläre Neurologie, Neurologische Klinik, Universitätsklinikum Bonn, und Leiter der Forschungsgruppe Vaskuläre Neurologie, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) – findet, dass die Studie „der ausgeprägten Verschiedenheit (Heterogenität) des Krankheitsbildes nicht gerecht wird“ [2].

Reaktivierung von Herpesviren? Biomarker für Studien hilfreich

Überdies merkt Professorin Lehmann an, dass in der Studie unklar bleibe, „ob es sich um einen COVID-19-spezifischen Mechanismus handelt und inwieweit er auf andere Erreger übertragbar ist“. Professorin Maria Vehreschild – Leiterin des Schwerpunkts Infektiologie an der Medizinischen Klinik II am Universitätsklinikum Frankfurt – gibt zu bedenken, dass in der Studie „bei den betroffenen Patient:innen auch erhöhte Antikörper gegenüber dem Cytomegalievirus und dem Epstein-Barr-Virus gefunden wurden“.

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Kein Signal für eine Reaktivierung des Herpes zoster

Professor Petzold erklärt, dass es in der Studie Hinweise gebe, dass eine Reaktivierung vorhandener Herpesviren zur überschießenden Komplementaktivierung bei Long COVID führen könnte. Abschließend klären könne die Studie die Ursachen aber nicht. Vehrenschild schlussfolgert, dass die identifizierten Biomarker in Standardlaboren nicht etabliert sind, jedoch eine große Hilfe sein können, „wenn es zum Beispiel darum geht, passende Patient:innen für klinische Studien auszuwählen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, reaktivierte Herpesviren zu behandeln, um Long-COVID-Symptome zu reduzieren“ [2].

Literatur 

[1] S1-Leitlinie Long/ Post-COVID - Living Guideline“, Stand 05.03.2023, gültig bis 04.03.2024, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/020-027

[2] Mail des „Science Media Center“ (SMC) vom 18.01.2024

[3] Cervia-Hasler C et al. (2024): Persistent complement dysregulation with signs of thromboinflammation in active Long Covid. Science. DOI: 10.1126/science.adg7942.

[4] S2k-Leitlinie COVID-19 und (Früh-) Rehabilitation, Stand 01.12.2023, gültig bis 30.11.2028, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/080-008


Deutsche Apotheker Zeitung / dm
redaktion@daz.online


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