Maßnahmen in der Corona-Pandemie

Ampel-Fraktionen wollen Bürgerrat einberufen

Berlin - 19.04.2024, 13:45 Uhr

Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie warfen viele ungeklärte Fragen auf. Kann ein Bürgerrat diese klären? (Foto: IMAGO: Bihlmayerfotografie)

Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie warfen viele ungeklärte Fragen auf. Kann ein Bürgerrat diese klären? (Foto: IMAGO: Bihlmayerfotografie)


Die Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie haben zu Verwerfungen und Spannungen in der Gesellschaft geführt. Viele Bürger:innen haben damals ihr Vertrauen in Staat und Regierung verloren und fühlten sich ihrer Rechte beraubt. Seit langem fordern Politiker:innen aller Fraktionen eine Aufarbeitung. Die Ampel will nun einen Bürgerrat dafür einsetzen.

Die Ampel-Fraktionen erwägen die Einsetzung eines Bürgerrates zur Aufarbeitung der staatlichen Maßnahmen im Rahmen der COVID-19-Pandemie. Das berichtet der Tagesspiegel am heutigen Freitag.

Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion Katja Mast hält dies für angemessen, um mögliche Fehler, aber auch Erfolge in der Bekämpfung der Pandemie aufzuarbeiten: „Wir werben für eine umfassende Aufarbeitung der Corona-Pandemie – jenseits parteipolitischer Interessen“. Die SPD lehnt laut Tagesspiegel die Einsetzung einer Enquete-Kommission ab. Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich hatte bereits am Sonntag die Einsetzung eines Bürgerrates vorgeschlagen.

Bürgerrat oder Enquete-Kommission?

Irene Mihalic, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, äußerte gegenüber dem Tagesspiegel, dass auch ihre Fraktion offen für die Einsetzung eines Bürgerrates sei: „Für und Grüne ist entscheidend, dass wir schnell und möglichst im Konsens mit den anderen demokratischen Fraktionen klären, wie wir die Coronazeit aufarbeiten können.“ Mihalic sieht neben dem Bürgerrat auch die Einsetzung einer Enquete-Kommission als Möglichkeit zur Aufarbeitung der Pandemie.

Die FDP hält an ihrer Forderung zur Einsetzung einer Enquete-Kommission fest, kann sich aber auch ergänzend die Einsetzung eines Bürgerrates zur Aufarbeitung vorstellen, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin Christine Aschenberg-Dugnus: „Eine Enquete-Kommission setzt hierfür den richtigen Rahmen. Sie ist Goldstandard, um hochkomplexe, juristische und wissenschaftliche Fragen durch unabhängige Experten aufzuarbeiten.“ Allerdings sei die FDP auch offen für die zusätzlich Einberufung eines Bürgerrates.

Union lehnt Bürgerrat ab

Die Unionsfraktion hingegen lehnt einen Bürgerrat zur Diskussion der Pandemie-Maßnahmen ab, wie ihr gesundheitspolitischer Sprecher Tino Sorge verdeutlichte: „Die Verantwortung für die Aufarbeitung der Pandemie-Politik kann die Bundesregierung nicht an frei erfundene Bürgerräte abschieben.“ Darüber hinaus befürchten CDU und CSU, dass die AfD aus einer volksnahen Corona-Aufarbeitung zusätzliches Kapital schlagen könnte. Die Union könnte auf eigene Initiative eine Enquete-Kommission einberufen, da sie über mehr als ein Viertel der Stimmen im Bundestag verfügt.

AfD und das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) fordern die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses bei dem – anders als bei einer Enquete-Kommission – persönliche Verantwortungs- und Schuldfragen im Fokus stehen.

Bund-Länder-Kommission

Ein möglicher Kompromiss steht mit dem Vorschlag der SPD zur Einsetzung einer Bund-Länder-Kommission im Raum. Unterschiedliche gesellschaftliche Akteure wollen die Sozialdemokraten mit politischen Vertretern aus Bund und Ländern in einer neuartigen Kommission zusammenbringen. In die Arbeit dieser Kommission könne das vorab erarbeitete Gutachten eines Bürgerrates einfließen, sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Katja Mast.

Was ist ein Bürgerrat?

Anders als bei einer Enquete-Kommission, bei der Abgeordnete aller Fraktionen mit externen Experten über komplexe Sachfragen diskutieren, werden hier Bürger:innen zufällig per Los ausgewählt, um zu einem im Vorfeld vom Bundestag festgelegten Themenkomplex zu beraten. Am Ende formuliert der Bürgerrat ein Gutachten, welches den Abgeordneten des Bundestages, sowie den relevanten Fachausschüssen als Empfehlung vorgestellt wird.

Seit den 1990er hatten sich nahezu alle im Bundestag vertretenen Parteien in ihren Programmen – sogar CSU und AfD – für die Ausweitung von Volksentscheiden ausgesprochen. Einzig die CDU lehnte das bisher durchweg ab. Insofern überraschte der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) die Öffentlichkeit, als er im Jahr 2021 die Schirmherrschaft des Bürgerrats „Deutschlands Rolle in der Welt“ übernahm. Dessen Gutachten wurde im März 2021 an den Bundestag übergeben. Darin fordern die Bürger:innen neben vielen anderen Punkten auch eine Sicherstellung der Lieferketten in der Arzneimittelversorgung

Umgesetzt wurde allerdings kaum eine Empfehlung. Da die Empfehlungen des Bürgerrates keinerlei Verbindlichkeit haben, handelt es sich eher um eine Art der Volksbefragung – weniger um tatsächliche politische Partizipation.

Kann der Rat die Gräben der Pandemie schließen?

Tatsächlich bietet sich in der Frage der Aufarbeitung der Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung eine volksnahe Diskussion durchaus an – allerdings wären Expertise und verbindlichere Konsequenzen wünschenswert. Möglicherweise ist in dieser Frage eine Beteiligung von Abgeordneten aus Bund und Ländern, Experten und einem Bürgerrat eine angemessene Lösung, um die Folgen und Lehren aus der COVID-19-Pandemie angemessen zu diskutieren und einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft entgegenzuwirken.


Michael Zantke, Redakteur, DAZ
redaktion@daz.online


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