Lieferengpässe, EHDS, Freiberuflichkeit & Co.

Die Positionen der ABDA zur Europawahl

Berlin - 10.05.2024, 07:00 Uhr

Am 9. Juni ist Europawahl. Was ist aus Apothekensicht wichtig? (Foto: IMAGO / Herrmann Agenturfotografie)

Am 9. Juni ist Europawahl. Was ist aus Apothekensicht wichtig? (Foto: IMAGO / Herrmann Agenturfotografie)


Bereits im vergangenen Dezember hat die ABDA ihre „Kernpositionen“ zur Europawahl veröffentlicht. Nun ist es nur noch ein Monat bis zu Wahl – Zeit, nochmals an die Forderungen der Apothekerschaft zu erinnern. In einigen Punkten hat sich zwischenzeitlich auch schon etwas bewegt.

Die Wahl zum Europa-Parlament findet in Deutschland am 9. Juni statt. Die Apothekerschaft hatte sich bereits frühzeitig positioniert, um schon im Vorfeld auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Im Dezember 2023 beschloss der Geschäftsführende Vorstand der ABDA sechs Kernpositionen zur Europawahl. Sie sollten die Grundlage sein für Gespräche mit Abgeordneten, Kandidaten und Kandidatinnen sowie allen an Europapolitik Interessierten – auch in Deutschland. Zudem wünscht sich die ABDA natürlich, dass ihre Sicht auf die Dinge in der nächsten Legislaturperiode berücksichtigt werden.

Mitte April war dann eine Delegation der ABDA für zwei Tage nach Brüssel gereist. Dort gab es unter anderem einen Austausch mit den EU-Parlamentariern Peter Liese (CDU) und Andreas Glück (FDP) sowie der Abgeordneten Jutta Paulus (Grüne). Auch mit Vertreterinnen und Vertretern des Zusammenschlusses der Apotheker in der Europäischen Union (ZAEU bzw. PGEU) kam die siebenköpfige Delegation zusammen. ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening zog im Anschluss ein positives Fazit: „Wir sind überall freundlich empfangen worden und haben klargestellt, dass sich die Europäische Union weiter mit der Verbesserung der Arzneimittelversorgung beschäftigen muss. Ich denke, unsere Anliegen wurden uns unseren Gesprächspartnern sehr ernst genommen.“

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Angesichts der nun näher rückenden Wahl, blickt die DAZ nochmals auf die sechs Kernpositionen der ABDA  – und darauf, ob sich hier seit Ende vergangenen Jahres bereits etwas bewegt hat. Denn es gab in den vergangenen Monaten durchaus wichtige gesundheitspolitische Aktivitäten auf EU-Ebene.

1. Gesundheit als mitgliedstaatliche Kompetenz achten

Die ABDA hält in ihrem Positionspapier zunächst fest, dass es grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten ist, wie sie ihr Gesundheitssystem ausgestalten und welches Schutzniveau sie bei der Regulierung für nötig halten. Auch der Europäische Gerichtshof spricht ihnen einen Wertungsspielraum zu – und dieser muss aus Sicht der ABDA geachtet werden. Es gilt das Subsidiaritätsprinzip. Die EU kann ergänzend tätig werden und in gewissen Bereichen für Harmonisierung sorgen. Es gibt bekanntlich auch eine eigene Generaldirektion für Gesundheit – viele Bereiche des Gesundheitswesens können schließlich nicht nur unter Aspekten des Binnenmarktes behandelt werden. Und so plädiert die ABDA auch dafür, die Generaldirektion Gesundheit beizubehalten. Grundsätzlich, so heißt es im Positionspapier, sollte stets diejenige Ebene Probleme lösen, die am besten dazu geeignet ist.

Aktualität: Diese Position besteht natürlich nach wie vor, sie ist ein Dauerbrenner, wenn es um gesundheitspolitische Fragen in der EU geht. Daher wird sie als Mahnung stets aktuell bleiben. ABDA-Vize Mathias Arnold machte diesen Punkt laut einer Meldung im ABDA-Newsroom auch bei der Brüssel-Reise nochmals deutlich.

2. Verantwortungsbewusste Nutzung der Digitalisierung

Europa setzt auf Digitalisierung – auch im Gesundheitswesen. Ebenso auf Künstliche Intelligenz. Die EU will einen europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) schaffen, der dafür sorgen soll, dass Gesundheitsdaten von Patienten auch in anderen EU-Staaten genutzt werden können. In ihrem Positionspapier zeigt sich die ABDA offen für diese Entwicklungen offen. Sie machte dort aber auch deutlich: Digitalisierung muss einen Zusatznutzen mit sich bringen – und der Schutz von Patientendaten sowie die Eigenverantwortung der Patienten und das Vertrauensverhältnis zu ihren Heilberuflern dürfe nicht beeinträchtigt werden. Zudem müsse der Umsetzungsaufwand für neue Digitalisierungsinstrumente in öffentlichen Apotheken verhältnismäßig bleiben und sachgerecht finanziert werden. Nicht zuletzt dürften durch die Abfrage und Verwendung von Apothekendaten weder Geschäftsgeheimnisse preisgeben noch die Apotheken überfordert werden (Bürokratie, Vergütung).

Aktualität: Der EHDS ist im ersten Halbjahr 2024 bereits vorangeschritten. Im Frühjahr haben das EU-Parlament und der Rat eine politische Einigung über einen Vorschlag der Kommission erzielt. Die Beschlussfassung im Rat steht zwar noch aus, eine Zustimmung gilt aber als so gut wie sicher. Wurden die ABDA-Anliegen berücksichtigt? Dazu erklärt ein Sprecher auf Nachfrage, dass die ausführliche Analyse des Verordnungstexts noch einige Zeit benötigen wird – sie liegt auch erst seit kurzem auf Deutsch vor und ist redaktionell noch zu „glätten“. Vorläufig könne man aber schon sagen: „Viele der seitens der ABDA und anderer Heilberufe vorgetragenen Kritikpunkte wurden im Kompromisstext aufgegriffen und akzeptablen Lösungen zugeführt. Insbesondere ist das Verhältnis zwischen der EHDS-Verordnung und der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) deutlich klarer und rechtssicherer ausgestaltet worden“. Überdies sei das zwischenzeitlich in Kraft getretene deutsche Gesundheitsdatennutzungsgesetz mit der „Opt-out-ePA“ kompatibel mit den neuen europäischen Vorgaben.

3. Novellierung des europäischen Arzneimittelrechts

Die EU-Kommission hat bereits eine Novellierung des Arzneimittelrechts angestoßen. Das „Pharmapaket“ der EU will unter anderem Arzneimittellieferengpässe und Antibiotikaresistenzen angehen. Die ABDA begrüßt die Novellierung in ihrem Positionspapier prinzipiell, stellt aber klar, dass die Möglichkeiten der Apotheken, durch eigene Rezeptur- und Defekturherstellung eine zeitnahe Arzneimittelversorgung sicherzustellen, nicht beschränkt werden dürften. Gerade mit Blick auf die Engpässe hält sie nichts vom regulatorischen „Vorrang“ für Fertigarzneimittel. Weiterhin plädiert sie für eine maßvolle Implementierung elektronischer Packungsbeilagen – sie sollen kein ausnahmsloser Ersatz für die gedruckte Fassung sein. Zudem fordert sie, dass nicht alle antimikrobiellen Arzneimittel der Verschreibungspflicht unterstellt werden sollten, sondern nur antibiotisch wirkende systemische Arzneimittel.

Aktualität: Das Pharmapaket hat die EU-Kommission schon vor über einem Jahr angestoßen, das Parlament hat sich damit befasst, und der zuständige Ausschuss (ENVI) hat Kompromisstexte beschlossen. Nun muss noch der Ministerrat eine Position erarbeiten und dann stehen noch die sogenannten Trilog-Verhandlungen zwischen Parlament, Kommission und Ministerrat an – das dürfte noch einige Zeit dauern. Gerade weil das parlamentarische Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, will die ABDA dranbleiben. Arnold erklärte nach den Brüsseler Gesprächen, dass nur Details noch strittig seien. Als Beispiel nannte er die Beibehaltung der Möglichkeiten zur Rezeptur- und Defekturherstellung in Apotheken. Das Europäische Parlament habe am Ansatz der Kommission nichts geändert, das Merkmal der „industriellen Herstellung“ aus der Arzneimitteldefinition zu streichen. Das daraus resultierende Problem betrifft aus deutscher Sicht die Defekturherstellung in Apotheken.

4. Sicherstellung der Verfügbarkeit von Arzneimitteln

Mit Blick auf das europaweite Problem der Arzneimittel-Lieferengpässe fordert die ABDA, Hinweise auf Probleme in der Lieferkette (z.B. Liefer- oder Produktionsausfälle) zentral zu erfassen, um rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen und dadurch Versorgungsengpässe verhindern zu können. Die Standesvertretung verweist darauf, dass die kontinuierliche Bereitstellung von Arzneimitteln Teil der Daseinsvorsorge und somit eine staatliche Aufgabe sei. Es müssten auch Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit die Wirkstoff- und Arzneimittelproduktion wieder in Europa stattfindet.

Aktualität: Im ersten Halbjahr 2024 hat der Kampf gegen Engpässe hohe Priorität in Europa. So hat die Europäische Arzneimittelbehörde EMA Empfehlungen veröffentlicht, um Schwachstellen bei der Herstellung und Lieferung von kritischen Arzneimitteln zu beheben und die Lieferketten zu stärken. Zudem hat eine neue Allianz für kritische Arzneimittel die Arbeit aufgenommen. Aus ABDA-Sicht sind die EMA-Empfehlungen ein erster Schritt. Es bleibe allerdings kritisch abzuwarten, ob und inwieweit sie von der Industrie und den anderen Akteuren der Lieferkette tatsächlich umgesetzt werden können (z.B. Produktionsausweitung). Die ABDA gibt zudem zu bedenken, dass der Aufbau einer Lagerhaltung bei gleichbleibender Produktion die Lieferengpässe kurz- und gegebenenfalls mittelfristig verschärfen werde, weil die einzulagernden Arzneimittel dem Markt entzogen würden. Eine Ausweitung der Lagerhaltung in Apotheken mache keinen Sinn, da nicht vorauszusehen sei, ob und in welchem Umfang und wo zukünftiger Bedarf auftreten werde. Außerdem würden besonders kleine Apotheken mit einer Ausweitung der Lagerhaltung finanziell und logistisch über Gebühr belastet. Wenn überhaupt, ergebe eine verstärkte Lagerhaltung nur bei der Industrie und gegebenenfalls dem Großhandel Sinn.

5. Unabhängigkeit des Apothekers durch Erhalt der Freiberuflichkeit

Weiterhin setzt die ABDA auf Anerkennung, Unterstützung und Stärkung der freien Heilberufe – speziell auch der Apothekerinnen und Apotheker und der von ihnen gebotenen unabhängigen pharmazeutischen Versorgung. Die freiberuflich organisierte Arzneimittelversorgung schütze Patientinnen und Patienten vor rein wirtschaftlichen Interessen Dritter und diene damit der bestmöglichen Versorgung in Europa, heißt es dazu im Positionspapier.

Aktualität: Auch dies ist eine Evergreen-Position.

6. Sicherstellung von Patientenschutz und einer Arzneimitteltherapiesicherheit

Nicht zuletzt verweist die ABDA auf die ordnungspolitischen Eckpfeiler zur Sicherstellung der unabhängigen Arzneimittelversorgung in Deutschland: die Apothekenpflicht, das Fremd- und Mehrbesitzverbot sowie der einheitliche Apothekenabgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel. „Diese Eckpfeiler müssen uneingeschränkt erhalten bleiben“, betont die Standesvertretung. Die Sonderstellung der Arzneimittel als Güter besonderer Art müsse weiter gewürdigt und weitreichende Liberalisierungstendenzen abgewehrt werden.

Aktualität: Bislang gibt es keine Anzeichen, dass diese Eckpfeiler wackeln – doch die ABDA wird immer an ihre besondere Bedeutung erinnern und um ihren Erhalt kämpfen, wenn es sein muss.


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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