Ketogene Ernährung als Lifestyle-Diät
Außerhalb des medizinischen Kontextes wird die ketogene Ernährung von Laien zum Abnehmen verwendet [3, 11]. Es sind verschiedene Formen solcher Low Carb-Diäten bekannt, beispielsweise die bereits in den 1970er-Jahren entwickelte Atkins-Diät. Hier wird initial die Kohlenhydratzufuhr für zwei Wochen auf 20 g pro Tag beschränkt, im weiteren Verlauf dann schrittweise wieder erhöht. Doch auch langfristig werden Kohlenhydrate nur in geringem Ausmaß konsumiert. Durch Urinteststreifen kann überprüft werden, ob die gewünschte ketogene Stoffwechsellage vorliegt.
Bei eigenständiger Durchführung einer ketogenen Diät zur Gewichtsabnahme ohne ärztlichen oder ernährungswissenschaftlichen Rat ist besondere Aufmerksamkeit auf eine ausgewogene Ernährung zu legen, um mögliche Mangelzustände zu vermeiden. Die Ernährungsumstellung sollte schrittweise über mehrere Tage erfolgen, damit der Körper sich auf die reduzierte Kohlenhydratmenge einstellen kann. Vor allem in den ersten Tagen und Wochen muss auf eine adäquate Elektrolytzufuhr geachtet werden. Neben Vitaminmangel kann es gerade am Anfang der Ernährungsumstellung zu Elektrolytverschiebungen kommen, die eine Entwicklung von Nierensteinen begünstigen können. Natrium, Kalium und Magnesium können über Nahrungsergänzungsmittel zugeführt werden. Zu Beginn der Ernährungsumstellung können Müdigkeit, Kopfschmerzen oder Obstipation auftreten [13]. Grundsätzlich ist die ketogene Ernährung jedoch nebenwirkungsarm und gut verträglich. Generell sollten stark restriktive Diäten wie die ketogene Ernährung zeitlich begrenzt und nicht über einen längeren Zeitraum ohne ärztlichen Rat angewendet werden, um Mangelerscheinungen und Folgebeschwerden vorzubeugen [10, 11, 14].
Gut oder schlecht für die Gefäße?
Was die Folgen für die Herz- und Gefäßgesundheit angeht, müssten Langzeitstudien mit hoher Probandenzahl noch zeigen, inwiefern die ketogene Ernährung tatsächlich Auswirkungen auf die Gefäßfunktion hat. Beobachtet wird eine Senkung des Triglycerid-Blutspiegels [8], sowie ein konstanter, niedriger Blutglucose-Spiegel, was sich positiv auf das Endothel auswirkt. Andererseits werden große Mengen tierischer Eiweiße verzehrt. Die ketogene Ernährung hat wahrscheinlich auch antiinflammatorische Eigenschaften, die kardioprotektiv wirken [1, 3].
Typ-2-Diabetiker können vermutlich von einer ketogenen Ernährung profitieren, sollten die Umstellung aber vorher ärztlich abklären. Vor allem zu Beginn der Ernährungsumstellung müssen die Blutzucker-Spiegel engmaschig kontrolliert und die Therapie angepasst werden [13]. In einer randomisiert kontrollierten Studie konnten neu Diagnostizierte, die ihre Ernährung auf ketogen umstellten, ihre Langzeitblutzucker- (HbA1c) und Insulin-Werte nach nächtlichem Fasten signifikant stärker reduzieren als die Kontrollgruppe mit einer ausgewogenen Mischkost [4]. In einer anderen Studie konnten über 70% der insulinpflichtigen Typ-2-Diabetiker nach einem Jahr kohlenhydratarmer Ernährung auf Insulin verzichten [5].
Ketogene Ernährung - Krebspatienten vorerst nicht zu empfehlen
Auch bei Krebserkrankungen ist nicht klar, wie sich die ketogene Ernährung auswirkt. Wichtig ist jedoch, eine Mangelernährung zu vermeiden. In Tiermodellen konnte gezeigt werden, dass eine ketogene Lebensmittelauswahl bei Nagern mit Glioblastomen oder Melanomen zum Tumorwachstum beiträgt. Es wird vermutet, dass Ketonkörper Enzyme aktivieren, die zum Fortschreiten der Erkrankung beitragen. Andererseits sinken die Spiegel von Insulin, dem Insulinähnlichen Wachstumsfaktor 1 (Insulin-like Growth Factor 1, IGF-1) und dem für die Angiogenese benötigten vaskulär-endothelialen Wachstumsfaktor (Vascular Endothelial Growth Factor, VEGF). Insgesamt scheint die Wirkung einer ketogenen Diät auf die Tumorproliferation vom Tumortyp abzuhängen.
Eine ketogene Ernährung ist bei Krebspatienten im Allgemeinen gut verträglich und Studien konnten zeigen, dass sie die Lebensqualität von Krebspatienten unter Standardtherapie verbessern kann. Begleitend zur Radio- oder Chemotherapie könnten die immunmodulatorischen und antiinflammatorischen Effekte einer ketogenen Diät einen positiven Einfluss bei malignen Erkrankungen haben [17].
Ob im Menschen ein Zusammenhang zwischen Ketose und Krebswachstum besteht oder nicht und wie genau der Pathomechanismus bei den verschiedenen Entitäten aussieht, muss noch erforscht werden [2]. Die Deutsche Krebsgesellschaft rät Tumorpatienten von ketogener Ernährung ab, da die Evidenz für einen positiven Effekt fehlt, die Patienten durch die vielen Restriktionen an Gewicht verlieren könnten und Mangelernährung droht [9, 10].
Effekte auf polyzystische Nierenerkrankung und Immunsystem
Auf das Immunsystem könnte sich Kohlenhydratfasten positiv auswirken: Es sind zahlreiche positive Auswirkungen von Ketonkörpern auf das Immunsystem beschrieben worden. So supprimieren Ketone im murinen Tiermodell die Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine und wirken so der Entwicklung von Low-grade-Entzündungsprozessen entgegen [18]. Bei gesunden Probanden, aber auch bei Patienten mit COVID-19 verstärkten Ketone die Funktion humaner T-Zellen [6, 12, 16]. Daher wird eine strikte Kohlenhydratrestriktion bereits als potenzielle therapeutische Maßnahme, insbesondere im Kontext verschiedener inflammatorischer Krankheitsbilder, aber auch bei kritisch kranken Patienten auf der Intensivstation diskutiert [7, 20].
Bei der genetisch bedingten polyzystischen Nierenerkrankung bilden sich bilateral Zysten an den Nieren, die mit dem Alter an Größe und Zahl zunehmen. 75% der Patienten und Patientinnen benötigen bis zum 70. Lebensjahr eine Nierentransplantation. Bei polyzystischer Nierenerkrankung führte eine ketogene Ernährung in einer randomisierten Studie verglichen mit Flüssigkeitsfasten zu einer verbesserten glomerulären Filtrationsrate. Außerdem nahmen die 23 Patientinnen und Patienten in der Interventionsgruppe ab, hauptsächlich an Fettmasse. Insgesamt vertrugen die Teilnehmenden die Ernährungsweise und zeigten gute Adhärenz, es kam nicht zu Studienabbrüchen [19].
Bei Vorerkrankungen ist Vorsicht geboten
Sehr restriktive Diäten bergen generell das Risiko, zu wenig Energie aufzunehmen, Nährstoffmängel oder Essstörungen zu entwickeln. Daher sollten Kinder, Schwangere, Menschen mit Untergewicht, Leber-, Pankreas-, Schilddrüsen- oder Nierenerkrankungen sich nicht ketogen ernähren. Für Patienten und Patientinnen mit Gallenbeschwerden oder Störungen des Fettstoffwechsels, Hyperinsulinismus oder auch chronischem Stress und Schlafproblemen gilt dasselbe. Liegt bereits eine Mangelerkrankung vor, sollte ebenfalls von restriktiven Diätformen abgesehen werden [3, 11].
Literatur
[1] Dyńka D et al. The Ketogenic Diet and Cardiovascular Diseases. Nutrients 2023;15(15):3368, doi: 10.3390/nu15153368
[2] Mohammadifard N et al. The Effect of Ketogenic Diet on Shared Risk Factors of Cardiovascular Disease and Cancer. Nutrients 2022;14(17):3499, doi:10.3390/nu14173499
[3] Patikorn C et al. Effects of ketogenic diet on health outcomes: an umbrella review of meta-analyses of randomized clinical trials. BMC Med 2023;21(1):196, doi: 10.1186/s12916-023-02874-y
[4] Li S et al. The effect of periodic ketogenic diet on newly diagnosed overweight or obese patients with type 2 diabetes. BMC Endocr Disord 2022;22(1):34, doi: 10.1186/s12902-022-00947-2
[5] Wolver S et al. Clinical Use of a Real-World Low Carbohydrate Diet Resulting in Reduction of Insulin Dose, Hemoglobin A1c, and Weight. Front Nutr 2021;8:690855, doi: 10.3389/fnut.2021.690855
[6] Hirschberger S, Gellert L, Effinger D et al. Ketone Bodies Improve Human CD8+ Cytotoxic T-Cell Immune Response During COVID-19 Infection. Front Med (Lausanne) 2022;9:923502, doi: 10.3389/fmed.2022.923502
[7] Rahmel T et al. Impact of carbohydrate-reduced nutrition in septic patients on ICU: study protocol for a prospective randomised controlled trial. BMJ Open 2020;10(7):e038532, doi: 10.1136/bmjopen-2020-038532
[8] Effinger D, Hirschberger S et al. A ketogenic diet substantially reshapes the human metabolome. Clin Nutr. 2023;42(7):1202-1212, doi: 10.1016/j.clnu.2023.04.027
[9] Schmidt L et al. Ketogenic and low-carbohydrate diets in people with cancer. A statement by the Working Group on Prevention and Integrative Oncology (PRIO) in the German Cancer Society (GCS) and the German Society for Nutritional Medicine (DGEM). Ernährungs Umschau 2022; 69(7):106-111
[10] Erickson N et al. Stellungnahme zu ketogenen und kohlenhydratarmen Diäten bei Menschen mit Krebs. A statement by the Working Group on Prevention and Integrative Oncology (PRIO) in the German Cancer Society (GCS). Ernährungs Umschau 2017; 66(9):514-516, doi.org/10.4455/eu.2017.036
[11] Gesellschaft für Neuropädiatrie. S1-Leitlinie Ketogene Ernährungstherapien (KET). AWMF-Reg.Nr. 022 – 021. Stand 15.Februar 2022
[12] Hirschberger S, Strauß G, Effinger D et al. Very-low-carbohydrate diet enhances human T-cell immunity through immunometabolic reprogramming. EMBO Mol Med 2021;13(8):e14323, doi: 10.15252/emmm.202114323
[13] Dashti HM et al. Efficacy of Low-Carbohydrate Ketogenic Diet in the Treatment of Type 2 Diabetes. Med Princ Pract. 2021;30(3):223-235, doi: 10.1159/000512142
[14] Low-Carb-Diäten: Fett erlaubt, Kohlenhydrate verboten. Deutsche Apotheker Zeitung 18/2004, S.61, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2004/daz-18-2004/uid-11867
[15] Debinet Deutsches Ernährungsberatungs- und Informationsnetz. Lebensmittel, Inhaltsstoffe, Nährstoffe. www.ernaehrung.de/lebensmittel/
[16] Karagiannis F et al. Impaired ketogenesis ties metabolism to T cell dysfunction in COVID-19. Nature 2022;609(7928):801-807, doi.org/10.1038/s41586-022-05128-8
[17] Weber DD et al. Ketogenic diet in the treatment of cancer – Where do we stand? Mol Metab 2020;33:102-121, doi: 10.1016/j.molmet.2019.06.026
[18] Youm YH et al. The ketone metabolite β-hydroxybutyrate blocks NLRP3 inflammasome-mediated inflammatory disease. Nat Med 2015;21(3):263-9, doi: 10.1038/nm.3804
[19] Cukoski S et al. Feasibility and impact of ketogenic dietary interventions in polycystic kidney disease: KETO-ADPKD-a randomized controlled trial. Cell Rep Med 2023;4(11):101283, doi: 10.1016/j.xcrm.2023.101283
[20] Ciaffi J et al. The Effect of Ketogenic Diet on Inflammatory Arthritis and Cardiovascular Health in Rheumatic Conditions: A Mini Review. Front Med 2021;8:792846, doi: 10.3389/fmed.2021.792846
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