Anhaltender Lieferengpass bei PrEP

Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil – Aidshilfe bittet um Feststellung des Versorgungsmangels

Stuttgart - 23.01.2024, 10:45 Uhr

Offizielle Lieferengpässe von Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil sollen bei drei Herstellern bestätigt worden sein, die zusammen 71 Prozent des Marktes abdecken. (Symbolbild: alimyakubov / AdobeStock) 

Offizielle Lieferengpässe von Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil sollen bei drei Herstellern bestätigt worden sein, die zusammen 71 Prozent des Marktes abdecken. (Symbolbild: alimyakubov / AdobeStock) 


Bereits im vergangenen Jahr hatte sich bei der Wirkstoffkombination Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil gegen HIV ein Lieferengpass abgezeichnet. Dieser hat sich im neuen Jahr weiter zugespitzt. Die Deutsche Aidshilfe fordert die Politik jetzt auf zu handeln.

Wenn es bei Arzneimitteln Lieferengpässe gibt, merken das die Apotheken-Mitarbeiter:innen vor Ort in der Regel zuerst. Wenn das Thema dann langsam zu den Patient:innen durchdringt und die Medien versuchen, die Hintergründe zu klären, wird von den Verantwortlichen häufig beschwichtigt, dass sich die Lage bald wieder bessert. Manchmal ist das auch so – aber bei weitem nicht immer. Das jüngste Beispiel ist die Wirkstoffkombination Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil, die bei HIV vor allem, aber nicht nur, als Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) zum Einsatz kommt.

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Noch am 13.12.2023 hatten Pharmafirmen und andere Akteure der Deutschen Aidshilfe versichert, „die Versorgung mit dem HIV-Medikament Emtricitabin plus Tenofovir sei stabil“. Doch bereits am 22. Dezember 2023 berichtete die Aidshilfe, sich an die zuständigen Stellen des Bundes gewandt zu haben, weil immer mehr Apotheken das HIV-Arzneimittel nicht mehr nachbestellen konnten. Dabei verwies sie auch auf eine Pressemitteilung der Deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG), der Vertretung ambulant tätiger HIV-Mediziner*innen (dagnä) und der Arbeitsgemeinschaft HIV-kompetenter Apotheken (DAHKA), in der bereits Ende November von massiven Lieferproblemen die Rede war. Zu den Hintergründen der Engpässe äußerte sich die Aidshilfe im Dezember 2023 so [1, 2]:


„Die Gründe für den Engpass sind offenbar vielschichtig. So haben zum Beispiel zwei Fabriken nach unseren Informationen Produktionsprobleme, außerdem scheint es einzelne Schwierigkeiten in der Lieferkette und eine verstärkte Nachfrage zu geben. Auch Preisunterschiede auf dem europäischen Arzneimittelmarkt dürften eine Rolle spielen: Hersteller bekommen in vielen Nachbarländern offenbar mehr Geld für ihre Medikamente als in Deutschland.“

Meldung der Deutschen Aidshilfe vom 22. Dezember 2023


Jetzt meldete die Aidshilfe vergangene Woche, dass der Bedarf an der Wirkstoffkombination Emtricitabin plus Tenofovirdisoproxil voraussichtlich bis März nicht gedeckt werden kann. Nutzer:innen mussten demnach ihre HIV-Prophylaxe PrEP bereits unterbrechen, HIV-Therapien seien umgestellt worden und weitere PrEP-Unterbrechungen und Therapieumstellungen seien zu befürchten, heißt es. 

Patient:innen sollen um Einzelimporte bitten

Die Deutsche Aidshilfe (DAH), die ambulant tätigen HIV-Mediziner*innen (dagnä), die Deutsche AIDS-Gesellschaft (DAIG) und die Arbeitsgemeinschaft HIV-kompetenter Apotheken (DAHKA) haben sich nun mit Vertreter:innen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bei einem digitalen Runden Tisch zum Engpass beraten. Das BfArM habe zugesichert, „Hersteller nach wirkstoffidentischen Medikamenten mit europäischer Zulassung im Portfolio zu fragen“, um deren Import zu gestatten. Allerdings sei auch in den Nachbarländern nur begrenzt Ware auf dem Markt, teils wurden auch im Ausland Engpässe gemeldet. Man habe das BfArM darum gebeten, beim Gesundheitsministerium auf die Feststellung eines Versorgungsmangels nach § 79 Abs 5 AMG hinzuwirken. 

Die Deutsche Aidshilfe empfiehlt Patient:innen und PrEP-User:innen, ihre Ärzt:innen und Apotheker:innen auf die Möglichkeit von Einzelimporten aufmerksam zu machen. Eine Erfolgsgarantie gebe es dabei jedoch nicht [3].

Patient:innen auf anlassbezogene PrEP hinweisen

„Wir sind an dem Punkt, vor dem Praxen und Apotheken seit Monaten warnen“, wird dagnä-Vorstandsmitglied Dr. med. Stefan Mauss in einer Pressemitteilung vom 16. Januar 2024 zitiert. „Es wirkt so, als kümmere sich das BMG nicht um das Problem.“ 

Offizielle Lieferengpässe von Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil sind der Mitteilung zufolge vom BfArM bei drei Herstellern bestätigt worden, die zusammen 71 Prozent des Marktes abdecken. Doch nach Einschätzung von DAHKA-Vorstand Erik Tenberken ist die Lage noch dramatischer als die Zahlen des BfArM suggerieren würden. Wie es heißt, erarbeiten Dagnä, DAIG, DAHKA und DAH aktuell gemeinsam Strategien, um die Versorgung so gut wie möglich aufrechtzuerhalten. Beispielsweise könnten neue Dreimonatspackungen gestückelt werden oder Patient:innen auf die Möglichkeit einer anlassbezogenen PrEP hingewiesen werden. Letztere gelte jedoch nicht für alle Nutzer als geeignet [4]. 

Bei manchen Menschen mit HIV wird Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil auch im Rahmen einer sogenannten Salvage-Therapie („Rettungs-Therapie“) eingesetzt, wenn es aufgrund von Resistenzen keine anderen Optionen mehr gibt [3]. Diese sind vom Engpass also besonders schwer betroffen. Das Originalpräparat Truvada von Gilead ist derzeit offenbar noch lieferbar [4]. 

Literatur

[1] Meldung der Deutschen Aidshilfe vom 22. Dezember 2023, https://www.aidshilfe.de/meldung/aktualisiert-versorgung-prep-medikament-offenbar-gefaehrdet

[2] Pressemitteilung der Deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG), der Vertretung ambulant tätiger HIV-Mediziner*innen (dagnä) und der Arbeitsgemeinschaft HIV-kompetenter Apotheken (DAHKA) vom 29.11.2023. https://www.dagnae.de/wp-content/uploads/2023/11/PM_HIV-Medikamente.pdf

[3] Meldung der Deutschen Aidshilfe vom 17. Januar 2024, https://www.aidshilfe.de/hiv-prep-engpass#:~:text=Der%20Mangel%20am%20HIV%2DMedikament,und%20Therapieumstellungen%20sind%20zu%20bef%C3%BCrchten

[4] Pressemitteilung der Deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG), der Vertretung ambulant tätiger HIV-Mediziner*innen (dagnä) und der Arbeitsgemeinschaft HIV-kompetenter Apotheken (DAHKA) vom 16.01.2024, https://www.dagnae.de/wp-content/uploads/2024/01/PM_Mangel_an_HIV_Medikamenten_eskaliert-1.pdf


Deutsche Apotheker Zeitung / dm
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