Die werdende Mutter behandeln, ohne das Ungeborene zu schädigen

Schwanger und Krebs

Stuttgart - 10.05.2024, 10:45 Uhr

Die Diagnose und die Behandlung von Tumoren der werdenden Mutter stellt auch pharmazeutisch eine Herausforderung dar. (Foto: Photographee.eu/AdobeStock)

Die Diagnose und die Behandlung von Tumoren der werdenden Mutter stellt auch pharmazeutisch eine Herausforderung dar. (Foto: Photographee.eu/AdobeStock)


Bei etwa einer von tausend Frauen wird während der Schwangerschaft eine Krebserkrankung diagnostiziert. Je nach Tumorentität und Stadium wird die Therapie wie üblich durchgeführt, modifiziert oder verschoben. Bei besonders aggressiven Tumoren oder Gefahr für die werdende Mutter kommt ein Schwangerschaftsabbruch in Betracht. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Versorgung und Entwicklung des Neugeborenen gerichtet. 

Unter Schwangerschaft-assoziierten Krebserkrankungen (Pregnancy-Associated Cancers; PAC) versteht man Tumorerkrankungen, die während oder bis zu einem Jahr postpartal diagnostiziert werden. Sie sind selten, allerdings wurde in den letzten Jahren ein Anstieg registriert. Dieser ist vornehmlich der Tatsache geschuldet, dass Frauen häufiger in einem späteren Alter schwanger werden und Krebsdiagnosen früher gestellt werden. Eine Schwangerschaft per se erhöht das Risiko für eine Tumorerkrankung nicht, allerdings kann die Diagnose erschwert sein (dichtes Brustgewebe, allgemeine Symptome wie Übelkeit, Erbrechen).

Vice versa wird eine Schwangere in der Regel engmaschig betreut, so dass malige symptomlose Veränderungen früher bemerkt werden, so etwa beim Zervixkarzinom. Am häufigsten werden Brustkrebs, Lymphome und Leukämien sowie Zervix- und Ovarialkarzinome, gefolgt von Melanomen und gastrointestinalen Tumoren diagnostiziert [1, 2].

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Für Schwangere ungeeignete Diagnoseverfahren

Mittel der Wahl ist der Ultraschall, der während der ganzen Schwangerschaft durchgeführt werden kann. Eine Magnetresonaztomografie(MRT) wird im ersten Trimenon (Zeit der Organentwicklung) nicht empfohlen. Einige Kontrastmittel, z. B. Gadolinium-basierte Kontrastmittel, sind während der Schwangerschaft kontraindiziert. Computertomografie (CT)- und Röntgen-Untersuchungen sollten während der gesamten Schwangerschaft vermieden werden, sind aber in Ausnahmefällen wie bei der Mammographie möglich, bei der nur eine sehr geringe Strahlendosis verwendet wird. CT von Kopf, Hals, Thorax und Extremitäten werden als sicher erachtet. Jede Exposition gegenüber Röntgenstrahlung sollte jedoch immer in enger Absprache zwischen den behandelnden Fachdisziplinen erfolgen und sind Einzelentscheidungen. Die Dosis ionisierender Strahlen über die gesamte Schwangerschaft hinweg für diagnostische und therapeutische Zwecke sollte nicht mehr als 100 mGy betragen.

Die Interpretation von Tumormarkern ist schwierig, da einige von ihnen wie etwa Alpha-1-Fetoprotein oder das Cancer-Antigen (CA)-125 auch während der Schwangerschaft erhöht sein können. Traditionelle Tumormarker wie Laktatdehydrogenase scheinen in der Schwangerschaft unverändert zu sein [3, 4].

Abb.: Die häufigsten Tumorarten in der Schwangerschaft [1].

Therapie in Abhängigkeit des Gestationsalters

Die Therapie von Krebserkrankungen in der Schwangerschaft erfolgt grundsätzlich analog zur Therapie außerhalb einer Schwangerschaft. In Abhängigkeit des Gestations­alters sind strahlen- und chemotherapeutische Interventionen möglich; operative Eingriffe können in der Regel durchgeführt werden, allerdings besteht in der Frühschwangerschaft ein erhöhtes Abortrisiko. Eine Chemotherapie ist bis zur 14., möglicherweise auch bis zur 12. Schwangerschaftswoche aufgrund des hohen Fehlbildungsrisikos aufgrund des hohen Fehlbildungsrisikos (ca. 10% bei Monotherapie, bis 25% bei kombinierten Therapien) kontraindiziert, da in diesen Wochen die Anlage sämtlicher Organe beim Embryo erfolgt und damit eine besondere Vulnerabilität gegenüber schädlichen Einflüssen besteht. Ab der 20. Schwangerschaftswoche sind keine fetalen Fehlbildungen mehr zu erwarten. Wenn möglich, sollte die Chemotherapie circa zwei bis drei Wochen vor der Entbindung beendet sein bzw. pausiert werden, um die Erholung des mütterlichen und fetalen Knochenmarks zu erlauben und so das Infektionsrisiko während der Geburt für Mutter und Kind zu senken. Bei Erstdiagnose ab der 35. Schwangerschaftswoche besteht die Empfehlung, möglichst vor Einleitung einer Chemotherapie die Entbindung anzustreben. Besteht die Notwendigkeit einer dringenden Therapie in der frühen Schwangerschaft, müssen die Eltern über die Möglichkeit einer Schwangerschaftsunterbrechung aufgeklärt werden [8]. Das mögliche stadienabhängige Vorgehen einer Behandlung wird an zwei Beispielen erläutert.

  • Mammakarzinom: Die meist brusterhaltende operative Therapie kann zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft erfolgen. Prinzipiell ist auch eine Sentinel-Lymphknotenbiopsie zu jedem Zeitpunkt in der Schwangerschaft möglich. Eine neoadjuvante oder adjuvante Chemotherapie kann nach dem ersten Trimenon durchgeführt werden. Zum Einsatz kommen Taxane, Anthracycline und Cyclophosphamid in gleicher Dosierung wie außerhalb der Schwangerschaft [6, 7].
  • Hodgkin-Lymphom: In frühen asymptomatischen Stadien und bei langsamem Progress kann die Therapie auf das zweite Trimenon verschoben werden. Bei dringender Therapieindikation sollte eine Beendigung der Schwangerschaft diskutiert und eine stadienabhängige Therapie mit ABVD (Doxorubicin, Bleomycin, Vinblastin, Dacarbazin) oder BEACOPP (Bleomycin, Etoposid, Doxorubicin, Cyclophosphamid, Vincristin, Procarbazin, Prednison) eingeleitet werden. Therapieschema der Wahl im zweiten Trimenon ist ABVD. Das Vorgehen im letzten Trimenon hängt vom Tumorstadium und Progress ab; im günstigen Fall kann die Therapie erst nach der Geburt erfolgen. Besteht eine Therapieindikation, wird die Gabe von ABVD empfohlen [8].
Tab.: Allgemeine Therapieprinzipien bei schwangeren
Krebserkrankten

Mögliche medikamentöse Optionen

Ist eine medikamentöse Therapie indiziert, werden konventionelle Zytostatika eingesetzt; wobei hochdosierte Alkylanzien, BEACOPP und MTX kontraindiziert sind. Dasselbe gilt für Hormontherapien und zielgerichtete Therapien. Möglichkeit und Sicherheit einer immunonkologischen Therapie werden derzeit untersucht. Was die supportive Therapie anbelangt, so können Metoclopramid und Ondansetron (ab dem zweiten Trimenon) eingesetzt werden, die Eignung von Neurokinin-1-Hemmern ist nicht klar bestätigt. Von der Verwendung von Dexamethason zur Prämedikation wird abgeraten, da der Wirkstoff fast zu 100% über die Plazenta auf den Fötus übergeht. Besser geeignet sind Methylprednisolon, Prednisolon oder Hydrocortison. Der Einsatz von Wachstumsfaktoren wie Granulozyten-Kolonie-stimulierende Faktoren wird unterschiedlich eingeschätzt. Niedermolekulare Heparine können prophylaktisch und therapeutisch eingesetzt werden [4, 9].

Grundlegende Fragen bei krebs­erkrankten Schwangeren

Wird bei einer Schwangeren ein maligner Tumor diagnostiziert, müssen folgende grundlegende Entscheidungen getroffen werden, welche die werdende Mutter und das ungeborene Kind betreffen:

  • Sollte im Interesse der Mutter die Schwangerschaft abgebrochen werden?
  • Ist ein Aufschub der Therapie bis nach der Entbindung möglich?
  • Kann eine Standardtherapie erfolgen oder ist zum Schutz des Ungeborenen eine Modifikation erforderlich?
  • Welche Risiken bestehen für das Kind?
  • Wie erfolgt die Überwachung?
  • Kann der physiologische Verlauf der Schwangerschaft abgewartet werden oder besteht eine Indikation zur vorzeitigen Entbindung [8]?

Pharmakokinetischen Veränderungen begegnen

Bei der Wahl eines geeigneten Therapeutikums muss auch dessen besondere Pharmakokinetik während der Schwangerschaft berücksichtigt werden. Die fetale Exposition gegenüber Medikamenten wird durch die mütterliche Pharmakokinetik beeinflusst, die wiederum vom Verteilungsvolumen, Ausscheidungsraten, dem pH-Unterschied zwischen mütterlichen und fetalen Flüssigkeiten und hämodynamischen Veränderungen beeinflusst wird. In der sechsten bis 34. Schwangerschaftswoche kommt es zu einer Volumen­expansion von drei bis vier Litern. Durch den Verdünnungseffekt sinkt die Albuminkonzentration im Blut. Eine weitere Konsequenz ist eine erhöhte renale Clearance. Die Aktivierung relevanter Enzyme des Cytochrom p450-Systems (CYP 3A4, CYP 2C9, CYP 2A6) und der Uridindiphosphat-Glucuronosyltransferase resultiert in einer rascheren hepatischen Metabolisierung, beispielsweise von Taxanen und Anthracyclinen. Trotz der relevanten pharmakologischen und pharmakokinetischen Besonderheiten in der Gravidität erhalten schwangere und nicht schwangere Frauen dieselbe Dosierung der zytotoxischen Wirkstoffe [10].

Engmaschige Überwachung des Neugeborenen

Die schwangere Tumorpatientin sollte engmaschig interdisziplinär und in Zusammenarbeit mit einem perinatolo­gischen Zentrum begleitet werden. Nach Möglichkeit sollte vaginal entbunden werden. Das Neugeborene sollte besonders überwacht werden; empfohlen wird ein Basis-Screening mit neonatalem Blutbild und Überwachung der Leber- und Nierenfunktion. Die Plazenta sollte histologisch untersucht werden, um das Risiko abschätzen zu können, ob der Fötus Metastasen ausgesetzt war, was bei einer Melanomerkrankung der Mutter der Fall sein kann. Wurden Anthracycline eingesetzt, sollte beim Neugeborenen ein Echokardiogramm durchgeführt werden, um eventuelle Herzanomalien zu erkennen. Erhielt die Mutter eine Platin-basierte Chemotherapie, wird ein regelmäßiges Überprüfen der Hörfunktion empfohlen. Ferner wird zu einem langfristigen Monitoring der Kinder geraten, um neurologische Entwicklungsstörungen und maligne Erkrankungen frühzeitig zu erkennen, wobei derzeit keine Hinweise auf ein erhöhtes Tumorrisiko vorliegen [3].

Da differenzierte Daten zum Übertritt von Chemotherapeutika in die Muttermilch fehlen, wird in der Regel bei Durchführung einer Chemotherapie vom Stillen abgeraten. Falls der dringende Wunsch des Stillens besteht, kann vier Wochen nach Ende einer Chemotherapie gestillt werden [8]. 

Literatur

 [1] Javitt MC. Cancer in pregnancy: overview and epidemiology. Abdom Radiol (NY) 2023,48(5):1559-1563, doi: 10.1007/s00261-022-03633-y

 [2] Jha P et al. Imaging Cancer in Pregnancy. Radiographics 2022;42(5):1494-1513, doi: 10.1148/rg.220005

 [3] Arup G, Shravan N. Cancer and Pregnancy in the Post-Roe v. Wade Era: A Comprehensive Review. Curr Oncol 2023;30(11):9448-9457, doi: 10.3390/curroncol30110684

 [4] Patient-Centered Care in the Management of Cancer During Pregnancy. https://ascopubs.org/doi/10.1200/EDBK_100037

 [5] Wolters V et al. Management of pregnancy in women with cancer. Int J Gynecol Cancer 2021;31(3):314-322, doi: 10.1136/ijgc-2020-001776

 [6] Maggen C et al. International Network on Cancer, Infertility and Pregnancy (INCIP). Pregnancy and Cancer: the INCIP Project. Curr Oncol Rep 2020, doi: 10.1007/s11912-020-0862-7

 [7] Brustkrebs: Spezielle Situationen. Arbeitsgemeinschaft gynäkologische Gynäkologie 2024, www.ago-online.de/fileadmin/ago-online/downloads/_leitlinien/kommission_mamma/2024/Einzeldateien/AGO_2024D_15_Brustkrebs_Spezielle_Situationen.pdf (Aufruf am 11.04.2024).

 [8] Mallmann P et al. Schwangerschaft und Krebs. Springer Medizin Verlag, www.springermedizin.de/emedpedia/detail/kompendium-internistische-onkologie/schwangerschaft-und-krebs?epediaDoi=10.1007%2F978-3-662-46764-0_307

 [9] Medikamentöse Tumortherapie bei Schwangeren. Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie Juli 2022, www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/medikamentoese-tumor­therapie-bei-schwangeren

[10] Cancer in pregnancy. International Network on cancer, infertility and pregnancy, www.cancerinpregnancy.org


Dr. Petra Jungmayr, Apothekerin
redaktion@daz.online


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