Suizidale Gedanken und suizidales Verhalten

Britische Arzneimittelbehörde rät verschärft von Fluorchinolon-Antibiotika ab

Stuttgart - 24.01.2024, 17:50 Uhr

Unter Fluorchinolon-Therapie können Depressionen auftreten oder verstärkt werden. (Symbolfoto: LIGHTFIELD STUDIOS / AdobeStock)

Unter Fluorchinolon-Therapie können Depressionen auftreten oder verstärkt werden. (Symbolfoto: LIGHTFIELD STUDIOS / AdobeStock)


2019 wurde die Anwendung von Fluorchinolon-Antibiotika in Deutschland stark beschränkt. 2023 gab es dann Hinweise, dass die Antibiotika trotz schwerwiegender Nebenwirkungen weiterhin außerhalb der empfohlenen Anwendungsgebiete verordnet werden. Ein Rote-Hand-Brief machte darauf aufmerksam. Jetzt mahnt die britische Arzneimittelbehörde nochmals verschärft, Fluorchinolone nur einzusetzen, wenn es nicht anders geht.

Im Juni vergangenen Jahres erinnerte ein Rote-Hand-Brief an die Anwendungsbeschränkungen von systemisch und inhalativ angewendeten fluorchinolonhaltigen Antibiotika – namentlich Ciprofloxacin, Delafloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin, Ofloxacin:


„Systemisch und inhalativ angewendete Fluorchinolone sind mit sehr seltenen, schwerwiegenden, die Lebensqualität beeinträchtigenden, lang anhaltenden (über Monate oder Jahre andauernd) und möglicherweise irreversiblen Nebenwirkungen assoziiert. Diese Produkte sollten nur für die zugelassenen Indikationen (viele davon beschränkt auf die Behandlung der letzten Wahl bei Patienten und Patientinnen, für die es keine alternativen therapeutischen Optionen gibt) und nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung für den einzelnen Patienten verschrieben werden.“

Rote-Hand-Brief zu systemisch und inhalativ angewendeten fluorchinolonhaltigen Antibiotika: Erinnerung an die Anwendungsbeschränkungen, 07.06.2023


Auch die britische Arzneimittelbehörde MHRA (Medicines and Healthcare products Regulatory Agency) machte im August 2023 darauf aufmerksam, Fluorchinolone aufgrund der schwerwiegenden Nebenwirkungen nicht für milde, mittelschwere oder selbstlimitierende Infektionen zu verordnen, wenn andere geeignete Antibiotika zur Verfügung stehen [2].

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Solche Nebenwirkungen können 

  • Tendinitis, 
  • Sehnenruptur, 
  • Arthralgie, 
  • Schmerzen in den Extremitäten, 
  • Gangstörungen, 
  • Neuropathien mit Parästhesien, 
  • Depressionen, 
  • Fatigue, 
  • Gedächtnisstörungen, 
  • Halluzinationen, 
  • Psychosen, 
  • Schlafstörungen und 
  • Beeinträchtigungen der Sinne (Hören, Sehen, Schmecken und Riechen) sein [1].

Ende September 2023 warnte die MHRA dann nochmals speziell vor suizidalen Gedanken und suizidalem Verhalten unter Fluorchinolonen [3].

AkdÄ: Suizidalität ohne Suizidversuche in der Vorgeschichte

Darauf macht derzeit auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) aufmerksam: „Die Britische Arzneimittelbehörde (MHRA) erinnert an das Risiko psychiatrischer Reaktionen unter Fluorchinolon-haltigen Antibiotika. Diese schließen Depressionen und psychotische Reaktionen ein, die Suizidgedanken und -versuche zur Folge haben können“, heißt es in einer „Drug Safety Mail“ der AkdÄ. Die Exazerbation bestehender psychiatrischer Symptome sei möglich, die AkdÄ selbst beschrieb 2004 „vier Fälle von Suizidalität im Zusammenhang mit Fluorchinolonen bei Personen ohne Suizidversuche in der Vorgeschichte“. 

Laut AkdÄ wird das Risiko psychiatrischer Symptome in verschiedenen Fachinformationen zu Fluorchinolonen in Deutschland aufgeführt. Diese könnten bereits nach der ersten Anwendung auftreten. Das Fluorchinolon sollte dann abgesetzt und die behandelnden Ärzt:innen aufgesucht werden. Es besteht die Gefahr, dass Betroffene die Symptome nicht (als Nebenwirkung) wahrnehmen, das Umfeld ist also ebenfalls angehalten aufmerksam zu sein [4].

MHRA: Fluorchinolone sind letzte Wahl

Am 22. Januar hat die MHRA jetzt noch ein weiteres Update zu Fluorchinolonen veröffentlicht, kurz und knapp auf den Punkt gebracht heißt es dort: Fluorchinolon-Antibiotika dürfen nur noch verschrieben werden, wenn andere allgemein empfohlene Antibiotika ungeeignet sind. Die MHRA versteht das als eine Verschärfung ihrer Empfehlung vom August 2023. Dabei erinnert die MHRA zudem nochmals daran, in welchen Situationen Fluorchinolone besonders gefährlich sind [5]:

  • bei Patient:innen, die zuvor schwerwiegende Nebenwirkungen unter Chinolon- oder Fluorchinolon-Antibiotika erlitten haben
  • bei Patient:innen über 60 Jahren und bei Personen mit Nierenfunktionsstörungen sowie Transplantationen, es besteht ein erhöhtes Risiko für Sehnenverletzungen
  • bei Glucocorticoid-Behandlung, da damit unter Fluorchinolonen das Risiko für Tendinits und Sehnenrisse verstärkt wird

Literatur

[1] Rote-Hand-Brief zu systemisch und inhalativ angewendeten fluorchinolonhaltigen Antibiotika: Erinnerung an die Anwendungsbeschränkungen, 07.06.2023, www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RHB/2023/rhb-fluorchinolone.html

[2] MHRA: Fluoroquinolone antibiotics: reminder of the risk of disabling and potentially long-lasting or irreversible side effects, 30. August 2023, www.gov.uk/drug-safety-update/fluoroquinolone-antibiotics-reminder-of-the-risk-of-disabling-and-potentially-long-lasting-or-irreversible-side-effects

[3] MHRA: Fluoroquinolone antibiotics: suicidal thoughts and behaviour, 26. September 2023, www.gov.uk/drug-safety-update/fluoroquinolone-antibiotics-suicidal-thoughts-and-behaviour

[4] Drug Safety Mail 2024-03 der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) vom 22.01.2024, www.akdae.de/service/newsletter/newsletter-archiv/akdae-news/newsdetail/drug-safety-mail-2024-03

[5] MHRA: Fluoroquinolone antibiotics: must now only be prescribed when other commonly recommended antibiotics are inappropriate, 22. Januar 2024, www.gov.uk/drug-safety-update/fluoroquinolone-antibiotics-must-now-only-be-prescribed-when-other-commonly-recommended-antibiotics-are-inappropriate


Deutsche Apotheker Zeitung / dm
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Fluorchinolone in Ohrentropfen

von Dorf-Apothekerin am 25.01.2024 um 11:18 Uhr

In den USA werden Trommelfell-Perforationen durch Fluorchinolone untersucht. Das Material von Sehnen und Trommelfell dürfte sich nicht viel unterscheiden, so dass ein Zusammenhang sehr plausibel erscheint. Meine Tochter hatte dieses Problem ein halbes Jahr nach Therapie mit Ofloxacin Ohrentropfen. Der Höhenunterschied von 500m in 5 Stunden wurde nicht mehr kompensiert.
Der Chirurg bietet diese Ohrentropfen nicht mehr an, in der Ambulanz wird es aber immer wieder aufgeschrieben mangels Alternativen. Leitlienientrainierte Ärzte weigern sich zudem auf antibiotische Augentropfen auszuweichen.
Hier sind wir als Arzneimittelfachleute gefordert. Ich könnte diese Ohrentropfen nicht mehr verkaufen.

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