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Mit Autoantiköpern schon vor ersten MS-Symptomen
Multiple Sklerose früher erkennen?
Die MS-Diagnostik ist aufwendig. Wissenschaftler fanden nun bei zehn Prozent der MS-Patienten ein gemeinsames Antikörpermuster, und zwar bereits vor den ersten Symptomen. Ein Frühwarnzeichen für Multiple Sklerose?
Bis heute fehlen Biomarker, die man bei Multipler Sklerose – diagnostisch oder prädiktiv – nutzen kann. Wissenschaftler von der „University of California“ in San Francisco (Department of Neurology, UCSF Weill Institute for Neurosciences) untersuchten nun Daten von über zehn Millionen Menschen, darunter auch Hunderte MS-Patienten. Sie fanden bei zehn Prozent der an Multipler Sklerose Erkrankten ein gemeinsames Muster an Auto-Antikörpern. Die Daten stammten vom Serum-Depot des US-Verteidigungsministeriums (Department of Defense Serum Repository).
Interessant ist, dass die Forschenden die Autoantikörper bereits Jahre vor den ersten klinischen MS-Symptomen nachweisen konnten. Auch zeigten diese MS-Patienten, verglichen mit anderen MS-Patienten, höhere Werte von Serum-Neurofilament-Light (sNfL) im Serum – ein Protein, das bereits heute als Biomarker bei der MS-Diagnose berücksichtigt wird.
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Erhöhte sNfL-Blutwerte deuten auf neuronale Schädigungen hin. Der Wert ist jedoch nicht spezifisch für Multiple Sklerose, sondern findet sich auch bei anderen neuronalen Erkrankungen. Laut den kalifornischen Wissenschaftlern könnte das jetzt entdeckte gemeinsame Antikörpermuster bei jedem zehnte MS-Patienten „als antigenspezifischer Biomarker für Hochrisikopatienten mit klinisch oder radiologisch isolierten neuroinflammatorischen Syndromen klinisch nützlich sein“ um damit MS-Patienten künftig frühzeitig zu erkennen [1].
Wie schätzen praktizierende Neurologen diese neuen Erkenntnisse ein? Das Science Media Center (SMC) befragte hierzu Prof. Dr. Bernhard Hemmer, Direktor der Klinik für Neurologie vom Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, und Prof. Dr. Heinz Wiendl, Direktor der Klinik für Allgemeine Neurologie und Leiter der Arbeitsgruppe Experimentelle und translationale Neuroimmunologie von der Universität Münster [2].
Nicht jeder MS-Patient zeigt das Antikörpermuster – warum?
Warum zeigen lediglich zehn Prozent der MS-Patienten diese Antikörperreaktion im Serum? „Die Antikörperreaktion könnte Ausdruck einer fehlgeleiteten Immunreaktion im Rahmen einer Epstein-Barr-Virus-Infektion (EBV) sein, die zu einem Autoimmunprozess gegen Eiweiße im zentralen Nervensystem (ZNS) führt – sogenanntes Molekulares Mimikry – und damit die MS auslöst“, erklärt Professor Hemmer. Er erinnert daran, dass EBV in der Entstehung der MS eine Rolle spielt, jedoch nur eine von 300 bis 400 Personen, die mit EBV infiziert ist, auch eine MS tatsächlich entwickelt. Somit reiche die EBV-Infektion nicht aus, sondern es müsse zu einer Fehlreaktion im Immunsystem kommen. Und: „Möglicherweise zeigt die beschriebene Antikörperreaktion diese Fehlreaktion an“.
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Laut Professor Wiendl spricht „die Tatsache, dass die Biomarker nur bei 10 Prozent der Erkrankten zu finden sind … einerseits für die Heterogenität der Erkrankung, andererseits dafür, dass Antikörper keine alleinige Ursache der MS sind.“ Da sich in der neuen Arbeit, wie bereits in anderen Studien, Antikörper gegen EBV fänden, könne man jedoch konstatieren, dass eine Subgruppe von MS-Patienten Antikörper entwickle. Er ergänzt, dass man in anderen Studien ebenfalls in Untergruppen Antikörper gefunden hätte, zum Beispiel gegen Hyalinproteine (zum Beispiel PLP), die die kalifornischen Wissenschaftler in der aktuellen Arbeit jedoch nicht nachgewiesen hätten.
Einige Einschränkungen der Studie
Beide Neurologen sind sich einig, dass die entdeckten Antikörper im Serum bei einem von zehn bereits symptomatischen oder zukünftigen MS-Patienten eine interessante Beobachtung sind. Einschränkend kommt jedoch laut Professor Hemmer hinzu, dass „die Zahl der Kontrollpersonen in der Studie relativ gering … und nur wenige Patienten eingeschlossen waren …, die an neurologischen Erkrankungen litten oder diese später entwickelten“ und Professor Wiendl merkt an, dass die Biomarker „nur in einem (kleinen) Teil der Patienten wirklich vor Krankheitsbeginn nachweisbar“ gewesen seien.
Noch zu früh für Biomarkertests in der Klinik
Auch stimmen die Neurologen darin überein, dass der jetzige Zeitpunkt zu früh ist, konkret über die klinische Anwendung von Biomarkertests nachzudenken, zumal lediglich 10 Prozent der MS-Patienten diesen Marker auch zeigten. Zunächst müsse „die Spezifität für die Vorhersage der MS belegt“ sein, sagt Hemmer. Die Anwendung des Tests hänge sehr von der Rate von sogenannten „falsch positiven“ Reaktionen ab. Seien die Tests irgendwann validiert, kommen diese seiner Ansicht nach vor allem für Personen mit hohem MS-Risiko infrage, wie Verwandte ersten Grades.
Auch Hemmer denkt, dass ein möglicher Test „in erster Linie für gewisse Risikogruppen (zum Beispiel Verwandte ersten Grades von MS-Erkrankten, Geschwister oder Kinder) von Interesse ist.“
Kein therapeutischer Vorteil
Welcher Vorteil ergibt sich aber derzeit für Menschen, wenn sie wissen, dass sie irgendwann potenziell an MS erkranken? „Aktuell gibt es zu den therapeutischen Vorteilen einer Früherkennung von MS keine Studien“, sagt Professor Hemmer. Wenn die Erkrankung allerdings ausgebrochen sei und erste Entzündungsherde im Gehirn nachweisbar, ohne dass bereits klinische Symptome aufgetreten seien – radiologisch isoliertes Syndrom – könne eine frühe Behandlung das Auftreten von MS-Symptomen verzögern oder sogar verhindern. „Das konnte in Studien klar belegt werden. Entsprechend würde ich annehmen, dass eine Behandlung von Patienten im Prodrom der Erkrankung – das heißt, vor dem Ausbruch von Entzündungsaktivität im ZNS – eine gute Chance hätte, den Ausbruch der MS-Erkrankung zu verhindern. Dies ist allerdings eine Annahme, die aktuell nicht durch Studien untermauert ist.“
Auch Professor Wiendl hält die Frage nach den Vorteilen einer Früherkennung von MS für „sehr gut“. Es gebe inzwischen einige Konzepte mit dem Ziel der Prävention von MS bei Hochrisikopatienten, wobei bisher keines davon zugelassen sei. „Möglich wäre beispielsweise der Aufbau von Toleranz gegen bestimmte Antigene, oder die Therapie gegen das Epstein-Barr-Virus“, erklärt der Neurologe. Und weiter: „Im Fall eines erhöhten Risikos für MS könnten Betroffene versuchen, die Situation durch Modifikationen von Lebensstil und Umweltfaktoren zu beeinflussen. Allerdings sind beide Faktoren keinesfalls kausal für das Entstehen der Krankheit.“
Literatur
[1] Zamecnik CR et al. (2024): An autoantibody signature predictive for multiple sclerosis. Nature Medicine. DOI: 10.1038/s41591-024-02938-3, www.nature.com/articles/s41591-024-02938-3/metrics
[2] Science Media Center: Studie findet mögliche Frühwarnzeichen von Multipler Sklerose vom 19.04.2024, www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/research-in-context/details/news/studie-findet-moegliche-fruehwarnzeichen-von-multipler-sklerose/
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