DAZ: Ist Semaglutid wirklich das risikolose Wundermittel? Semaglutid hilft beim Abnehmen – derzeit dürfen jedoch lediglich sehr stark Übergewichtige Semaglutid unterstützend erhalten, um abzunehmen. Könnte man nicht auch weniger stark Übergewichtigen das Leben leichter machen und ihnen das Abnehmen erleichtern?
Bendas: Die Frage liegt zwar nahe, muss aber aktuell mit Nein beantwortet werden, weil die Zulassungsstudien, und damit die Daten der klinischen Wirksamkeit, ausschließlich an Adipösen (BMI > 30 kg/m2) oder Komorbiden stark Übergewichtiger mit BMI > 27 kg/m2 erhoben wurden. Eine Anwendung bei weniger Übergewichtigen oder normalgewichtigen Personen ist somit durch die Zulassung nicht gedeckt.
Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass Semaglutid, wie alle Inkretin-Mimetika, hochwirksame Arzneimittel sind. Neben ihrer angestrebten pharmakologischen Wirkung, hier dem Gewichtsverlust, sind sie mit unerwünschten Wirkungen assoziiert. Diese scheinen bei Vorhandensein gesundheitlicher Risiken, z. B. einer Adipositas akzeptabel hinsichtlich einer Verbesserung der Grunderkrankung. Bei „eigentlich Gesunden“ kann man diese Balance so nicht finden.
DAZ: Gibt es Daten, ob das Abnehmen auch bei „Gesunden“ funktioniert und wenn ja: In welchen Kilobereichen?
Bendas: Zu dieser Frage existieren keine validen klinischen Daten, denn wie bereits ausgeführt, beziehen sich alle Zulassungsstudien auf die genannte übergewichtige oder adipöse Patientenpopulation. Man kann zwar extrapolieren, dass auch bei weniger Übergewichtigen diese Wirkung eintritt, das genaue Ausmaß, insbesondere dabei der Beitrag der Lebensstil-Veränderungen für diese „Gesunden“, lässt sich jedoch nicht exakt beziffern.
DAZ: Welche Gefahren sehen Sie?
Bendas: Die größte Gefahr sehe ich in einer Trivialisierung eines hoch-aktiven Arzneistoffes, der als Wundermittel stilisiert, off-label, unkontrolliert und ohne medizinische Indikation angewendet wird. Gefährlich ist dies einerseits vor allem für die Anwender selbst. Sie wollen gesellschaftliche Normenbilder eines Idealgewichtes erfüllen und sind sich dabei der gesundheitlichen Risiken durch Nebenwirkungen oder der dauerhaft notwendigen Anwendung nicht bewusst.
Andererseits sehe ich auch Risiken für den Arzneimittelmarkt, und insbesondere die Arzneimittelversorgung von Typ-2-Diabetikern. Auch wenn Auswirkungen wie Fälschungen oder Engpässe von Semaglutid erkannt und teilweise gebannt sind, wird das Bestreben einer illegalen Versorgung immer kriminelle Wege offenhalten.
Um aber etwas optimistischer zu enden: Die gegenwärtigen Diskussionen zu dieser Thematik und die gesellschaftliche Wahrnehmung dazu geben uns Pharmazeutinnen und Pharmazeuten die Chance, offensiv beratend einzuwirken. Dies kann insbesondere auf die mit der Anwendung von Semaglutid assoziierten Lebensstilveränderungen (Ernährung, Bewegung) adressiert werden, um diese besser ins Bewusstsein der Patienten zu rufen.
DAZ: Danke für das Gespräch!
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