ApothekenRechtTag online 2024

Diese Retax-Fallen lauern auf Papier und beim E-Rezept

Berlin - 04.03.2024, 06:59 Uhr

Die Rechtsanwältin und Geschäftsführerin des LAV Baden-Württemberg, Ina Hofferberth, ging auf die Retax-Praktiken der Krankenkassen ein. (Foto: DAZ/Moritz Hahn)

Die Rechtsanwältin und Geschäftsführerin des LAV Baden-Württemberg, Ina Hofferberth, ging auf die Retax-Praktiken der Krankenkassen ein. (Foto: DAZ/Moritz Hahn)


Auch wenn der Gesetzgeber jüngst mit dem Lieferengpass-Gesetz die Retax-Möglichkeiten der Krankenkassen weiter eingeschränkt hat: Vor Absetzungen geschützt sind die Apotheken noch lange nicht. Die Geschäftsführerin des Landesapothekerverbandes  (LAV) Baden-Württemberg, Ina Hofferberth, ging am vergangenen Freitag beim ApothekenRechtTag online 2024 auf die Gründe für Kürzungen ein – und darauf, welche neuen Fallen sich mit der E-Rezept-Einführung eröffnen.

Einnahmen aus Retaxationen sind bei einigen Krankenkassen fest im Budget eingeplant. Das sagte die Rechtsanwältin und Geschäftsführerin des LAV Baden-Württemberg, Ina Hofferberth, am vergangenen Freitag in ihrem Vortrag beim ApothekenRechtTag online 2024. Da verwundert es nicht, dass die Kostenträger Alternativstrategien entwickeln, wenn sich eine Retax-Tür schließt – etwa, wenn der Gesetzgeber wie zuletzt mit dem sogenannten Lieferengpass-Gesetz (ALBVVG) die Spielräume der Krankenkassen für Absetzungen einschränkt.

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Seit Inkrafttreten des Gesetzes im Sommer 2023 dürfen Krankenkassen zum Beispiel nicht mehr retaxieren, wenn auf einer Fertigarzneimittel-Verordnung die Dosierung oder das Ausstellungsdatum fehlt oder die Belieferungsfrist um bis zu drei Tage überschritten ist. Nullretax ist etwa dann untersagt, wenn eine Apotheke einen Rabattvertrag nicht beachtet hat oder vorgeschriebene Verfügbarkeitsanfragen nicht nachweisen kann. In solchen Fällen verliert die Apotheke lediglich noch ihren Honoraranspruch. Den Einkaufswert plus Mehrwertsteuer hat die Krankenkasse zu zahlen.

Nullretax ist nicht vom Tisch

Doch aus dem Schneider sind die Apotheken damit nicht: Auf der Suche nach Retax-Gründen wird so manch eine Kasse bisweilen recht kreativ. Hofferberth nannte einige Beispiele, wann Nullretaxationen weiterhin erfolgen dürfen:

  • fehlende Arztunterschrift auf dem Rezept
  • fehlerhafter Arztstempel
  • wenn eine Rezeptfälschung als solche hätte erkannt werden müssen
  • unklare Verordnung
  • Nichtbeachten von Vorgaben zu Nachfolgeartikeln
  • wenn ein AV-Artikel verordnet ist und nach den Regelungen des Rahmenvertrags keine andere Auswahl möglich ist
  • bei Überschreiten der Belieferungsfrist (28 Tage plus 3 Tage Puffer)
  • bei Überschreiten des Vorlagezeitraums bei Betäubungsmittelrezepten
  • fehlende Beladungsmenge bei BtM-Pflastern
  • fehlende Diagnose bei Hilfsmittelverordnungen
  • wenn Arznei- und Hilfsmittel auf demselben Rezept verordnet sind
  • bei Nichtbeachten der Vorgaben der OTC-Ausnahmeliste

Zu beobachten sei darüber hinaus eine steigende Anzahl von Retaxationen etwa wegen angeblich fehlerhafter Rezepturberechnung, aufgrund des Überschreitens des Preisankers, wegen fehlender Dosierung bei Rezepturverordnungen und bei Überschreiten der BtM-Höchstmengen ohne entsprechende Kennzeichnung der Verordnung. Zumindest was Letzteres betrifft, sei Erleichterung in Sicht: Bereits zum 8. April 2023 hatte der Verordnungsgeber die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung angepasst und die Kennzeichnungspflicht aufgehoben. In wenigen Wochen laufe also die einjährige Beanstandungsfrist der Kassen für solche Rezepte ab, die noch nach der alten Vorschrift ausgestellt und beliefert wurden.

E-Rezept bringt neue Stolpersteine mit sich

Derweil eröffnet sich den Krankenkassen mit der Einführung des E-Rezepts eine ganz neue Spielwiese. Eine fehlende Berufsbezeichnung des Verordners, Freitextverordnungen, ein abweichender Arztvorname, fehlende Betriebsstätten- oder Arztnummern und falsche Vertragskennzeichen sind nur einige Bespiele dafür, wo Fallstricke für die Apotheken lauern. Verordnungen über Medizinprodukte dürfen übrigens nach den aktuell geltenden Vorschriften nicht beliefert werden – bisher sind E-Rezepte nur für Arzneimittel vorgesehen. Ein Fehler, der sich in den Apotheken besonders häufig einschleicht, ist, dass bei Verwendung eines Sonderkennzeichens keine qualifizierte elektronische Signatur (QES) aufgetragen wird.

Hofferberth kritisierte, dass es fehlerhafte Verordnungen überhaupt in den Gematik-Fachdienst schaffen – einen Validator als digitalen Türsteher habe die Kassenärztliche Bundesvereinigung erfolgreich verhindert. Dennoch sieht sie Licht am Ende des Tunnels: Die Problematik sei auch beim Bundesministerium für Gesundheit angekommen. Es habe inzwischen alle Beteiligten aufgefordert, eine Friedenspflicht für das E-Rezept zu vereinbaren. Zudem konnte sie die Sorge zerstreuen, dass nun eine Retaxwelle wegen fehlender Chargenbezeichnungen im Abrechnungsdatensatz der Apotheken droht. Das sei aus Sicht des Verbands kein Grund für Beanstandungen.

Vorträge verpasst? Kein Problem

Ab Montag um 13:00 Uhr stehen alle Vorträge im Videoarchiv auf interpharm.de für Ticketinhaber kostenlos zur Verfügung. Dort sind sie bis  30. April 2024 abrufbar. 


Christina Grünberg (gbg), Apothekerin, Betriebswirtin (IWW), DAZ-Redakteurin
cgruenberg@daz.online


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