Tierstudie

Sollte bei Gestationsdiabetes mit Metformin oder Insulin behandelt werden?

Berlin - 12.03.2024, 07:00 Uhr

In einer Mausstudie wurde bei überernährten Tieren verschiedene antidiabetische Behandlungen und deren Effekt auf Muttertier und Kind überprüft. (Foto: nataliaderiabina/AdobeStock)

In einer Mausstudie wurde bei überernährten Tieren verschiedene antidiabetische Behandlungen und deren Effekt auf Muttertier und Kind überprüft. (Foto: nataliaderiabina/AdobeStock)


Neben Insulin können schwangere Frauen mit Diabetes seit zwei Jahren auch Metformin erhalten. Der Vorteil: Metformin „geht“ als Tab­lette, Insulin lediglich parenteral.  
Eine neue Studie an Mäusen legt nun etwas Zurückhaltung bei Metformin in der Schwangerschaft nahe. 

„Glucophage® als erstes orales Diabetes-Medikament in Europa zur Anwendung während der Schwangerschaft zugelassen“, erklärte Merck 2022. Die Zulassungserweiterung gilt seither für die Metformin-haltigen Arzneimittel Glucophage®, Glucophage XR® und Stagid® [1, 2]. In der Fachinformation zu Glucophage® informiert Merck, dass umfangreiche Daten einer Kohortenstudie auf „kein erhöhtes Risiko kongenitaler Missbildungen oder feto-/neonataler Toxizität nach Exposition gegenüber Metformin in der perikonzeptionellen Phase und/oder während der Schwangerschaft“ hindeuten [3]. Anders als Insulin – das bis 2022 einzig empfohlene Arzneimittel in der Therapie des Schwangerschaftsdiabetes oder bei schwangeren Diabetikerinnen – können Schwangere Metformin oral als Tablette einnehmen. Das macht Metformin als Anti­diabetikum durchaus attraktiv. Vielleicht bleibt Insulin dennoch die bessere Wahl.

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Jetzt auch in der Schwangerschaft

Metformin passiert die Plazentaschranke, die Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung der Nachkommen seien noch nicht ausreichend erforscht, schreiben nun Wissenschaftler vom Deutschen Institut für Ernährungs­forschung Potsdam-Rehbrücke und der Berliner Charité im Fachjournal „Molecular Metabolism“ [4]. Metformin beeinflusse den AMPK-­Signalweg (AMP-activated Protein Kinase), der bei der Gehirnentwicklung die Vernetzung der Nervenzellen steuere [5]. 

Vor allem eine Gewichtszunahme während der Schwangerschaft und  zuvor bestehendes Übergewicht prädisponieren Frauen für Gestationsdiabetes – diese beiden Risikogruppen bildeten die Wissenschaftler mit Mausmodellen ab:

  • Eine Gruppe von Mäusen erhielt vor der Paarung, während der Trächtigkeit und Stillzeit eine Hochfett-Nahrung, um damit eine mütterliche Fettleibigkeit zu simulieren.
  • Bei einer zweiten Mausgruppe wurden die Muttermäuse erst nach Geburt der Nachkommen (also lediglich während der Stillzeit) von einer Kontrolldiät auf Hochfett-Nahrung umgestellt. Dies diente  
    als Modell für eine übermäßige Gewichtszunahme in der Schwangerschaft. 
  • Die restlichen Tiere erhielten durchgängig eine Kontrolldiät. 

Gehirnentwicklung von Mäusen findet in der Stillzeit statt

Die Mäuse bekamen erst in der Stillzeit eine antidiabetische Behandlung. Warum? Hier ist wichtig zu wissen: „Im Zusammenhang mit der Gehirnentwicklung entspricht die Stillzeit bei Nagetieren dem dritten Trimester der menschlichen Schwangerschaft“, erklären die Wissenschaftler. Schwangere würden meist erst im letzten Drittel mit Gestationsdiabetes diagnostiziert und erhielten sodann, wenn erforderlich, Arzneimittel dagegen. Dies modellierten die Studienautoren durch die antidiabetische Behandlung der Mäuse in der Stillzeit (Tag 4 bis Tag 21 nach Geburt). 

Die Muttertiere erhielten entweder Insulin, Metformin oder Placebo. In der Metformin-Gruppe bekamen auch die Mäusebabys Metformin, da frühere Arbeiten nahelegen, dass über Muttermilch ver­abreichtes Metformin bei den Nachkommen fast nicht nachweisbar ist. Die Metformin-Dosierungen bei den Mäusen entsprachen einer humanen Metformin-Dosierung von 2 g pro Tag.     

Wie häufig ist Gestationsdiabetes?

Dem IDF Diabetes Atlas [7] zufolge kam es 2021 bei 21,1 Millionen Lebendgeburten weltweit (16,7%) während der Schwangerschaft zu einer Hyperglykämie – in den meisten Fällen (80,3%) lag ein Gestationsdiabetes vor. Seltener hatte die Frau bereits vor der Schwangerschaft eine Diabetes-Diagnose (10,6%), oder ein Diabetes wurde in der Schwangerschaft diagnostiziert (9,1%). In Europa entwickeln 3 bis 7% aller Schwangeren einen Gestationsdiabetes.

Kein Einfluss auf Gewicht,  aber auf den Insulin-Spiegel

Erwartungsgemäß wirkte sich die mütterliche Ernährung auf das  
mütterliche Gewicht aus. Mäuse, die jedoch erst postnatal hochkalorisch ernährt wurden – was eine übermäßige mütterliche Gewichtszunahme modellierte –, erreichten interessanterweise ähnliche Gewichtswerte wie Muttertiere, die bereits vor Trächtigkeit übergewichtig gewesen waren (Modell für einen fettleibigen Muttertyp). Metformin, Insulin oder Placebo beeinflussten diese Gewichtszunahme nicht. Alle Mäuse mit Hochfett-Ernährung (von Beginn oder nur in der Stillzeit) zeigten erhöhte Blutzuckerwerte, die auch eine antidiabetische Behandlung nicht behob – allerdings konnte Metformin die Insulin- und Leptin-Spiegel bei den Muttertieren senken. Somit könne Metformin „einige der mütterlichen Stoffwechselbeeinträchtigungen, die durch die hoch­kalorische Nahrung verursacht werden“, wieder umkehren, erklären die Wissenschaftler.

Einfluss auf die Nachkommen

Die Wissenschaftler stellten fest, dass die Exposition gegenüber Antidiabetika das Wachstum der Nachkommen beeinträchtigte und es geschlechtsspezifische Unterschiede gab. Die Wissenschaftler betonen jedoch vor allem, dass der Einfluss von Metformin auf die Entwicklung der Nachkommen stets zusammen mit der mütterlichen Stoffwechsellage betrachtet werden müsse. Sie hätten „klare Hinweise, dass mütterliche Fettleibigkeit oder übermäßige mütterliche Gewichtszunahme allein“ sich unterschiedlich auf die Nachkommen auswirke. Jedoch konnte Metformin metabolische Beeinträchtigungen bei den Nachkommen, bedingt durch die mütterliche Überernährung, nicht entgegenwirken. Ihre Studie liefere zudem Hinweise, dass eine frühe Metformin-Exposition die zirkulierenden Stoffwechselhormone sowie den AMPK-Signalweg bei den Babymäusen „subtil“ verändere. 

Der Hypo­thalamus ist wichtig für den Energiehaushalt, somit könnten insbesondere die Veränderung von hypothalamischen Strukturen die Jungmäuse für spätere Stoffwechselstörungen prädisponieren. Damit zeigten die Wissenschaftler im Mausmodell, dass „Metformin zwar positive Folgen für die schwangeren Tiere, nicht jedoch für die Nachkommen hat“. Zusammen mit der Met­formin-induzierten Verschiebung der untersuchten Hormonspiegel deuteten ihre Ergebnisse darauf hin, dass vor Beginn einer Therapie des Schwangerschaftsdiabetes der mütterliche Stoffwechselstatus berücksichtigt werden müsse [5]. Wie weit sich die Daten  
von Mäusen auf Menschen übertragen lassen, ist unklar. 

Was sagt Embryotox zu Metformin in der Schwangerschaft? 

Der Erfahrungsumfang zu Metformin in der Schwangerschaft ist dem Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité - Universitätsmedizin Berlin (Embryotox) zufolge „hoch“. Es gebe im ersten Trimenon „keinen Anhalt für Teratogenität“, und auch im zweiten und dritten Schwangerschaftsdrittel sei Metformin nicht fetotoxisch gewesen. Für Embryotox bleibt jedoch Insulin das Mittel der Wahl – für Typ-2­Diabetikerinnen, die schwanger werden wollen (Umstellung auf Human­insulin) und für Schwangere, die einen Gestationsdiabetes entwickeln.  
Metformin könne in beiden Fällen dann „eine alternative Therapie­option“ sein, wenn die Frauen übergewichtig seien [6].

Einordnung eines Experten

„Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit“ sind auch ein Thema bei der diesjährigen Interpharm 2024 in Mannheim. Die Deutsche Apotheker Zeitung hat vorab mit Dr. med. Wolfgang Paulus vom Universitätsklinikum Ulm, dem dortigen Leiter der Beratungsstelle für Reproduktions­toxikologie, gesprochen. Wie ordnet der Experte die neuen Daten zu Metformin ein? Und was erwartet Apotheker bei der Interpharm? 
                           
DAZ: Metformin zeigte in dieser Studie im Mausmodell, dass es die kindliche Gehirnentwicklung der Nachkommen möglicherweise beeinträchtigt. Wie weit sich die Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen, ist unklar. Zudem gibt es bei Diabetes eine gute Alternative (und nach wie vor  die erste Wahl) mit Insulin. Haben Sie Erfahrung, inwiefern sich solche Untersuchungen später in Postzu­lassungsdaten bestätigen? 
Paulus: Eine 2015 durchgeführte Meta­analyse der mütterlichen und fetalen Ergebnisse bei Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes legt nahe, dass Met­formin besser abschneidet als Insulin oder Glibenclamid [8]. In einer neueren randomisierten placebokontrollierten Studie führte Metformin bei der Behandlung von Schwangerschaftsdiabetes mellitus zu ähnlichen Ergebnissen wie eine Insulin-Therapie [9]. Bei Kindern von Müttern mit Schwangerschaftsdiabetes, die während der Schwangerschaft mit Met­formin oder Insulin behandelt worden waren, wurden keine Unterschiede in der neurologischen Entwicklung im Alter von zwei Jahren festgestellt [10].  
Metformin wird seit vielen Jahren bei Frauen mit Glucosetoleranzstörungen in großem Umfang im Rahmen der Kinderwunschbehandlung erfolgreich eingesetzt.  
In diesem Zusammenhang muss man darauf hinweisen, dass der schlecht eingestellte mütterliche Blutzucker erhebliche Risiken für kindliche Entwicklungsstörungen mit sich bringt (Fehlbildungen, Fehlgeburten, Wachstumsstörungen, Organunreife etc.). Viele Schwangere, die nicht mit der Insulin-Injektion aus der Vergangenheit vertraut sind, akzeptieren eher die orale Applikation von Metformin. Dadurch lassen sich Glucosetoleranzstörungen besser angehen, als wenn die Behandlung ganz vernachlässigt wird. Sicherlich sollte man die aktuellen Befunde aus den Tierexperimenten bei der Bewertung der Therapie in der menschlichen Schwangerschaft aufmerksam im Blick behalten. 
                             
DAZ: Bei Arzneimittel und Schwangerschaft denkt man primär an die Frau, die Arzneimitteln exponiert ist. Doch kann – wie jüngst bei Valproat gewarnt – auch die Arzneimitteltherapie des Vaters die Entwicklung des Kindes beeinträchtigen. Inwiefern müssen Pharmaunternehmen dies in Studien überhaupt untersuchen?  
Paulus: Bei Kindern von über 2000 epilepsiekranken Männern zeigte sich in einer landesweiten schwedischen Studie keine signifikante Zunahme von schweren Fehlbildungen, Autismus-Spektrum-Störungen, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen oder geistiger Behinderung unter väterlicher Valproat-Therapie [11].  
Bei den klinischen Studien im Rahmen der Zulassung neuer Medikamente werden Schwangerschaft und Stillzeit meist ausgeklammert, weil die Risiken schwer kalkulierbar sind. Insofern bezieht man sich im Hinblick auf Reproduktion überwiegend auf die Daten aus Tierexperimenten mit elterlicher Exposition (weiblich und männlich). Erfahrungen in der Humantherapie ergeben sich im Allgemeinen aus ungeplanten Schwangerschaften. 

DAZ: Worauf legen Sie Ihren Fokus  
bei der Interpharm – worauf dürfen die Zuhörer und Teilnehmer gespannt sein und sich freuen?  
Paulus: In meinen Vortrag will ich vor allem auf die therapeutischen Optionen bei häufigen Beschwerden in Schwangerschaft und Stillzeit ein­gehen, wenn oft auch OTC-Präparate gefragt sind. 
DAZ: Herr Paulus, vielen Dank für das Gespräch! 

Tipps für Ihre Beratung 

Welche Arzneimittel können Schwangeren und Stillenden in der Selbstmedikation empfohlen werden? Darüber spricht Dr. med.  
Wolfgang E. Paulus in seinem Vortrag auf der Interpharm  
in Mannheim am Samstag,  13. April 2024.  
Tickets und weitere Informatio­nen zur Interpharm finden Sie unter www.interpharm.de. 

Dem IDF Diabetes Atlas [7] zufolge kam es 2021 bei 21,1 Millionen Lebendgeburten weltweit (16,7%) während der Schwangerschaft zu einer Hyperglykämie – in den meisten Fällen (80,3%) lag ein Gestationsdiabetes vor. Seltener hatte die Frau bereits vor der Schwangerschaft eine Diabetes-Diagnose (10,6%), oder ein Diabetes wurde in der Schwangerschaft diagnostiziert (9,1%). In  Europa entwickeln 3 bis 7% aller Schwangeren einen Gestationsdiabetes.

Literatur

[1] Glucophage® als erstes orales Diabetes-Medikament in Europa zur Anwendung während der Schwangerschaft zugelassen. Pressemitteilung Merck, 28. Februar 2022

[2] Bichay C. Zulassungserweiterung für Glucophage: Metformin nun auch in der Schwangerschaft zugelassen. Meldung DAZ.online, 2. März 2022, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2022/03/02/metformin-nun-auch-in-der-schwangerschaft-zugelassen

[3] Fachinformation Glucophage®, Stand: September 2022

[4] Cantacorps L et al: Molecular Metabolism: Developmental metformin exposure does not rescue physiological impairments derived from early exposure to altered maternal metabolic state in offspring mice. Mol Metab 2024, doi: 10.1016/j.molmet.2023.101860

[5] Metformin in der Schwangerschaft beeinflusst die Gehirnentwicklung der Nachkommen. Pressemeldung des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke, 29. Januar 2024, www.dife.de/details-startseite/metformin-in-der-schwangerschaft-beeinflusst-die-gehirnentwicklung-der-nachkommen-459/

[6] Metformin. Informationen des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie, Charité – Universitätsmedizin, Berlin, www.embryotox.de/arzneimittel/details/ansicht/medikament/metformin, Abruf am 5. Februar 2024

[7] IDF Diabetes Atlas 2021, 10th edition. Informationen der International Diabetes Federation

[8] Balsells M et al. Glibenclamide, metformin, and insulin for the treatment of gestational diabetes: a systematic review and meta-analysis. BMJ 2015, doi: 10.1136/bmj.h102

[9] Picón-César MJ et al. Metformin for gestational diabetes study: metformin vs insulin in gestational diabetes: glycemic control and obstetrical and perinatal outcomes: randomized prospective trial. Am J Obstet Gynecol 2021;225(5):517.e1-517.e17, doi: 10.1016/j.ajog.2021.04.229

[10] Wouldes TA et al. Neurodevelopmental outcome at 2 years in offspring of women randomised to metformin or insulin treatment for gestational diabetes. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 2016;101(6):F488-F493, doi: 10.1136/archdischild-2015-309602

[11] Tomson T et al. Paternal exposure to antiepileptic drugs and offspring outcomes: a nationwide population-based cohort study in Sweden. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2020;91(9):907-913, doi: 10.1136/jnnp-2020-323028


Celine Bichay, Apothekerin, Redakteurin DAZ
redaktion@daz.online


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