Problempilz oder Panikmache?

Was wir über Candida auris wissen und was nicht

08.05.2024, 10:45 Uhr

Candida auris kann im Gegensatz zu anderen Candida-Arten durch Schmierinfektion von Mensch zu Mensch oder über kontaminierte Oberflächen übertragen werden. (Foto: TopMicrobialStock / AdobeStock)

Candida auris kann im Gegensatz zu anderen Candida-Arten durch Schmierinfektion von Mensch zu Mensch oder über kontaminierte Oberflächen übertragen werden. (Foto: TopMicrobialStock / AdobeStock)


„Krankmacher, neue Pandemie, Zombiepilz“ – in den Medien häufen sich in diesen Tagen die Meldungen zu Candida auris. Auslöser sind die vom Robert Koch-Institut kürzlich veröffentlichten Fallzahlen für 2023. Doch was genau weiß man über diesen Pilz? Und wie gefährlich ist er wirklich?

Die Gattung Candida umfasst bis heute mehr als 200 Arten, die in der Taxonomiedatenbank des National Center for Biotechnology Information in ­Bethesda, Maryland, anerkannt sind. Candida ist die größte Gattung unter den Hefen, die medizinisch bedeutsam sind. Einige Arten der Gattung Candida kommen häufig an verschiedenen Stellen im menschlichen Körper vor, z. B. im Mund, Vaginal- oder Analbereich. Darüber hinaus wurden bis heute viele Arten der Gattung Candida als Erreger menschlicher Infektionen identifiziert, von oberflächlichen Schleimhautinfektionen bis hin zu lebensbedrohlichen invasiven Infektionen. Prominente Vertreter sind Candida albicans und Candida glabrata. Im Jahr 2009 wurde eine neue Candida-Art aus dem äußeren Gehörgang eines japanischen Patienten isoliert – Candida auris (von lateinisch auris = Ohr). Seitdem ist weltweit ein kontinuierlicher Anstieg der Fallzahlen zu beobachten, in einigen Regionen (Indien, Südafrika, regional in Spanien und Italien) ist C. auris sogar endemisch [5]. In vielen Studien wurde C. auris daraufhin sowohl ­phänotypisch als auch genotypisch charakterisiert. Basierend auf Genomsequenzen und durch den Vergleich von Isolaten aus verschiedenen Regionen wurden fünf einzigartige Evolutionszweige (Kladen) von C. auris ermittelt: südasiatisch (Klade 1), ostasiatisch (Klade 2), südafrikanisch (Klade 3), südamerikanisch (Klade 4) und iranisch (Klade 5). Jede dieser Gruppen weist unterschiedliche genetische und biochemische Merkmale sowie Empfindlichkeitsprofile gegenüber Antimykotika auf [1]. 

C. auris kann Infektionen in verschiedenen Körperregionen verursachen, z. B. in den Ohren, in offenen Wunden oder im Blutkreislauf. Die Symptome hängen von Ort und Schwere der Infektion ab. Es gibt keine Symptome, die spezifisch für eine Infektion mit C. auris sind. Eine Besiedlung der Haut oder anderer Körperstellen verläuft aber bei gesunden Personen meist ohne Symptome. Selbst medizinisches Personal oder Familienangehörige eines Erkrankten haben nur ein sehr geringes Infektionsrisiko [2]. Also alles nur Panikmache? „Nein“, sagen Experten ganz klar. Bereits im Jahr 2022 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) C. auris zur Liste der „Priority pathogens“ hinzugefügt. Die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) bezeichnen C. auris als „serious global health threat“. Warum? Was ist das Besondere an diesem Candida-Vertreter?

Übertragung durch Schmierinfektion

Während bei anderen Candida-Arten in der Regel eine endogene – von der Besiedlung des Intestinaltrakts ausgehende – Infektion auftritt, wird C. auris als Schmierinfektion von Mensch zu Mensch oder über ­kontaminierte Oberflächen übertragen. Vor allem in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, also bei vorerkrankten oder immungeschwächten Personen, kommt es zu schwer einzudämmenden Ausbrüchen. Patienten, die eine komplexe medizinische Versorgung mit invasiven medizinischen Geräten wie Atemschläuchen, Ernährungssonden, Venenkathetern oder Harnkathetern benötigen, haben tendenziell ein erhöhtes Risiko, eine Besiedlung mit C. auris zu erlangen und eine Infektion zu entwickeln. Für das Jahr 2023 wurden in Deutschland 77 Primärnachweise erfasst, dies entspricht ca. einer Versechsfachung der Vorjahresfälle. Dabei konnten in 66 Fällen Klade 1 und in acht Fällen Klade 3 identifiziert werden (in drei Fällen war keine Identifizierung möglich) [2, 4, 5].

Welche Resistenzen sind bekannt?

Candida auris weist oft Resistenzen gegen häufig verwendete Antimykotika auf, wobei diese Resistenzen stark regional schwanken. Fluconazol sollte aufgrund der Resistenzsituation nicht zur Behandlung eingesetzt werden, und auch Voriconazol zeigt bei einem erheblichen Anteil an Isolaten verminderte Wirksamkeit. Die meisten C.-auris-­Infektionen sind mit den sogenannten Echinocandinen behandelbar, die derzeit als Erstlinien-Therapie bei Erwachsenen und Kindern > zwei Monaten empfohlen werden. Echinocandine hemmen spezifisch das Enzym 1,3-Beta­D-Glucansynthase und somit die Synthese von Beta-Glucan in der Zellwand von Pilzen. Vertreter dieser Klasse sind Anidulafungin, Caspofungin, Micafungin und Rezafungin. ­Jedoch wurde bei einem relevanten Anteil (bis zu 10%) der Candida-auris-Stämme eine verringerte Empfindlichkeit gegenüber Echinocandinen aufgrund von Punktmutationen in der Glucansynthase festgestellt.

Aus der Klasse der Polyen-Antimykotika steht lediglich Amphotericin B zur Behandlung systemischer Infektionen zur Verfügung. Allerdings weist ein signifikanter Anteil der untersuchten C.-auris-Stämme im Labor eine deutlich erhöhte minimale Hemmkonzentration für diesen Wirkstoff auf. Inwieweit dies klinische Relevanz hat, ist noch unklar. Einige C.-auris-Stämme sind gegenüber allen drei Hauptklassen von ­Antimykotika resistent. In diesem Fall werden mehrere Antimykotika kombiniert, allgemeine evidenzbasierte Empfehlungen gibt es jedoch aktuell nicht. Sowohl CDC als auch WHO haben C. auris unter anderem wegen der Resistenzlage in die höchste Priorisierungskategorie eingeschlossen [2, 4 – 6].

Schwierige Identifizierung

Gerade in den ersten Jahren nach der Erstbeschreibung von C. auris kam es häufig zu Fehlidentifizierungen im Labor, da die neue Art mit Routinemethoden nur schwerlich diagnostiziert werden konnte. Aber auch heute noch wird C. auris oft fälschlicherweise als eine andere Candida-Art identifiziert, was zu einer verzögerten Diagnose und einer ungeeigneten Behandlung führt. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit eines klinischen Bewusstseins für diesen neu auftretenden Krankheitserreger sowie die Entwicklung neuer Labormethoden. Bei Verdacht auf C. auris kann ein Kolonisationsscreening durchgeführt werden, bei dem die Haut der betroffenen Person mittels Tupfer abgerieben wird, oder eine klinische Untersuchung von Blut oder Urin stattfinden. Die Anzucht von C. auris gelingt auf geeignetem Medium bei 37°C. Außerdem ist eine massenspektrometrische Identifizierung möglich. Allerdings sind nicht alle genetischen Untergruppen von Candida auris in den derzeitigen Datenbanken vertreten. Als zuverlässigste Nachweismethode gilt die Sequenzierung sogenannter ITS(internal transcribed spacer)-Regionen [2, 7, 8].

Starke Oberflächenhaftung

Neben der anfänglich hohen Rate an Fehlidentifikationen, der Resistenz­situation und der fehlenden Wirksamkeit bestimmter Desinfektionsmittel (vor allem quartärer Ammonium­verbindungen) gilt auch das hohe ­Haftungsvermögen des Erregers als begünstigender Faktor für die Ausbreitung von C. auris
Ein Team der University of Michigan versuchte herauszufinden, wodurch C. auris eine so hohe Haftkraft erreicht. Dazu untersuchten sie zunächst die Adhäsinproteine, die von anderen Hefepilzen bekannt sind. Sie stellten aber fest, dass keines von diesen für die starke Anheftung an Oberflächen verantwortlich ist. Schließlich konnte ein spezifisches und dominantes Adhäsin namens Surface Colonization Factor (SCF1) identifiziert werden. Im Gegensatz zu anderen Pilzadhäsinen, die nur durch schwache hydrophobe Wechselwirkungen haften, bildet SCF1 kationenabhängige Wechselwirkungen an einer Vielzahl biotischer und abiotischer Oberflächen aus. In Experimenten konnte das Team zeigen, dass SCF1 nicht nur für die Bildung von C.-auris-Biofilmen und die Besiedlung eingeführter medizinischer Geräte sowie der Haut erforderlich ist, sondern auch bedeutsam für die Virulenz bei systemischen Infektionen. Wird dieser Mechanismus besser erforscht und verstanden, könnte sich zukünftig ein neuer Ansatzpunkt für die Therapie von C. auris ergeben [9]. Da C. auris  bei gesunden Personen keine Infektionen auslöst und Ausbrüche (bislang) nur Krankenhäuser und Pflegeheime betreffen, werden Apotheken kaum in die Situation kommen, erkrankte Personen beraten zu müssen. Aufgrund der derzeitig hohen Medienpräsenz von C. auris können Apotheken aber eine Rolle bei der Einordnung der Pressemeldungen und ­Aufklärung verunsicherter Personen spielen.

Literatur

[1]          Ettadili H, Vural C. Current global status of Candida auris an emerging multidrug-resistant fungal pathogen: bibliometric analysis and network visualization. Braz J Microbiol 2024;55:391–402, https://doi.org/10.1007/s42770-023-01239-0

[2]          Candida auris. Centers for Disease Control and Prevention, Stand: 4. Oktober 2023, www.cdc.gov/fungal/candida-auris/candida-auris-qanda.html#symptoms

[3]          Bing J et al. Rapid evolution of an adaptive multicellular morphology of Candida auris during systemic infection. Nat Commun 2024;15(1):2381, doi: 10.1038/s41467-024-46786-8. PMID: 38493178; PMCID: PMC10944540.

[4]          Wagener J, Kurzai O. Candida auris: Steckbrief eines neuen Pilzes, in: Dtsch Arztebl 2019;116(29-30), doi: 10.3238/PersInfek.2019.07.22.017

[5]          Aldejohann AW. Zunahme von Candida auris in Deutschland im Jahr 2023. Epidemiologische Bulletin des Robert Koch Instituts (RKI) 2024;18:3-7

[6]          Gelbe Liste, Echinocandine, Stand 12.02.2024, www.gelbe-liste.de/wirkstoffgruppen/echinocandine

[7]          Kumar H et al. Candida Auris: An Emerging Multidrug-Resistant Fungal Pathogen in the United States and the Urgent Call for Action. Microbiol Insights. 2023;16:11786361231200836, doi: 10.1177/11786361231200836; PMID: 37745089; PMCID: PMC10517606.

[8]          Nationales Referenzzentrum für Pilzinfektionen, KurzInfo: Candida auris, Stand 24.09.2019, www.nrz-myk.de/newsticker/kurzinfo-candida-auris-42.html

[9]          Santana DJ et al. A Candida auris–specific adhesin, Scf1, governs surface association, colonization, and virulence: Science 2023;381(6665):1461-1467, DOI: 10.1126/science.adf8972 (Abstract)


Dr. Sabine Fischer, Apothekerin, DAZ-Autorin
redaktion@daz.online


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