Herzgesundheit und Gender-Medizin

Frauenherzen schlagen anders

Stuttgart - 01.02.2024, 07:00 Uhr

Ein Herzinfarkt wird bei Frauen oft zu spät erkannt: Die Healthcare-Frauen wollen am Freitag mit der Aktion GoRed auf Gender-Medizin und Herzgesundheit aufmerksam machen. Foto: Aging for future 

Ein Herzinfarkt wird bei Frauen oft zu spät erkannt: Die Healthcare-Frauen wollen am Freitag mit der Aktion GoRed auf Gender-Medizin und Herzgesundheit aufmerksam machen. Foto: Aging for future 


Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die Todesursache Nummer eins. Darüber hinaus stellt sich die Situation für Frauen besonders heikel dar: Etwa 20.000 Frauen sterben pro Jahr an einem Herzinfarkt - häufig weil er zu spät erkannt wird. Darauf wollen am Freitag die Healthcare-Frauen mit weiteren Akteur*innen des Gesundheitswesens mit dem Aktionstag GoRed in den sozialen Netzwerken aufmerksam machen. Auch Apotheken sind aufgerufen, sich zu beteiligen.

Übelkeit, Erbrechen, Rückenschmerzen oder Schmerzen im Oberbauch – die Beschwerden können nicht immer eindeutig zugeordnet werden. Bei Frauen werden sie oft fehlgedeutet, obwohl sie Symptome einer schwerwiegenden Herzerkrankung sein können. Diese Erfahrung hat die Fernsehjournalistin und Moderatorin Lisa Ortgies gemacht (siehe Kasten). Die subtilen, untypischen Beschwerden bei Frauen verzögern oft das Erkennen und Behandeln eines Infarkts. Dabei sind kardiovaskuläre Erkrankungen in Deutschland bei Frauen mit 190.000 Todesfällen jährlich (Statistisches Bundesamt, Destatis Dezember 2023) die Todesursache Nummer eins. Etwa 20.000 Frauen sterben pro Jahr an einem Herzinfarkt – häufig weil er zu spät erkannt wird.  

Gender-Medizin in Deutschland nicht präsent

„Ein Herzinfarkt manifestiert sich in der Symptomatik bei Frauen anders als bei Männern. Frauenherzen schlagen auch anders: sie sind in der Anatomie kleiner, schlagen schneller und sind oft anfälliger“, sagt Vanessa Conin-Ohnsorge, Medizinerin und Ehrenpräsidentin der Healthcare-Frauen, „das Thema Gender-Medizin ist in Deutschland noch nicht sehr präsent.“  

Moderatorin Lisa Ortgies: Herzinfarkt mit 51

Die TV-Journalistin Lisa Ortgies dachte zunächst an eine Magenverstimmung oder Kreislaufprobleme, als sie während eines Familienurlaubs in ein New Yorker Krankenhaus eingeliefert werden musste. Die Ärzte stellten bei der Moderatorin dann das Broken-Heart-Syndrom fest – eine Herzmuskel-Erkrankung, die durch Stress ausgelöst wird. Damals war Lisa Ortgies 51 Jahre alt und körperlich fit. „Selbst als die Diagnose feststand und klar war, dass ich eine Verengung in einem Herzkranzgefäß hatte, glaubte ich, dass die Ärzte beim Bluttest mein Blut verwechselt hatten“, erzählt die Fernsehjournalistin und Moderatorin rückblickend im Interview mit der Deutschen Herzstiftung. Zurück in Deutschland landete sie schnell wieder im stressigen Alltag – ohne Rücksicht auf den Warnschuss ihres Körpers. Ein Jahr später erlitt sie einen Herzinfarkt und war nach der Diagnose „vollkommen perplex“. Einen Herzpatienten stellte sie sich anders vor: „An einen Herzinfarkt dachte ich im Leben nicht. Für mich waren Herzpatienten eher ältere Männer. Ich habe lange gebraucht, um meine Symptome einzuordnen.“ 

Die Pharma-Unternehmerin Conin-Ohnsorge hat die Healthcare-Frauen e. V. gegründet - es ist ein Netzwerk führender Managerinnen der Gesundheitsbranche. Mit dem deutschlandweiten Aktionstag GoRed Day will das Netzwerk mit weiteren Akteur*innen des Gesundheitswesens, wie der Denkfabrik Apotheke, am 2. Februar darauf aufmerksam machen, dass Frauen in der Medizin zu wenig berücksichtigt werden. Der Fokus liegt 2024 auf der Herzgesundheit. Ziel  ist die Stärkung des politischen und öffentlichen Bewusstseins für Herzerkrankungen bei Frauen und für Gender-Medizin.  

Aktionen am Freitag auf Social Media

Wer sich an der Aktion beteiligen will, soll ein Foto von sich mit einem roten Accessoire oder Kleidungsstück in den sozialen Netzwerken posten (Hashtags #GoRed #FrauenHerzenSchlagenAnders #HerzHirnAllianz). Bei der GoRed-Aktion kann jeder mitmachen: Apotheken, Unternehmen, Privatpersonen, Organisationen und Gesundheitsdienstleister. Ein Social-Media-Kit mit Logo, Textvorschlägen und Anleitung ist online unter agingforfuture.de/frauenherzen/ kostenfrei als Download verfügbar. 

Frauen nehmen Herzbeschwerden selbst häufig anders wahr. „Frauen sind es gewohnt, andere körperliche Signale zu empfangen (Bsp. Menstruation) und darüber hinwegzugehen“, stellt Vanessa Conin-Ohnsorge fest. „Man überbügelt gerne mal seine körperlichen Befindlichkeiten, um weiter zu funktionieren.“ 

Frauen erhalten seltener Ultraschalluntersuchungen

Dazu kommt, dass Frauen seltener eine Ultraschalluntersuchung erhalten, wie die Deutsche Herzstiftung festgestellt hat. Dies führt dazu, dass sie deutlich später in die Klinik eingeliefert werden als Männer. Eine von der Herzstiftung geförderte Studie des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung gemeinsam mit dem Helmholtz Zentrum München und der TU München zeigte, dass bei Frauen über 65 Jahren mit Symptomen eines Herzinfarktes im Schnitt über viereinhalb Stunden vergehen, bis sie in die Notaufnahme kommen – bei Männern  dauert es nur dreieinhalb Stunden. 

Schlechtere Chancen auf eine Genesung nach Herzinfarkt 

Und nicht nur das: Frauen haben nach einem Herzinfarkt auch schlechtere Chancen auf eine Genesung als Männer, wie Studien und Statistiken der Deutschen Herzstiftung zeigen. Bei Herz-Arzneimitteln, die oft vorrangig bei Männern für die Zulassung getestet wurden, unterscheiden sich die optimalen Wirkdosen zum Teil bei Männern und Frauen. Die Healthcare-Frauen kritisieren: Insgesamt mangele es an klinischen Studien zu Medikation, Dosierung und Behandlungsmethoden bei Frauen. „Es ist nicht zu akzeptieren, wenn 50 Prozent der Gesellschaft in der Medizin in Studien und bei Arzneimitteln nicht berücksichtigt werden“, sagt Vanessa Conin-Ohnsorge. 

Gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen der Healthcare-Frauen formulierte sie deshalb in einem Positionspapier fünf Forderungen für eine genderspezifische Herzmedizin: 

1.) Integration von geschlechterspezifischer Medizin in Aus- und Weiterbildung: eine verpflichtende Lehre im Kerncurriculum der Medizinerausbildung und in der Fort- und Weiterbildung mehr Bedeutung für geschlechterspezifische Medizin – auch für alle weiteren Gesundheitsberufe. 
2.) Bessere Studien für mehr Evidenz und gerechtere Gesundheitsversorgung: Umsetzung der EU-Vorgaben für eine repräsentative Geschlechterverteilung in klinischen Studien, ebenso eine verpflichtende, genderspezifische Auswertung der Daten.  
3.) Jährliche gesetzliche Vorsorge für Frauen ab 40 Jahren bei ­erhöhtem kardiovaskulärem  Risiko: Erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko nach der Menopause, deshalb jährliche Vorsorge ab 40. Zudem für Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes und nach Früh­geburten kardiale Risikochecks postpartal. 
4.) Stärkung der individuellen Frauen-Gesundheitskompetenz: Kampagnen zur Aufklärung über Symptome und niedrigschwelligen Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, z. B. pharmazeutische Dienstleistungen in Apotheken, aber auch bessere Vergütung der sprechenden Medizin. 
5.) Förderung der gesellschaftlichen Sensibilität: Schärfung des ärztlichen Bewusstseins und der gesetzlichen Vorsorgeprogramme,  stärkere breite Aufklärung über  spezifische Risikofaktoren für Frauen, frühzeitige Gespräche mit Ärzt:innen und Apotheker:innen.

Besetzung vieler Gremien ohne Frauen-Beteiligung  

Ein großes Problem sieht Vanessa Conin-Ohnsorge auch in der Zusammensetzung und Besetzung vieler Gremien: „Gendersensibilität ist in allen Bereichen der Medizin noch lange nicht präsent genug – so auch in den Leit­linien der Fachgesellschaften.“ Eine große Chance sieht sie dagegen in einer niedrigschwelligen Prävention. Früherkennung sei gerade bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen enorm wichtig – und Apotheken könnten da ein wichtiger Ansprechpartner sein. „Apotheken sind der ideale Ort, um dieses Thema anzusprechen.“ Perspektivisch könne das als Schwerpunkt bei pDL „eine tolle, niedrigschwellige Leistung“ sein, meint sie.


Stefanie Keppler, DAZ-Ressortleiterin
skeppler@daz.online


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