Allerdings gibt es schon seit Jahren Schwierigkeiten, die benötigten Arzneimittel zu beschaffen. Pharmafirmen weigern sich, Präparate für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen. Zudem tobt ein juristischer Streit, inwiefern die Zulassungsbehörden involviert sein müssen. Das bewegt die ausführenden Behörden zu Experimenten. Zum einen werden unerprobte Wirkstoffe bzw. Wirkstoffkombinationen eingesetzt. So experimentieren die US-Behörden teils mit Giftcocktails, zum Beispiel aus dem Benzodiazepin Midazolam und dem Opioid Hydromorphon. Oder es werden „compounded“ Substanzen verwendet, die extra für diesen Zweck von bestimmten Apotheken, den „Compounding Pharmacies“ hergestellt werden. Hier gab es aber mangels stattlicher Regulierung immer wieder ernsthafte Qualitätsbedenken. Laut einem Bericht der Berliner Morgenpost von vor einigen Jahren ist dies aber ein lohnendes Geschäft: So soll ein Hersteller in Kalifornien dem zuständigen Justizministerium 200 Gramm einer bestimmten Substanz für 500.000 Dollar angeboten haben. Auch auf Stoffe unlizenzierter Hersteller aus Indien soll zurückgegriffen werden, schrieb die Berliner Morgenpost weiter. Regelmäßig würden Lieferungen zuletzt durch die Drogenfahndung und die FDA abgefangen.
Und nun kommt Stickstoff...
Aufgrund der Beschaffungsschwierigkeiten bei den Komponenten für die Todesspritze haben einige Staaten „alte“ Exekutionsmethoden, wie den elektrischen Stuhl, wieder als Alternative zugelassen. Andere hingegen setzen auf neue Verfahren, so zum Beispiel der Staat Alabama. Hier soll am heutigen Donnerstag ein Delinquent mit Stickstoff exekutiert werden, einer Methode, die zwar in zwei weiteren US-Staaten zugelassen ist, aber – vermutlich sogar weltweit – noch nie angewandt wurde.
Dabei soll über eine Gesichtsmaske Stickstoff zugeführt werden. Das öffentlich bekannt gewordene Protokoll ist sehr vage, vieles ist Medienberichten zufolge geschwärzt. Tödlich ist nicht der Stickstoff an sich – schließlich ist das Gas Hauptbestandteil der Atemluft – sondern der Sauerstoffmangel. So kommt es immer wieder zu mitunter tödlichen Unfällen, weil Stickstoff, zum Beispiel aus Stickstofftanks, den Sauerstoff in der Atemluft verdrängt. Fällt der O2-Gehalt unter 11 Prozent, wird es gefährlich. Anders als hohe CO2-Konzentrationen lösen hohe Stickstoff-Konzentrationen kein Erstickungsgefühl und keinen Atemreflex aus, das heißt, sie bleiben unbemerkt. Sie führen schnell zu Bewusstlosigkeit und schließlich zum Tod. Befürworter der Methode führen dies als Pro-Argumente heran.
Methode in der Tiermedizin veraltet
Die Kritik an der Hinrichtung mittels Stickstoffs ist groß. Zum einen ist die Methode bei Menschen nicht erprobt. Früher wurde sie in der Veterinärmedizin eingesetzt. US-Tierärzte raten aber heutzutage ab. In ihren Richtlinien von 2020 wird die Anwendung von Stickstoff bei Tieren mit Ausnahme von Geflügel als „inakzeptabel“ bezeichnet, weil das Ersticken Panik, Schmerzen und hohen Stress auslöst, bevor der Tod eintritt. In einem Gutachten des Bayerisches Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit aus dem Jahr 2006 zum Töten von Tieren im Zoofachhandel und zum Umgang mit Futtertieren in der Terraristik findet sich das Einatmen von Stickstoff unter dem Punkt „Unzulässige sowie veraltete Tötungsmethoden für alle Tierarten“, weil dabei extreme Angstzustände und Krämpfe auftreten.
Bei der „Entwicklung“ der Hinrichtungsmethode waren Enthüllungen des Rechercheportals Marshall Project zufolge auch keine Mediziner beteiligt. Demnach soll das Protokoll basierend auf der Idee eines republikanischen Politikers und ehemaligen Highway Troopers, der auf der Suche nach einem alternativen Verfahren war, von einem Generalstaatsanwalt und zwei weiteren medizinischen Laien geschrieben worden sein. Zwar wurden medizinische Experten um Mitarbeit gebeten, die hätten aber abgelehnt. Das 14-seitige Papier soll bei den Gesetzgebern, dann durchgewinkt worden sein.
„Stickstoff-Hypoxie“: Experten zufolge ein erfundener Begriff
In dem Papier wird der Begriff der „Nitrogen hypoxia“, also Stickstoff-Hypoxie, verwendet. Dieser Begriff ist aber Experten zufolge erfunden. So erklärt Joel Zivot, Professor für Anästhesiologie und Fachmann für tödliche Injektionen, gegenüber dem Guardian: „Hypoxie bedeutet Sauerstoffmangel, das wurde einfach mit dem Begriff Stickstoff kombiniert und das Ganze so genannt. Medizinisch gesehen gibt es so etwas wie Stickstoffhypoxie gar nicht.“
Zudem könnte bei dem Verfahren auch einiges schiefgehen. So schrieb der US-amerikanische Rechts- und Politikwissenschaftler Bernard E. Harcourt, Professor der Columbia University in einem Gastbeitrag in der „New York Times“, dass unter anderem Sauerstoff in die Maske eindringen könnte. Dann würde die Person qualvoll nach Luft ringen und mit schweren zerebralen Schäden überleben, gibt er zu Bedenken. Zudem bestehe auch für das Personal die Gefahr, zu hohen Stickstoffkonzentrationen ausgesetzt zu sein.
Menschenrechtsexperten sprechen von Folter
Menschenrechtsexperten warnen gar, dass es sich um Folter handele. Dafür, dass die Inhalation von reinem Stickstoff keine schwerwiegenden Leiden verursacht, fehlten nach UN-Angaben wissenschaftliche Beweise. „Hier wird an einem Menschen ein Experiment durchgeführt“, mahnt Amnesty International in einer Mitteilung.
Der Kandidat, der mittels Stickstoff-Inhalation hingerichtet werden soll, hat bereits einen missglückten Versuch hinter sich. Dem Gefängnispersonal gelang es damals nicht, den Zugang zu legen. Nach mehreren Stunden, in denen er angeschnallt auf einem Exekutionstisch lag, wurde er wieder in seine Zelle gesperrt.
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