DAZ: Sollten wir uns mehr Gedanken über Iod bei Kleinkindern machen?
Smollich: Die Ergebnisse der Anfang 2024 publizierten KIESEL-Studie [1] zeigen leider erneut, wie schlecht die Iod-Versorgung von Kindern in Deutschland ist: Im Median erreicht die Aufnahme bei den Ein- bis Fünfjährigen nur 57 bis 65 % der angemessenen Zufuhr. Fast die Hälfte (44 %) aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland können ihren Iodbedarf nicht decken. Frühere Studien wie die BfR-MEAL-Studie oder die DONALD-Studie haben ähnliche Ergebnisse gezeigt. Dementsprechend ist Deutschland nach WHO-Kriterien wieder ein Iod-Mangelland.
Zusätzlich ist die zeitliche Dynamik erschreckend: Bei den sechs bis zwölfjährigen Kindern ist die ohnehin schlechte Iod-Versorgung in den letzten Jahren sogar noch deutlich rückläufig gewesen. Hauptgrund dieser Entwicklung ist, dass immer weniger Iod-Salz verwendet wird – sowohl in der Lebensmittelindustrie als auch in den Privathaushalten. Andere Länder sind hier längst tätig geworden und haben die Verwendung von Iod-Salz in verarbeiteten Lebensmitteln gesetzlich vorgeschrieben. In der Folge ist die Iod-Zufuhr in anderen europäischen Ländern insgesamt ungefähr doppelt so hoch wie in Deutschland, und bei Vorschulkindern beispielsweise in Dänemark ist sie sogar dreimal so hoch wie bei uns [2].
Auch die häusliche Verwendung kann die unzureichende Menge an Iod-Salz bei Fertiglebensmitteln nicht annähernd ersetzen. All dies sind dramatische Zahlen, wenn man sich die Bedeutung einer optimalen Iod-Versorgung vor allem für die kognitive Entwicklung von Kindern klarmacht.
DAZ: Erachten Sie eine pauschale Iod-Supplementation bei Kleinkindern ab Beikostalter für ernährungsphysiologisch sinnvoll?
Smollich: Bei Kindern im ersten Lebensjahr ist die Iod-Versorgung relativ unkritisch, weil Säuglingsnahrung aufgrund gesetzlicher Vorgaben mit Iod angereichert sein muss. Im zweiten Lebensjahr fällt diese zuverlässige Iod-Quelle dann weg und der Iod-Status der Kinder verschlechtert sich rapide.
Die iodreichsten Lebensmittel sind Algen, Seefisch und Milchprodukte. Algen fallen für eine zuverlässige Iod-Versorgung aber raus, da die Gehalte stark schwanken und teilweise sogar viel zu hoch sein können. Um den Iod-Bedarf über Seefisch zu decken, sind ca. zwei Portionen pro Woche erforderlich – was für die meisten Kinder unrealistisch ist.
Und dann sind wir schon bei den Milchprodukten: Um auf 180 µg pro Tag zu kommen, sind beispielsweise zwei Liter Milch oder ein Kilogramm Schnittkäse erforderlich. Alle anderen Lebensmittel tragen kaum zur Iod-Versorgung bei. Vor diesem Hintergrund ist die Iod-Supplementierung durchaus sinnvoll, ganz besonders bei Kindern, die wenig oder keinen Fisch und Milchprodukte essen.
DAZ: Wie viel Mikrogramm empfehlen Sie aus wissenschaftlicher Sicht? Gibt es eine Dosis, die Eltern auch ohne kinderärztliche Rücksprache bedenkenlos anwenden können?
Smollich: Offiziell empfohlen wird die Supplementierung in Deutschland nicht [3]. Die allgemeine Iod-Zufuhrempfehlung für Iod zwischen ein bis zwölf Jahren liegt nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung bei 100 bis 180 µg pro Tag. Die europäische Lebensmittelbehörde EFSA gibt als sichere Zufuhrobergrenzen 200 µg pro Tag (ein bis drei Jahre) bis 450 µg pro Tag (elf bis 14 Jahre) an.
Diese Mengen sollte man nicht überschreiten. Damit ist die zur Prophylaxe des Iodmangels bei Kindern zugelassene Einnahme von Kaliumiodid in Dosierungen von 50 bis 100 µg pro Tag auch ohne spezifische Diagnostik möglich. Wer möchte, kann natürlich beim Kinderarzt den Iodstatus aus dem Urin bestimmen lassen.
DAZ: Dankeschön für das Gespräch!
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