Wirkstoffentwicklung

Müssen wir chronischen Husten neu denken?

Stuttgart - 14.05.2024, 16:45 Uhr

Frauen sind von chronischem Husten etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. Oft tritt er nach der Menopause auf. (Foto: kues1 / Adobe Stock)

Frauen sind von chronischem Husten etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. Oft tritt er nach der Menopause auf. (Foto: kues1 / Adobe Stock)


Vergangenes Jahr wurde mit Gefapixant erstmals ein Arzneimittel gegen chronischen Husten in Europa zugelassen. In den USA wurde die Zulassung allerdings abgelehnt. Warum das so ist und warum Gefapixant vielleicht dennoch ein neues Husten-Zeitalter einläutet, lesen Sie hier.


„Für die Wirksamkeit hustendämpfender Medikamente gibt es keine wissenschaftlichen Belege! Zudem werden sie aufgrund von möglichen Nebenwirkungen nur noch in Ausnahmefällen gegeben. Bitte sprechen Sie vor der Gabe solcher Mittel unbedingt mit dem/r Kinder- und Jugendarzt/ärztin!“

Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. [1]


Das kann man auf der Webseite der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. nachlesen [1]. Nicht nur angesichts solcher Aussagen ist die Beratung zu hustenstillenden Arzneimitteln in der Apotheke ein schwieriges Thema. Eine pädiatrische Leitlinie zum Thema Husten gibt es nicht – Ende Juni soll allerdings die „S2k-Leitlinie Akuter und chronischer Husten, Diagnostik und Therapie von Kindern und Jugendlichen“ erscheinen [2].

Keine Antitussiva bei chronischem Husten?

Der „S3-Leitlinie Akuter und chronischer Husten“ für Erwachsene zufolge spricht man von chronischem Husten erst ab einer Dauer von acht Wochen. Aus dem Kapitel Antitussiva geht hervor, dass deren Einsatz bei akutem Husten nicht hilfreich ist: „Der akute Husten im Rahmen eines Atemwegsinfektes bei erwachsenen Patienten klingt auch ohne medikamentöse Behandlung ab.“ Hinsichtlich des Hustenreizes sollen Antitussiva zudem nicht besser wirken als Placebo, codeinhaltige Präparate könnten aber den Nachtschlaf verbessern.

Bei chronischem Husten (ab acht Wochen) gilt es laut Leitlinie zunächst die Ursache abzuklären und nach Möglichkeit zu behandeln (beispielsweise Asthma, COPD, Reflux). Selbst bei chronischem Husten infolge von bronchialer Hyperreagibilität werden keine Antitussiva empfohlen. Stattdessen sollen über vier Wochen inhalative Glucocorticoide versucht werden.

Bei ungeklärtem oder therapierefraktärem chronischem Husten kann laut Leitlinie bei hohem Leidensdruck eine Off-Label-Therapie mit Gabapentin oder niedrig dosiertem Morphin angeboten werden. Allerdings soll es nach dem Absetzen wieder zu einer Zunahme des Hustens kommen [3].

In der Selbstmedikation ist evidenzbasiert als Hustenstiller am ehesten Dextrometorphan zu empfehlen, die klinische Relevanz soll aber auch hier fraglich sein [3,4].

Erste Zulassung gegen chronischen Husten im Jahr 2023

Angesichts dieser Ausgangssituation wäre es nicht verwunderlich, wenn der neue Wirkstoff Gefapixant (Lyfnua von Merck), der im September letzten Jahres in Europa zugelassen wurde, bei Menschen mit chronischem Husten Hoffnungen weckt – auch wenn er in Deutschland noch nicht im Handel ist [5,6]. Allerdings ist auch dessen klinische Relevanz umstritten: Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat den Zulassungsantrag für Gefapixant in den USA im Dezember 2023 bereits zum zweiten Mal abgelehnt [7,8,9]. Die FDA kam zu dem Schluss, dass der Effekt von Gefapixant angesichts eines extrem hohen Placebo-Effekts in den Zulassungsstudien klinisch nicht relevant ist [10]. Unter Gefapixant sei nur ein bis zweimal weniger pro Stunde gehustet worden als unter Placebo [11,12].

Im April 2024 plädierte ein Artikel im britischen „Pharmaceutical Journal“ jedoch dafür, Gefapixant noch nicht abzuschreiben. Dessen Autorin weist vielmehr darauf hin, dass mit der Forschung an Gefapixant ein interessanter neuer Weg beschritten wurde, dem weitere Wirkstoffentwicklungen folgen. Der gemeinsame Nenner solcher Forschung sei, chronischen Husten primär als neuronale Überempfindlichkeit zu verstehen, unabhängig von eventuell zugrundeliegenden Erkrankungen wie Asthma oder COPD [11].

Gefapixant wirkt über sensorische C-Fasern des Nervus vagus

Während man im Pharmaziestudium über Wirkstoffe wie Codein meist nur gelernt hat, dass diese ihre Wirkung über Opioid-Rezeptoren im Hustenzentrum des Hirnstamms entfalten, wird der Wirkmechanismus von Gefapixant in der Fachinformation etwas genauer beschrieben [13]: Gefapixant wirkt über P2X3-Rezeptoren, ATP-abhängige Ionenkanäle, die sich auf sensorischen C-Fasern des Nervus vagus in den Atemwegen befinden.


„C-Fasern werden als Antwort auf Entzündungen oder chemische Reizstoffe aktiviert. Unter Entzündungsbedingungen kommt es zur Ausschüttung von ATP aus Schleimhautzellen der Atemwege. Die Bindung von extrazellulärem ATP an P2X3-Rezeptoren wird von C-Fasern als Signal für eine Schädigung wahrgenommen. Die Aktivierung von C-Fasern, die vom Patienten als Hustenreiz wahrgenommen wird, löst einen Hustenreflex aus.“

Wirkmechanismus von Gefapixant in der Fachinformation [13]


Da Gefapixant P2X3Rezeptoren hemmt, verhindert es eine übermäßige Aktivierung durch ATP.

Camlipixant – GSK will aus Mercks Fehlern lernen

Trotz des plausibel klingenden Wirkmechanismus hatte Merck einige Schwierigkeiten bei der Entwicklung von Gefapixant (keine Zulassung in den USA s.o.). Die Firma GSK, die mit Camlipixant ebenfalls ein Arzneimittel gegen chronischen Husten entwickelt, möchte aus Mercks Fehlern lernen: Sie möchte in die Zulassungsstudien für ihren Wirkstoffkandidaten Camlipixant beispielsweise nur Menschen mit besonders hoher Hustenhäufigkeit aufnehmen und mit einer Art Auswaschphase sicherstellen, dass keine anderen Antitussiva mehr die Ergebnisse beeinflussen. Außerdem soll Camlipixant selektiver an P2X3-Rezeptoren wirken als Gefapixant und so anders als Gefapixant nicht zu Geschmackstörungen führen – was eine höhere Dosierung ermöglichen soll [11,14].

Wie die britische thorakale Gesellschaft im Dezember vergangenen Jahres schilderte, wurden neben Gefapixant und Camlipixant auch die beiden Wirkstoffkandidaten Eliapixant and Sivopixant bereits untersucht, doch ihre Entwicklung wurde angehalten [15].

Europäische Kollaboration für ein neues Verständnis von Husten

Als einen weiteren vielversprechenden Wirkstoff nennt die Gesellschaft aber einen TRPM8-Rezeptor-Agonisten [15]. Der TRPM8-Agonist wirkt über TRP-Kanäle (Transient Receptor Potential), die sich wie P2X3-Rezeptoren auf dem Vagusnerv befinden. Der TRPM8-Rezeptor vermittelt Kältereize – unter anderem von Menthol [11]. 
Und auch der ƙ-Opioidrezeptor-Agonist/µ-Opioidrezeptor-Antagonist Nalbuphin soll in einer Phase-2-Studie beeindruckende Wirkungen auf Husten gezeigt haben, allerdings bei idiopathischer pulmonaler Fibrose. 
Für einen Neurokinin-1-Rezeptor-Antagonisten soll es gemischte Ergebnisse bei chronischem Husten geben [15]. 

Um chronischen Husten und seine Behandlungsmöglichkeiten besser zu verstehen beziehungsweise in Subgruppen einzuteilen, wurde auf europäischer Ebene die sogenannte NEurOCOUGH-Kollaboration gegründet (NEw Understanding in the tReatment Of COUGH). Ziel von NEurOCOUGH ist es unter anderem, den primären chronischen Husten von der Weltgesundheitsorganisation als eigenständige Krankheit anerkennen zu lassen, was die Forschung zu chronischem Husten fördern könnte [11,16]. Auch der Verband Pneumologischer Kliniken e.V. (VPK) machte im Juli 2022 darauf aufmerksam, dass chronischer Husten kein Symptom, sondern eine Krankheit sei [17]. 

Man darf also gespannt sein, wie sehr Gefapixant und Camlipixant unser künftiges Verständnis von Husten prägen werden. 

Literatur

[1] Abruf 8. Mai 2024, www.dgkj.de/eltern/dgkj-elterninformationen/elterninfo-husten

[2] S2k-Leitlinie Akuter und chronischer Husten, Diagnostik und Therapie von Kindern und Jugendlichen. Geplante Fertigstellung: 30.06.2024, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/026-005

[3] S3-Leitlinie Akuter und chronischer Husten, Stand 01.02.2021, gültig bis 31.12.2025, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/053-013

[4] Buch Evidenzbasierte Selbstmedikation von Monika Neubeck, 6. Auflage 2023, www.deutscher-apotheker-verlag.de/Evidenzbasierte-Selbstmedikation/9783769280623

[5] Internetauftritt der europäischen Arzneimittelbehörde EMA zu Gefapixant (Lyfnua), www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/lyfnua

[6] Gnegel G. Wirkstoff Gefapixant gegen chronischen Husten zur Zulassung empfohlen. DAZ.online 25.07.2023, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2023/07/25/wirkstoff-gefapixant-gegen-chronischen-husten-zur-zulassung-empfohlen

[7] Reuters: U.S. FDA declines to approve Merck's cough drug, 24. Januar 2022, www.reuters.com/world/us/us-fda-declines-approve-mercks-cough-treatment-2022-01-24/

[8] Reuters: US FDA declines to approve Merck's chronic cough drug, 21. Dezember 2023, www.reuters.com/business/healthcare-pharmaceuticals/us-fda-declines-approve-mercks-chronic-cough-drug-2023-12-20/

[9] Merck: Merck Provides U.S. Regulatory Update on Gefapixant, www.merck.com/news/merck-provides-u-s-regulatory-update-on-gefapixant/  

[10] FDA: Final Summary Minutes of the Pulmonary-Allergy Drugs Advisory Committee Meeting November 17, 2023, www.fda.gov/media/176352/download

[11] Solis M. Hacking the vagal system to treat chronic cough. Pharmaceutical Journal, 18. April 2024, pharmaceutical-journal.com/article/feature/hacking-the-vagal-system-to-treat-chronic-cough

[12] US Food and Drug Administration. FDA Briefing Document zu Gefapixant vom 17. November 2023, www.fda.gov/media/173850/download

[13] Lyfnua 45 mg Filmtabletten, Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, Webseite der EMA, Stand 29.09.2023, www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/lyfnua

[14] Armstrong A. After watching Merck's chronic cough drama, GSK knew exactly what not to do with Bellus asset. Fierce Biotech 30.11.2023, www.fiercebiotech.com/biotech/after-watching-mercks-chronic-cough-drama-gsk-knew-exactly-what-not-do-bellus-asset

[15] British Thoracic Society Clinical Statement on chronic cough in adults, 6.12.2023, thorax.bmj.com/content/78/Suppl_6/s3.long

[16] New understanding in the treatment of cough (NEUROCOUGH) ERS Clinical Research Collaboration: improving care and treatment for patients with cough. European Respiratory Journal 2019;53:1900787; DOI: 10.1183/13993003.00787-2019, erj.ersjournals.com/content/53/5/1900787

[17] Verband Pneumologischer Kliniken e.V. (VPK). Chronischer Husten ist kein Symptom, sondern eine Krankheit. Lungenärzte im Netz 11.07.2022, www.lungenaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/chronischer-husten-ist-kein-symptom-sondern-eine-krankheit/


Deutsche Apotheker Zeitung / dm
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.