Fragwürdige Plattformen, verunsicherte Apotheker

Ansturm der Cannabis-Privatrezepte

Berlin - 22.04.2024, 07:00 Uhr

Seit Genusscannabis legal ist, ist die Nachfrage nach Medizinalcannabis in die Höhe geschnellt. (Foto: Schelbert)

Seit Genusscannabis legal ist, ist die Nachfrage nach Medizinalcannabis in die Höhe geschnellt. (Foto: Schelbert)


Seit gut sechs Jahren kann Cannabis zu medizinischen Zwecken ärztlich verordnet werden. Und wenn die Voraussetzungen stimmen, übernehmen die Krankenkassen die Kosten. Derzeit schwemmen allerdings vor allem Privatrezepte in die Apotheken. Einige bedienen diese, ohne sie zu hinterfragen, andere zweifeln hingegen, ob sie rechtmäßig ausgestellt wurden. Was sollten Apotheken bei solchen Rezepten bedenken?

Vergangene Woche war auf der „Bild“-Webseite die Schlagzeile zu lesen: „Apotheken rücken kein Cannabis heraus“. Grundlage des Berichts war eine Pressemeldung des Cannabisunternehmens Cantourage von Ende März. Mitarbeitende des Unternehmens hatten als angebliche Patient:innen jeweils 20 Apotheken in 20 größeren Städten (also insgesamt 400 Apotheken) per E-Mail angeschrieben. In der Mail erklärten sie, sie hätten ihr erstes Rezept für medizinisches Cannabis bekommen und wollten wissen, ob man dieses in der fraglichen Apotheke bekomme – und wenn ja, zu welchem Preis. Die Frage nach dem Preis deutete also auf ein Privatrezept hin.

Ergebnis der 400 Anfragen: Die meisten positiven Rückmeldungen gab es in Nürnberg (11 von 20), Köln und Stuttgart (jeweils 10). Schlusslicht war Bonn, wo nur drei Apotheken eine positive Rückmeldung gaben. Einige verneinten die Anfrage, vielfach meldeten sich die Apotheken auf die Mail auch gar nicht zurück.

Grundsätzlich: Ein Rezept wie jedes andere

Grundsätzlich: Wer Medizinalcannabis nach den Vorgaben des § 31 Abs. 6 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V) ärztlich verordnet bekommt und die Krankenkasse dies bei der ersten Verordnung genehmigt hat, hat einen Anspruch auf die Versorgung mit dem Arzneimittel auf Kassenkosten. Da gibt es kein Wenn und Aber. Entsprechende GKV-Rezepte, die den Anforderungen der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) entsprechen, sind in der Apotheke selbstverständlich wie jedes andere Arzneimittelrezept zu beliefern.

Tatsächlich flattern seit der Legalisierung von Genusscannabis für Erwachsene jedoch besonders viele Cannabis-Privatverordnungen für Selbstzahler in die Apotheken. Dass das Arzneimittel nicht mehr auf BtM-Rezept verordnet werden muss, hat der Sache offenbar Anschub gegeben. Auch das ist im Grunde erst einmal kein Problem: Hält die Ärztin oder der Arzt diese Therapie für die richtige, ist auch ein Privatrezept zu akzeptieren. Bei Privatrezepten sind nicht einmal die Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 SGB V einzuhalten. Es gelten jedoch auch hier die §§ 2 und 4 AMVV entsprechend (§ 3 Medizinal-Cannabisgesetz - MedCanG)

Bei Cantourage bestätigt man diese Beobachtung gegenüber der DAZ: Weil GKV-Rezepte nicht so einfach zu haben sind, stürmten derzeit viele Menschen auf Plattformen, über die es Privatrezepte gibt. Auch Cantourage hat 2023 eine solche Telemedizinplattform für Medizinalcannabis ins Leben gerufen: Telecan. Hier muss man sich erst einmal registrieren und einen Fragebogen ausfüllen, dann folgt als nächster Schritt ein Erstgespräch mit dem ärztlichen Fachpersonal, „in der Regel Vor-Ort oder in bestimmen Fällen auch online“. Ein Sternchenhinweis besagt, dass bei Fernbehandlungen gewisse Voraussetzungen zu erfüllen sind und sie daher nicht in allen Fällen möglich sind. Ein kurzes Online-Gespräch (ca. 10 Minuten) kostet „ca. 49 Euro“, ein langes – online oder Vor-Ort – „ca. 99 Euro“ – jeweils inklusive Rezept.

Die Zahl der Telecan-Registrierungen sei in der vergangenen Woche um mehr als 300 Prozent gegenüber der Vorwoche gestiegen, erklärte eine Sprecherin gegenüber der DAZ. Auch die Zahl der Registrierungen bei der Vergleichsplattform flowzz, auf der Patient:innen die Preise für medizinisches Cannabis bei verschiedenen Apotheken vergleichen können, sei deutlich gestiegen. Und: Die auf Cannabis spezialisierten Versand-Apotheken meldeten einen enormen Umsatzzuwachs, seien aber gleichzeitig mit der hohen Nachfrage überfordert.

DrAnsay: Medizinalcannabis bei Scheidenpilz und COPD

Mehr Aufsehen erregt allerdings die Plattform DrAnsay – bereits bekannt durch fragwürdige Corona-Testzertifikate und AU-Bescheinigungen. Wer hier genauer hinschaut, dürfte Zweifel haben, dass hier stets fachkundig therapiert wird.

DrAnsay wirbt mit Cannabis-Rezepten für 4,20 Euro. Und das für jede Erkrankung, für die die Webseite Behandlungen anbietet. Wer dort seine „Journey“ bei einer ausgewählten Erkrankung beginnt, bekommt bei der Frage nach der gewünschten Arznei stets an oberster Stelle Medizinalcannabis zu Auswahl genannt – gleich ob beispielsweise Scheidenpilz, vorzeitiger Samenerguss, Asthma oder auch COPD. 

Wer von Anfang an „weiß“, dass Cannabis das richtige Arzneimittel für sie oder ihn ist, kann auch direkt bei der Blütenauswahl einsteigen. „Vergleiche und wähle aus über 200 vorrätigen Cannabisblüten auf unserer Apotheken-Plattform. Beantworte im Anschluss einen Fragebogen.“ 

Dabei verwischt DrAnsay auch die Grenzen zwischen Genuss- und Medizinalcannabis: „Cannabislegalisierung jetzt für Deine Gesundheit nutzen!“, lautete vergangene Woche ein Claim auf der Webseite. Das Rezept (ab 18 Jahren, wegen Suchtgefahr!), gibt es online: „Fragebogen ausfüllen und Rezept erhalten“, verspricht DrAnsay. Allerdings gab es vergangene Woche erst einmal keine Rezepte mehr. „Wir starten frühestens wieder am 19.04. mit optimiertem Service“, hieß es noch am Freitag auf der Webseite. Am Sonntag lief der Service offenbar wieder – mit einer leicht überarbeiteten Webseite.

Ähnlich ist das Bild bei Canngo, wo allerdings nur Rückenschmerzen, Stress, Migräne und Schlafstörungen als mögliche Behandlungen genannt sind. Zudem werden hier 14,99 Euro für die Behandlungsanfrage fällig. Doch auch hier reicht offenbar ein Fragebogen, wobei es heißt: „Sofern erforderlich, erhalten Sie eine Einladung zu einem Video- oder Telefongespräch mit dem Arzt“. Bei Canngo gab es laut Info auf der Webseite auch am vergangenen Sonntag noch einen „Anfragestopp“.

Und so treffen solche Rezepte nicht zu knapp in den Apotheken ein. Wurde im Vorfeld der Cannabis-Legalisierung gewarnt, dass Patientinnen und -Patienten, denen die Versorgung mit Medizinalcannabis versagt werde, nun in den Genussmarkt abdriften könnten, scheint das Bild jetzt umgekehrt. Die Cannabisclubs brauchen noch etwas Zeit, bis sie Genusscannabis anbieten können, die Lücke soll offenbar das verschreibungspflichtige Medizinalcannabis schließen.

Kontrahierungszwang oder Pflicht zur Abgabeverweigerung?

Doch was machen nun Apotheken, wenn ihnen zweifelhafte Privatverordnungen vorgelegt werden? Am einfachsten ist es natürlich, sie wunschgemäß zu beliefern. Das scheint aus kaufmännischer Sicht sinnvoll, zumal es auch keine Retaxgefahren gibt. Und ärztliche Therapieentscheidungen sind in der Regel zu akzeptieren.

Aber besteht auch ein Kontrahierungszwang? Dürfen Apotheker:innen die Abgabe verweigern, wenn die nach der AMVV erforderlichen Angaben Zweifel wecken? Gerade bei Verordnungen, die Ärzte im Ausland ausgestellt haben, wird es schwer sein, diese Angaben zu überprüfen, insbesondere deren Identität. Aus verschiedenen Landesapothekerkammern ist zu hören, dass es bei Unsicherheiten in der Apotheke keinen Kontrahierungszwang gebe. 

Zudem: Bei begründetem Verdacht auf Missbrauch, muss die Apotheke die Abgabe eines Arzneimittels verweigern (§ 17 Abs. 8 ApBetrO).

Im Kopf haben sollte man auch neue Strafvorschriften im Medizinal-Cannabisgesetz, die Patient:innen, Verordner:innen und Apotheker:innen gleichermaßen betreffen können:

§ 25 MedCanG

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1. unrichtige oder unvollständige Angaben macht, um für sich oder einen anderen eine ärztliche Verschreibung von Cannabis zu medizinischen Zwecken zu erlangen,

2. entgegen § 3 Absatz 1 Cannabis zu medizinischen Zwecken verschreibt, entgegen § 3 Absatz 2 Cannabis zu medizinischen Zwecken ohne ärztliche Verschreibung abgibt oder entgegen § 3 Absatz 1 oder Absatz 3 Cannabis zu medizinischen Zwecken oder Cannabis zu medizinisch-wissenschaftlichen Zwecken verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch überlässt (…).

Für die Apotheken wird es somit aber erst strafrechtlich kritisch, wenn sie Medizinalcannabis ganz ohne Verordnung abgeben. Sie können auch nicht beurteilen, ob Patient oder Arzt sich möglicherweise strafbar gemacht haben. 
Und so lässt sich wohl nur konstatieren: Die Apotheke muss im Einzelfall selbst prüfen und entscheiden, wie sie mit fragwürdigen Privatrezepten umgeht.  

BMG verweist an Aufsichtsbehörden der Länder

Was sagt eigentlich das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zu Angeboten wie DrAnsay? Eine Sprecherin erklärte auf Nachfrage der DAZ, dass das BMG weder die Möglichkeit noch die Berechtigung habe, Angebote ärztlicher Personen im Einzelfall zu überwachen oder zu überprüfen. Dies sei Aufgabe der im Einzelfall zuständigen (Landes-) Aufsichtsbehörde.

Dennoch hat man sich im BMG Gedanken gemacht. Die Sprecherin verweist auf die verschiedenen ärztlichen Pflichten und von ihnen bei der Behandlung zu beachtende fachliche Standards. Soweit die Verschreibung im Rahmen einer telemedizinischen Behandlung erfolge, müsse diese auch entsprechend der behandlungsvertraglichen und berufsrechtlichen Regelungen im Rahmen einer ordnungsgemäß durchgeführten Behandlung unter Beachtung der ärztlichen Sorgfaltspflichten erfolgen. Zudem dürften Ärztinnen und Ärzte laut ihrer (Muster-)Berufsordnung „einer missbräuchlichen Verwendung ihrer Verschreibung keinen Vorschub leisten“. Die Sprecherin weist auch darauf hin, dass Apotheken gesetzlich verpflichtet seien, einem erkennbaren Arzneimittelmissbrauch in geeigneter Weise entgegenzutreten.

Und die BMG-Sprecherin nennt einen weiteren möglichen Knackpunkt für die Plattformen: das Heilmittelwerbegesetz. So darf für verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht außerhalb der Fachkreise geworben werden. Zudem ist die Werbung für Fernbehandlungen grundsätzlich verboten. Eine Ausnahme gilt, sofern für Fernbehandlungen geworben wird, „die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist“.

Es wird sich zeigen, ob der Wildwuchs möglicherweise bald von Gerichten eingefangen wird – oder das Problem für die Apotheken abebbt, wenn Genusscannabis über Anbauvereine zu haben ist. 


Kirsten Sucker-Sket
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


1 Kommentar

War doch so gewollt - ist digital - ist also gut

von ratatosk am 22.04.2024 um 12:08 Uhr

Warum jammern manche denn jetzt ?
Von inkompetenter Freigabe bis zum Aufsetzen der Bedingungen für die Telemedizin war doch alles genau so geplant. Bedenken von Menschen die Ahnung von der Sache haben wurden von Karl und Bfarm ignoriert, Hauptsache man bringt alles so zum Laufen. Natürlich wird im Internet immer alles ausgereizt, wenn es so gesetzlich "geregelt" ist. War ja auch schon bei der blauen Pille oder Schlaftabletten so, auch wenn Karl und Ministeriale so was nie mitbekommen, da dazu ein von den betroffenen Dealern ausgefülltes Formblatt vorliegen müßte. Evaluierung nach Karl geht auch auch so, ein Rentner mit einem E-rezept das mal funkitionier, schon ist die Evaluierung fertig.
p.s welche tollen Maßnahmen für den speziellen Schutz von Jugendlichen hat Karl eigentlich ergriffen ?! eben!!

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.