Rote-Hand-Brief zu kombinierten hormonalen Kontrazeptiva

Auch unter Chlormadinon treten vermehrt Thrombosen auf

Stuttgart - 23.02.2024, 16:44 Uhr

Für Chlormadinon als Gestagen-Komponente kombinierter hormonaler Kontrazeptiva wurde ein leicht erhöhtes Thromboembolie-Risiko ermittelt. Es sollte daher vor allem Erstanwenderinnen der "Pille" nicht mehr verordnet werden. (Foto: Krakenimages.com / AdobeStock)

Für Chlormadinon als Gestagen-Komponente kombinierter hormonaler Kontrazeptiva wurde ein leicht erhöhtes Thromboembolie-Risiko ermittelt. Es sollte daher vor allem Erstanwenderinnen der "Pille" nicht mehr verordnet werden. (Foto: Krakenimages.com / AdobeStock)


Kombinierte hormonale Kontrazeptiva erhöhen das Risiko für ein Auftreten venöser Thromboembolien (VTE). Dabei ist das VTE-Risiko abhängig von der Gestagen-Komponente des Kontrazeptivums. Für die Kombination des Gestagens Chlormadinon-Acetat mit dem Estrogen Ethinylestradiol lagen bisher noch keine aussagekräftigen Daten vor. Nun teilt das BfArM in einem Rote-Hand-Brief mit, dass bei Einnahme von Chlormadinonacetat / Ethinylestradiol ein 1,25-fach erhöhtes Thromboserisiko im Vergleich zur Einnahme von Levonorgestrel / Ethinylestradiol besteht.  

2014 warnte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erstmals in einem Rote-Hand-Brief vor dem Auftreten venöser Thromboembolien, beispielsweise tiefe Beinvenenthrombosen, Armvenenthrombosen, Hirnvenenthrombosen oder Lungenarterienembolien, unter der Einnahme kombinierter hormonaler Kontrazeptiva (KHK). Levonorgestrel, Norgestimat und Norethisteron wurden als die Gestagen-Komponenten eingestuft, von denen das niedrigste – wenn auch im Vergleich zur Nicht-Einnahme hormonaler Kontrazeptiva immer noch 2,5- bis 3,5-fach erhöhte – Risiko ausgeht. Erstanwenderinnen sollte daher, sofern keine individuellen Gründe dagegensprechen, bevorzugt ein Präparat mit einer dieser Gestagen-Komponenten verordnet werden.

Levonorgestrel als Referenz mit niedrigstem Risiko 

2021 folgte ein weiterer Rote-Hand-Brief: Die Neuverordnungen von kombinierten hormonalen Kontrazeptiva mit Gestagen-Komponenten, die zu einem erhöhten VTE-Risiko führten, waren bis zum Jahr 2017 zwar deutlich gesunken, betrugen jedoch immer noch 33% der Verordnungen. Das BfArM verwies daher erneut nachdrücklich auf die zu bevorzugenden Gestagene, sowie das zu verwendende Schulungsmaterial. Für Chlormadinonacetat wurde 2021 noch kein relatives VTE-Risiko im Vergleich zu Levonorgestrel aufgeführt, da die vorliegenden Daten noch nicht genug Aussagekraft hatten.

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Nun kam die retrospektive Kohortenstudie RIVET-RCS1 zu dem Schluss, dass bei Frauen, die ein KHK mit Chlormadinonacetat und Ethinylestradiol einnehmen, ein 1,25-fach erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien vorliegt im Vergleich zu Frauen, die ein KHK mit Levonorgestrel und Ethinylestradiol einnehmen. Pro 10.000 Frauen, die Chlormadinon / Ethinylestradiol einnehmen, treten also sechs bis neun VTE auf. Dies wird im aktuellen Rote-Hand-Brief als „leicht erhöhtes Thromboserisiko“ eingestuft und in die aktualisierte Übersicht des BfArM aufgenommen:

Tabelle: VTE-Risiko bei kombinierten hormonalen Kontrazeptiva

Gestagen im kombinierten hormonalen Kontrazeptivum (Ethinylestradiol-haltiges Kombinationspräparat, sofern nicht anders angegeben)Relatives Risiko im Vergleich zu LevonorgestrelGeschätzte Inzidenz pro 10.000 Frauen und Anwendungsjahr
Nichtschwangere Nichtanwenderinnen-2
LevonorgestrelReferenz5 - 7
Norgestimat / Norethisteron1,05 - 7
Nomegestrol + Estradiol oder Dienogest + EstradiolvaleratEtwa gleich wie bei anderen kombinierten hormonalen Kontrazeptiva, einschließlich Levonorgestrel-haltigen Kontrazeptiva
Chlormadinonacetat1,256 - 9
Seasonique® (Levonorgestrel im Langzyklus)1,4a)5 - 15b)
Dienogest1,68 - 11
Gestoden / Desogestrel / Drospirenon1,5 – 2,09 – 12
Etonogestrel / Norelgestromin1,0 – 2,06 – 12

a) Seasonique (84 Tage 150 µg Levonorgestrel in Kombination mit 30 µg Ethinylestradiol danach 7 Tage 10 µg Ethinylestradiol) im Vergleich zu Levonorgestrel-haltigen kombinierten hormonalen Kontrazeptiva, die in einem 28-Tage-Zyklus angewendet werden, (HR 1,40; 95 % KI 0,90 – 2,19). Zudem könnte das VTE-Risiko bei Frauen, die Seasonique als erste orale Empfängnisverhütung verwenden, weiter erhöht sein [gemäß Fachinformation, Stand April 2023]

b) basierend auf dem 95 % Konfidenzintervall des Hazard ratios (HR) und der Spannbreite der geschätzten Inzidenz für Levonorgestrel (5-7 pro 10.000 Frauen und Anwendungsjahr)

Somit sollten auch Chlormadinon-haltige Präparate bei erstmaliger Anwendung eines kombinierten hormonalen Kontrazeptivums nach Möglichkeit nicht verordnet werden. Hierzu gehören die Präparate Amelina®, Angiletta®, Belara®, Bellissima®, Bonita AL®, Chantal®, Chariva®, Chloee®, Clormilla®, Enriqa®, Lilia®, Lisette®, Madinance®, Madinette®, Minette®, Mona Hexal®, Neo-Eunomin®, Pink Luna® und Solera® (Quelle: Lauer-Taxe, Stand 15. Februar 2024).

Im Rote-Hand-Brief wird jedoch auch betont, dass das Risiko einer Thromboembolie während einer Schwangerschaft und im Wochenbett deutlich höher ist als unter der Einnahme kombinierter hormonaler Kontrazeptiva. 

Literatur

Kombinierte hormonale Kontrazeptiva - Chlormadinonacetat/Ethinylestradiol: Leicht erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien bei Frauen, die kombinierte hormonale Kontrazeptiva anwenden, die Chlormadinonacetat und Ethinylestradiol enthalten. Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM): Rote-Hand-Brief vom 23. Februar 2024


Dr. Sabine Werner, Apothekerin und Redakteurin
readktion@daz.online


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