Wenn sich Gefäße entzünden

Ursachen, Symptome und Therapie der Vaskulitis

Stuttgart - 23.04.2024, 12:15 Uhr

Die ersten Anzeichen einer Vaskulitis sind wenig charakteristisch – beispielsweise Fieber, Erschöpfung, Appetitlosigkeit und Unwohlsein. (Symbolfoto: Voyagerix / AdobeStock)

Die ersten Anzeichen einer Vaskulitis sind wenig charakteristisch – beispielsweise Fieber, Erschöpfung, Appetitlosigkeit und Unwohlsein. (Symbolfoto: Voyagerix / AdobeStock)


Vaskulitis (Gefäßentzündung) ist ein Sammelbegriff für verschiedene Erkrankungen, denen eine entzündliche Schädigung des Gefäßendothels gemeinsam ist. Vaskulitiden werden zu den rheumatischen Erkrankungen gezählt und sind sehr selten. In Deutschland sind Schätzungen zufolge nur rund 200.000 Personen betroffen. Eine Vaskulitis kann sowohl ganze Blutgefäße als auch nur kleine Teile davon betreffen. Sie kann in jedem Teil des Körpers und jedem Organsystem auftreten. Wie entsteht eine Vaskulitis? Welche Formen gibt es? Und wie wird eine Vaskulitis therapiert?

Bei einer Vaskulitis werden durch eine fehlerhafte Immunreaktion körper­eigene Substanzen als fremd identifiziert und vom Immunsystem bekämpft. Infolgedessen entzündet sich das Blutgefäß. Chronische Entzündungen stören den Stoffwechsel des Endothels. Dadurch kommt es zum Austritt von Entzündungszellen ins Gewebe. Entzündungen und Schäden an unterschiedlichen Organen sind die Folge. Darüber hinaus treten Durchblutungsstörungen auf. Die entzündeten Gefäße werden rissig, es kommt zu Einblutungen in Körperhöhlen und Organe. Wodurch die autoimmunologischen Prozesse ausgelöst werden, ist oft unklar, man spricht dann von primärer Vaskulitis. Im Verdacht stehen sowohl genetische Ursachen als auch Umwelteinflüsse, unter anderem Viren und Giftstoffe. Sekundäre Vaskulitiden sind die Folge bekannter Erkrankungen, beispielsweise Infektionen oder rheumatoider Arthritis [1, 2].

Zu Beginn unspezifische Symptomatik

Die ersten Anzeichen einer Vaskulitis sind wenig charakteristisch. Es handelt sich um unspezifische Allgemeinsymptome wie Fieber, Erschöpfung, Appetitlosigkeit und Unwohlsein. Welche weiteren Symptome auftreten, hängt davon ab, welche Blutgefäße betroffen sind und wie ausgeprägt die Vaskulitis ist. Die Tabelle gibt einen Überblick über die Vielfalt an möglichen Symptomen.

Tab.: Mögliche Symptome bei Vorliegen einer Vaskulitis (nach [2])
Organ / SystemSymptome
AugenSehstörungen 
Erblindung
GelenkeSchwellungen 
Schmerzen
HautEinblutungen verschiedener Größe (Petechien, Ekchymosen), Verfärbungen 
kleine Knoten (Noduli) 
Urtikaria
Herz-Kreislauf-Systemkoronare Herzerkrankungen, Herzinfarkt 
Bluthochdruck
Nervensystemzentrales Nervensystem: Kopfschmerzen, Verwirrung, Schlaganfall 
peripheres Nervensystem: Symptome: Kribbeln, Taubheitsgefühl, Schwäche der Arme oder Beine
NierenNiereninsuffizienz 
Ödeme
VerdauungssystemDurchfall 
Blut im Stuhl 
Übelkeit, Erbrechen 
Schmerzen

Diagnose: oft Biopsie nötig

Die Diagnose einer Vaskulitis kann komplex sein. Neben einer gründlichen Anamnese erfolgt eine Labor­untersuchung (Entzündungswerte, Antikörper). Manchmal kann eine Bildgebung (Ultraschall, PET-CT, MRT) diagnostische Daten liefern, oft muss aber eine Biopsie zur Sicherung der Diagnose durchgeführt werden [2].

Zahlreiche Vaskulitisformen

Im Rahmen der Chapel Hill Consensus Conference (CHCC) wurde im Jahr 2012 eine einheitliche Nomenklatur zur Einteilung der verschiedenen Vaskulitisformen festgelegt. Die Klassifizierung leitet sich dabei von pathogenetischen und pathologischen Parametern ab. Pathogenetisch wird zum Beispiel unterschieden, ob es sich um eine antikörperassoziierte, Immunkomplex-vermittelte oder infektassoziierte Erkrankung handelt. Pathologische Faktoren hingegen beziehen sich beispielsweise auf die Größe des Ge­fäßes oder die Beschreibung des entzündlichen Infiltrats [3]. Häufige Formen werden im Folgenden vorgestellt.

Häufig: Riesenzellarteriitis

Die häufigste Form der Vaskulitis ist die Riesenzellarteriitis. Betroffen sind vor allem die Aorta, die davon abzweigenden Arterien, die in den Kopf führen, und dabei insbesondere die Blutgefäße der Schläfen. Deshalb wird diese Vaskulitis auch als Arteriitis temporalis bezeichnet. Seltener ist die Bauchschlagader befallen. Die Erkrankung betrifft vor allem ältere Personen über 50 Jahre und ist oft assoziiert mit Polymyalgia rheumatica, einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung, die vor allem den Schulter- und Nackenbereich betrifft. Die häufigsten Symptome einer Riesenzellarteriitis sind Kopfschmerzen und eine oft starke Druckempfindlichkeit, die normalerweise beide Schläfen betrifft. Die Kopfschmerzen können sich zunehmend verschlimmern, kommen und gehen oder vorübergehend nachlassen. Weitere Symptome sind Kieferschmerzen beim Kauen oder Öffnen des Mundes, Fieber, Ermüdung, unbeabsichtigter Gewichtsverlust, Sehverlust oder Doppeltsehen sowie Schmerzen oder Steifheit des Nackens. Führt die Vaskulitis zu einem Gefäßverschluss, besteht das Risiko, auf einem Auge zu erblinden oder einen Schlaganfall zu erleiden. Besteht der Verdacht auf Vorliegen einer Riesenzell­arteriitis, sollte umgehend eine Glucocorticoid-Therapie begonnen werden. Ergänzend kommen Tocilizumab und Methotrexat zum Einsatz [2, 4, 5].

Bei Kindern: Kawasaki-Syndrom

Die Erkrankung betrifft vor allem Kinder unter fünf Jahren und tritt signifikant gehäuft in den Wintermonaten auf. Das Kawasaki-Syndrom (KS) betrifft kleine und mittelgroße Gefäße, vor allem arterielle Gefäße mit direktem Abgang aus der Aorta und hier insbesondere die Koronararterien. Selten ist die Aorta selbst betroffen. Typisch ist neben dem Auftreten von hohem Fieber über 40 °C das Vorliegen von mindestens vier der folgenden Symptome: Konjunktivitis, Enanthem (in Gruppen auftretende Oberflächenveränderungen an Schleimhäuten), Schwellungen oder Rötungen von Händen und Füßen, Exanthem und Schwellung der Halslymphknoten. Bei Säuglingen können jedoch alle klassischen Symptome fehlen. Die Erkrankung kann zu Stenosen oder Aneurysmen der Koronararterien führen.

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Ziel der Akuttherapie ist neben der Kontrolle des Entzündungsgeschehens vor allem eine Verhinderung der Thrombozytenaggregation. Dazu erfolgt die Gabe von Immunglobulin G, Acetylsalicylsäure und eventuell Glucocorticoiden. Bei Versagen dieser Therapieoptionen können Biologika (Infliximab als TNF-α-Blocker oder Anakinra als Interleukin-1-Blocker) verabreicht werden [6].

AAV: kleine Gefäße betroffen

Eine mit antineutrophilen zytoplasmatischen Antikörpern (ANCA) assoziierte Vaskulitis (AAV) betrifft die kleinen Blutgefäße des Körpers. Drei Formen dieser Vaskulitis werden unterschieden: Granulomatose mit Polyangiitis (GPA), mikroskopische Polyangiitis (MPA) und eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA). Charakteristisch für die ANCA-Vaskulitiden ist ein plötzlicher und unerwarteter Ausbruch bei scheinbar gesunden Personen. In der Regel sind die Betroffenen fünfzig Jahre oder älter, die höchste Inzidenz findet sich zwischen 55 und 69 Jahren. Es können aber auch Kinder betroffen sein.

Bei einer AAV stehen zunächst unspezifische Symptome im Vordergrund: Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit sowie Schnupfen oder Husten mit geringer Blutbeimengung. Die Erkrankung verläuft in der Regel chronisch, wobei sich Phasen starker Ausprägung mit Zeiten geringer Intensität abwechseln. Betroffen sind zu Beginn meist die kleinen Blutgefäße in Nieren, Lunge und im Nasen-Rachen-Raum, später auch Haut, Muskeln und Nervensystem. Da alle Formen rasch voranschreiten und potenziell eine hohe Mortalität aufweisen, sind eine schnelle Diagnose und ein zügiger Therapiebeginn wichtig.

Grundsätzlich wird eine immunsuppressive Therapie empfohlen, die an Krankheitsaktivität und Krankheitsstadium angepasst wird. Die Remissionsinduktion erfolgt mit Glucocorticoiden. Zusätzlich ist seit Anfang 2022 mit Avacopan ein oraler C5a-Rezeptor-Inhibitor zur Behandlung von Granulomatose mit Polyangiitis und mikroskopischer Polyangiitis zugelassen. C5a (Komplement 5a) ist ein chemotaktischer Lockstoff für neutrophile Granulozyten. Deren Aktivierung kann somit durch Blockade des C5a-Rezeptors gehemmt werden. Der Vorteil von Avacopan ist, dass durch diesen Wirkstoff die Verwendung von Glucocorticoiden drastisch reduziert werden kann. Weiter werden Rituximab und Cyclophosphamid eingesetzt, bei nicht organbedrohenden Verläufen auch Methotrexat und Mycophenolat-Mofetil. Darüber hinaus steht für die Behandlung der EGPA mit Mepolizumab ein humanisierter monoklonaler Antikörper zur Verfügung, der mit hoher Affinität und Spezifität an humanes Interleukin 5 (IL-5) bindet und dieses neutralisiert. Dadurch wird die Interaktion zwischen IL-5 und seinem Rezeptor unterbunden, welche für Differenzierung, Reifung, Rekrutierung und Aktivierung der eosinophilen Granulozyten elementar ist. An die Akuttherapie schließt sich eine Er­haltungstherapie von mindestens zwei Jahren an [2, 7, 8].

Nichtmedikamentös unterstützen

Die Behandlung einer Vaskulitis ist meist langwierig und erfolgt oft über mehrere Jahre, um Rezidive zu vermeiden. Aus medizinischer Sicht gibt es keine Alternative zur medikamentösen Therapie. Doch kann wie bei jeder chronischen Erkrankung eine psychologische Betreuung sinnvoll sein. Auch wird regelmäßige Bewegung sowie Entspannungstraining wie autogenes Training, progressive Muskelentspannung nach Jacobson oder Meditation unterstützend empfohlen. Eine fleischarme Ernährung reduziert die Aufnahme entzündungsfördernder Arachidonsäure. Fettreicher Fisch hingegen liefert entzündungshemmende Omega-3-Fettsäuren. Alternativ können entsprechende Nahrungsergänzungsmittel eingesetzt werden [2]. 

Literatur

[1] Vaskulitis. Informationen der Deutschen Rheumaliga, Stand: April 2022, www.rheuma-liga.de/rheuma/krankheitsbilder/vaskulitis

[2] Vaskulitis. Informationen der Rheumaliga Schweiz, abgerufen am 4. Januar 2024, www.rheumaliga.ch/rheuma-von-a-z/vaskulitis

[3] Sigl M., Amendt K., Klassifikation und Diagnostik der Vaskulitiden, vasomed, 27(2015)280-285

[4] Giant cell arteritis. Informationen der Mayo Clinic, www.mayoclinic.org/diseases-conditions/giant-cell-arteritis/symptoms-causes/syc-20372758, abgerufen am 18. Januar 2024

[5] Management der Großgefäßvaskulitiden. S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh), AWMF Registernummer 060-007, Stand: 6. Juli 2020

[6] Kawasaki Syndrom. S2k-Leitlinie der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie, Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. AWMF Registernummer 185-003, Stand: Dezember 2020

[7] Krasselt ML, Holle JU. ANCA-assoziierte Vaskulitis. Inn Med (Heidelb) 2022;63(9):947-960, doi: 10.1007/s00108-022-01386-w

[8] Mepolizumab. Information der Gelben Liste, www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Mepolizumab_53733, abgerufen am 25.01.24


Dr. Sabine Fischer, Apothekerin, DAZ-Autorin
redaktion@daz.online


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