„UN-Diktator“ und Aufweichung des Patentschutzes

Offene Streitpunkte erschweren Abschluss des WHO-Pandemievertrags

Berlin - 29.04.2024, 15:00 Uhr

Das Hauptgebäude der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf. (Foto: IMAGO / Kyodo News)

Das Hauptgebäude der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf. (Foto: IMAGO / Kyodo News)


Die Weltgesundheitsorganisation plant einen globalen Pandemievertrag. Er soll die nationalen Gesundheitssysteme und die pharmazeutische Industrie besser für zukünftige pandemische Notsituationen wappnen. Aktuell laufen dazu die Verhandlungen, die im Mai zum Abschluss kommen sollen. Aber es gibt einige offene Streitfragen, der Ausgang der Verhandlungen ist weiterhin ungewiss.

An diesem Montag startete in Genf eine weitere Verhandlungsrunde zum Pandemievertrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Ziel des Abkommens ist eine Verbesserung der Prävention und Reaktion bei globalen Gesundheitskrisen. Im Falle einer Pandemie soll die WHO die Weitergabe von Informationen und pandemierelevanten Produkten koordinieren. So ist etwa vorgesehen, Impfstoffe für ärmere Mitgliedsländer zu reservieren. Pharma-Unternehmen sollen Produkte vergünstigt oder sogar gratis abgeben. Vorgesehen waren auch weitreichende Vollmachten für das UN-Generalsekretariat, welche die nationale Souveränität einschränken könnten.

Aufweichung des Patentschutzes

Umstrittene Bereiche des Abkommens wurden im aktuellen Entwurf ausgelagert. Er umfasst damit nur noch 23 Seiten. So soll über Neuregelungen beim Patentschutz erst bis Ende Mai 2026 entschieden werden. Viele Entwicklungsländer drängen auf eine Lockerung der Eigentumsrechte bei medizinischen Produkten. Vertreter der Industrienationen – darunter auch der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) – machen sich hingegen dafür stark, die Eigentumsrechte zu wahren. Darüber berichtete das Ärzteblatt am vergangenen Dienstag. Die International Federation of Pharmaceutical Manufacturers & Associations (IFPMA) drängt auf freiwillige Verpflichtungen der Pharmaindustrie, wie die Deutsche Presseagentur am heutigen Montag berichtet.

Angst vor „UN-Diktator“

Ein weiterer Hauptstreitpunkt ist die Frage, inwieweit die WHO den Unterzeichnerstaaten des Pandemievertrags verbindliche Maßnahmen vorschreiben kann, falls es zu einem pandemischen Notstand kommt. In früheren Entwürfen war vorgesehen, dem UN-Generalsekretariat das Recht zu erteilen, im Falle einer Pandemie „Empfehlungen“ zur Pandemiebekämpfung an die Mitglieder zu formulieren, die völkerrechtlich bindend wären.

Spekulationen über einen möglichen „UN-Weltdiktator“ und Blauhelmsoldaten, die zur Durchsetzung der Impfpflicht eingesetzt würden, gären seit Langem im Internet und nähren Verschwörungsmythen rund um die WHO. Die Vorhaben zur Übertragung staatlicher Souveränität an das UN-Generalsekretariat wurden in dem neuesten, stark gekürzten Entwurf des Pandemievertrags gestrichen, wie die Berliner Zeitung am vergangenen Mittwoch berichtete.

Definition der Pandemie ungeklärt

Strittig ist weiterhin die Frage, wann überhaupt von einer Pandemie zu sprechen ist. Wie diese hinsichtlich Ausbreitung und Gefährlichkeit zu bestimmen ist, darüber gibt es weiterhin offene Fragen. Deshalb zeigten sich einige der Verhandlungsteilnehmer skeptisch, ob das Abkommen im Rahmen der gesetzten Fristen zum Erfolg kommt. 

Die 194 WHO-Mitgliedstaaten beraten bereits seit Ende 2021 über das Abkommen. Anfang Mai soll eine Resolution erstellt werden, über die anschließend der Weltgesundheitsversammlung (WHA) zwischen dem 27. Mai und dem 1. Juni abstimmen muss. Danach müssten die unterzeichnenden Staaten den Pandemievertrag noch von ihren nationalen Parlamenten ratifizieren lassen.


Michael Zantke, Redakteur, DAZ
redaktion@daz.online


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