Politische Bürgerbeteiligung

Welche Empfehlungen gibt der „Bürgerrat Ernährung“ dem Bundestag?

Berlin - 19.03.2024, 09:14 Uhr

Der „Bürgerrat Ernährung" bei einer seiner Sitzungen. (Foto: Bürgerrat Ernährung)

Der „Bürgerrat Ernährung" bei einer seiner Sitzungen. (Foto: Bürgerrat Ernährung)


Über die Empfehlungen des „Bundesrats Ernährung" hat der Bundestag am Donnerstag debattiert. Die Bürgerinnen und Bürger fordern zum Beispiel, die Mehrwertsteuer für Gemüse, Obst und Hülsenfrüchte abzuschaffen. Eine Zuckersteuer lehnte der Rat hingegen ab. Auch zu den Themen Jugendschutz und Tierwohl hat der Rat Empfehlungen abgegeben. 

Der Bundestag debattierte am vergangenen Donnerstag über Empfehlungen des „Bürgerrates Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“. 

Was ist ein Bürgerrat?

Bürgerräte sind eine Form der politischen Beteiligung. Themenbezogene Bürgerräte gab es schon vorher – zuletzt 2021 den „Bürgerrat Deutschlands Rolle in der Welt“, unter Schirmherrschaft von Wolfgang Schäuble (CDU). Die Ampelparteien haben im Koalitionsvertrag festgelegt, dass sie Bürgerräte durch den Bundestag einsetzen und organisieren lassen wollen. 

Der Bürgerrat Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“ bestand aus 160 Bürgerinnen und Bürger, die zufällig ausgewählt wurden. Es wurde darauf geachtet, dass der dadurch zusammengesetzte Bürgerrat repräsentativ ist.

Der Bundestag hat den Bürgerrat beauftragt, sich damit zu befassen, was der Staat im Bereich Ernährung regeln sollte - und wie. Mit Unterstützung von Fachleuten und in mehreren Sitzungen wurde darüber diskutiert und Vorschläge erarbeitet.

Im Februar hat der Bürgerrat seine Empfehlungen an Bundestagspräsidentin Bas und die Fraktionen im Bundestag übergeben. Die Vorschläge des Bürgerrates sind für den Bundestag nicht verbindlich. Nach der Debatte werden die Empfehlungen in die zuständigen Ausschüsse übermittelt. 

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Welche Empfehlungen in Sachen Ernährung hat der Bürgerrat abgegeben?

Es soll nach Empfehlung des Bürgerrates ein kostenfreies und gesundes Mittagessen für alle Kinder in Kitas und Schulen geben. Um das zu finanzieren, soll auf eine Erhöhung des Kindergeldes verzichtet werden. Eine Altersgrenze für Energydrinks bei mindestens 16 Jahren soll den Kinder- und Jugendschutz gewährleisten. In Krankenhäusern, Senioren-, Reha- und sonstigen Pflegeeinrichtungen soll es eine ausgewogene und angepasste Gemeinschaftsverpflegung geben.

Außerdem haben sich die Bürgerinnen und Bürger auf folgende Empfehlungen verständigt: die Mehrwertsteuer für Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Mineral- und Tafelwasser soll wegfallen. Zucker soll seinen Status als Grundnahrungsmittel verlieren und mit einer Mehrwertsteuer von 19 Prozent belegt werden. Der Bürgerrat spricht sich gegen eine Zuckersteuer aus (also eine Steuer oder Herstellerabgabe auf zuckerhaltige Getränke). Stattdessen sollen Alternativmaßnahmen ergriffen werden, um einen gesünderen Lebensstil zu fördern: Aufklärungskampagnen, bessere Kennzeichnungen über den Zuckergehalt und Anreize für Unternehmen schaffen, gesündere Produkte herzustellen.

Weitere Empfehlungen sind ein verpflichtendes staatliches Label für Lebensmittel, das die Bereiche Klima, Tierwohl und Gesundheit berücksichtigt sowie eine Tierwohlabgabe. Die Lebensbedingungen und Herkunft von Tieren sollen transparent auf der Vorderseite von Verpackungen dargestellt werden.

Der Bürgerrat empfiehlt, den Lebensmitteleinzelhandel dazu zu verpflichten, genießbare Lebensmittel weiterzugeben an gemeinnützige Organisationen (beispielsweise Tafeln). Die Genießbarkeit soll nicht nur am Mindesthaltbarkeitsdatum festgemacht werden, sondern auch an handelsüblichen Gütekriterien (zum Beispiel optische Begutachtung). Des Weiteren soll das Personal für Lebensmittelkontrollen aufgestockt und die Ergebnisse der Kontrollen transparent dargestellt werden.

„Das ist ein Paradigmenwechsel“

Ramona Pop, Vorständin des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, meint zu den Entscheidungen des Bürgerrates in einer Pressemitteilung: „Es ist deutlich geworden, dass die Menschen sich nachhaltiger, gesünder und tiergerechter ernähren wollen. Doch im Alltag stoßen sie dabei oft an ihre Grenzen, beispielsweise in Kantinen oder auch im Supermarkt. Es ist daher gut, dass sich der Bürgerrat Ernährung auch damit beschäftigt hat, wie der Zugang zu nachhaltiger, gesunder Ernährung erleichtert werden kann. Das ist ein Paradigmenwechsel.“

Debatte des Bundestages über die Empfehlungen des Bürgerrates

In der Bundestagsdiskussion zu den Vorschlägen wurde auch viel darüber gesprochen, ob der Bürgerrat überhaupt ein gutes Konzept ist. Dabei wurden nicht die Bürgerinnen und Bürger, sondern die SPD und die Grünen kritisiert, die den Bürgerrat eingesetzt haben. „Repräsentation in unserem Staat ist keine Frage von Zufällen, sondern von parlamentarischen Verfahren“, meint etwa Philipp Amthor, CDU-Abgeordneter. „Das Grundgesetz sieht seit seinem Bestehen einen Bürgerrat vor und das ist der Deutsche Bundestag.“ 

SPD und Grüne loben die Repräsentativität des Bürgerrates, da Berufspolitiker häufig Akademiker sind und der Bundestag nicht den Bevölkerungsdurchschnitt widerspiegelt. Renate Künast vom Bündnis 90/Die Grünen ruft dazu auf, die Empfehlungen ernst zu nehmen. 

Die Forderung eines kostenlosen und gesunden Mittagessens an Schulen und Kitas habe die SPD schon lange gefordert, wie SPD-Abgeordnete Nadine Heselhaus klarstellte. Ingo Bodtke von der FDP hingegen befürchtet, dass kostenloses Mittagessen dazu führe, dass dieses öfter weggeworfen werde: „Was nichts kostet, wird auch nicht genügend wertgeschätzt“. Artur Auernhammer von der CDU erinnerte daran, dass sich auch die Union gegen eine Zuckersteuer ausspricht. Peter Felser von der AfD sprach darüber, dass Maßnahmen zur Mangelernährung in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern von der AfD bereits 2022 in einem Antrag gefordert wurden.

Nach der Debatte im Bundestag wurden die Empfehlungen in die zuständigen Ausschüsse übermittelt. Sie sind nicht verbindlich. Ob sich aus den Vorschlägen eine Gesetzesinitiative ergibt, hängt davon ab, ob sich die Fraktionen diese zu eigen machen. 


Juliane Russ, M.Sc., Volontärin


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